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Kreislaufwirtschaft in der Baubranche: der Schlüssel zur Erreichung von Netto-Null

19. März 2024

City, Architecture, Building

In der Schweiz entfallen rund 50% des Gesamtressourcenverbrauchs auf die Baubranche. Die Erreichung der ambitionierten Netto-Null-Ziele 2050 erfordert zwingend die Umsetzung zirkulärer Prinzipien.

Anlässlich eines Wüest Partner Events im Januar 2024 diskutierten 50 Entscheidungsträger:innen aus der Bau- und Immobilienwirtschaft die Transformation von einer linearen zu einer zirkulären Bauwirtschaft.

Von nachhaltiger zu zirkulärer Wertschöpfung
Keynote von Martin Pauli, Global Circular Economy Services Leader bei ARUP

Die Bauwirtschaft hat durch den hohen Ressourcenverbrauch einen massgeblichen Einfluss auf die Zukunft unserer Ökosysteme. Dabei sollte der Anspruch über den Ressourcen-Erhalt und nachhaltiges Wirtschaften hinausgehen. Denn eine adaptive und regenerative Bauwirtschaft, die nicht nur ökologische Einbussen verhindert, sondern ökologische Gewinne ermöglicht, ist das Ziel.

Politik als Treiber der Transformation

Entlang der Wertschöpfungskette sind verschiedene Haltungen zum Thema Kreislaufwirtschaft zu beobachten. Klar ist jedoch mittlerweile, dass der Trend hin zu einer zunehmenden politischen Regulierung geht. Der politische Hebel beginnt bei Reportingpflichten und reicht hin zu Emissions-Grenzwerten, die einige europäische Länder bereits definiert haben, darunter die Niederlande, Dänemark, Frankreich und Finnland. Die Ambition, bis spätestens 2050 Netto-Null zu erreichen, ist nur durch die Umsetzung zirkulärer Prinzipien zu erreichen.

Hebel im zirkulären Neubau

Um diese Ambition zu erreichen, gibt es drei Handlungsfelder:

Mengenreduktion

  • Bewusste Bedarfsdefinition
  • Verzicht auf unnötige Komponenten
  • Erhöhung der Material- bzw. Ressourceneffizienz

Langfristig werterhaltend bauen

  • Nutzungen überlagern und verdichten
  • Whole Life Cycle Costs berücksichtigen
  • Adaptionsfähigkeit ermöglichen
  • Rückbaubarkeit ermöglichen (Design für Disassembly)

Einsatz kreislauffähiger Materialien

  • Reduktion des Primärrohstoffbedarfs
  • Reduktion von umweltbelastenden Materialien und Produkten
  • Reduktion von emissionsintensiven Materialien und Produkten

Eine herausragende Referenz für zirkuläres Bauen in der Schweiz ist der Bürobau K118 in Winterthur (https://www.insitu.ch/projekte/196-k118-kopfbau-halle-118), welcher für die Stiftung Abendrot gebaut wurde. Auf dem Lagerplatz Winterthur wurde eine bestehende Lagerhalle aufgestockt und dabei voll auf die Wiederverwendung von Bauteilen gesetzt. Hierbei kehrte sich der klassische Planungsprozess um, sodass nicht das Material nach dem Entwurf bestellt wurde, sondern der Entwurf sich in Abhängigkeit der verfügbaren Materialien und Bauteile iterativ entwickelt hat. Zirkular GmbH als Fachplanungsbüro für zirkuläres Bauen hat die Koordination der Bauteilsuche, -prüfung und -logistik ermöglicht. Zirkuläres Bauen in diesem Sinn führt zur Revision traditioneller Planungsphasen, Prozesse und Rollenverständnisse.

Wiederverwendung führt zu neuem Phasen- und Rollenverständnis
Basil Rudolf, Dipl.Ing.FH, Bautechnik/-physik/-biologie, ReUse Fachexperte bei Zirkular GmbH

Durch diese neuen Planungs- und Bauprozesse entstehen neue Berufsbilder, wie etwa der Beruf des Bauteiljägers, der ReUse Expertin, Bauleiter kreislaufgerechtes Bauen, Bauphysikerin Kreislaufwirtschaft, Bauingenieur Rückbau zur Wiederverwendung oder Fachplanerin ReUse.

Wie sieht das neue Phasenverständnis aus?

In Phase 0 legen Auftraggeber:in, Fachplaner:in oder Architekt:in die Anforderungen fest. Die Fachplanung für ReUse definiert provisorische Suchprofile, die den Bedarf des geplanten Bauprojekts abdecken. Nach einer Freigabe von jetzigen Eigentümern und der Bestätigung der definitiven Anforderungen durch den Auftraggebenden werden in Phase 1 detaillierte Suchprofile durch die Fachplanung ReUse erstellt. Während der Bauteilsuche werden die gefundenen Bauteile auf deren zeitliche Verfügbarkeit geprüft.

Geben die Auftraggebenden die verbindliche Bestellung mit Zielkosten auf, beginnt die Beschaffung, die rechtlich abgesichert werden muss.

Was sind rechtliche und logistische Herausforderungen?

Die rechtliche Absicherung der Weitergabe ist zentral für die Planungssicherheit. Nur so können Projekte kosteneffizient und termingerecht umgesetzt werden. Dies kann durch eine Absichtserklärung und später durch eine Übergabevereinbarung geregelt werden. Weitere rechtliche Herausforderungen bestehen bei der Frage nach Fachplanungsverträgen für ReUse, sowie für die Demontage (Rückbauvertrag und Vereinbarung der Duldung der Demontage durch die Rückbauunternehmung) und die Logistik, während Bauteile von einem Bau zum nächsten gelangen. Kann der Übergabevertrag abgeschlossen werden, wird der Rückbau, die Prüfung, die Einlagerung und anschliessend der Wiedereinbau veranlasst.

Entstehen mehr Kosten oder Erträge durch Bauteilwiederverwendung?

Heute bestehen noch keine Standards für die Übernahme von Bauteilen: teils bekommen Bauteilnehmer Geld, da Entsorgungskosten gespart werden, teils muss für Bauteile gezahlt werden und ein anderes Mal können Bauteile kostenfrei rückgebaut werden.

Zirkular hat die bisherigen Erfahrungen von Bauprojekten mit wiederverwendeten Bauteilen ausgewertet und kommt zum Schluss, dass die Gebäudekosten durch die Wiederverwendung von Bauteilen nicht höher sind als bei der konventionellen Bauweise. Die Aufwendungen für die Bauteilbeschaffung sind in den Materialpreisen eingerechnet. Lediglich die Planungskosten sind 8-15% höher.

Vom Altbau zur urbanen Mine
Dr. Meliha Honic, Postdoctoral Fellow, ETH Zürich

Versteht man Bauwerke nicht mehr als statische, sondern als dynamische Systeme, wird die Stadt zum Bauteillager, zur urbanen Mine und jedes Bauteil ein mögliches Quellobjekt für ein neues Bauvorhaben.

Eine grosse Herausforderung bei der Bauteilsuche stellt häufig der Mangel an Informationen zu Materialien und deren Eigenschaften dar. Die Lösung sind Gebäuderessourcenpässe bzw. Materialpässe, die ein Gebäude qualitativ und quantitativ präzise dokumentieren, sodass die Wiederverwendung von Materialien vereinfacht wird. Dank 3D-Scans bzw. Digitalisierung entstehen grosse Mehrwerte.

Materialpass als Optimierungswerkzeug

Ein besonders grosser Mehrwert entsteht durch die Digitalisierung von Gebäuden in der Planungsphase. So können nicht nur Materialmengen, deren Ort, deren konstruktiver Verbund mit anderen Bauteilen, deren Hersteller, Garantien, Kosten, sondern auch die darin enthaltene graue Energie modelliert werden. Dies trifft sowohl auf Neubauprojekte als auch den Umbau von bestehenden Bauten zu.

Da im Bestand allerdings meist die Daten zu Materialien fehlen, helfen Modelle, die anhand von Wahrscheinlichkeiten die Materialisierung von Gebäuden prognostizieren.

Hohe Dynamik in Richtung Kreislaufwirtschaft

Zusammenfassend kann die Kreislaufwirtschaft also als Schlüssel zur Erreichung der Ambition «Netto-Null» verstanden werden. Bei einigen Pionieren ist das Thema Kreislaufwirtschaft bereits im Alltag angekommen und es wird heute zirkulär gebaut. Dabei muss nicht zwingend mit Mehrkosten durch Bauteilwiederverwendung gerechnet werden. Durch den Handlungsbedarf sind alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette motiviert, die Transformation von linearen zu zirkulären Prozessen voranzutreiben.

In dieser Thematik bietet Wüest Partner folgende Dienstleistungen an
Strategie und Beratung
  • Definition von Anforderungen und Zielen im Bereich Kreislaufwirtschaft für die Projektentwicklung und Planung
  • Szenarioanalysen für konkrete Bauprojekte in Bezug auf Zirkularität, graue Energie, Kosten, Erträge, Risiken
  • Strategien zum Bestandserhalt und -erneuerung
  • Entwicklung von Leitfäden und Konzepten auf Portfolio- oder Unternehmensebene für das Thema Kreislaufwirtschaft
  • Identifikation von Potenzialen und Erarbeitung von Handlungsfeldern
Reporting, Compliance und Training
  • CO2-Absenkpfad
  • Circularity Reporting und Rating, Zertifizierungen
  • Monitoring von Ressourcenverbrauch und grauen Emissionen bei Sanierungen und Neubauten
  • Portfolioanalyse hinsichtlich Ressourcen/Baumaterialien
  • Erstellung von Gebäuderessourcenpässen
  • Schulungen und Kurse

Sind Sie an weiteren Informationen oder einem Austausch interessiert? Hier finden Sie Informationen zu den nächsten Events der Veranstaltungsreihe «Immobilien und Energie». (https://www.wuestpartner.com/ch-de/wuest-academy/immobilien-und-energie/)

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