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Kreis­lauf­wirt­schaft in der Baubranche: der Schlüssel zur Errei­chung von Netto-Null

Letzte Aktualisierung: 10. September 2024

City, Architecture, Building

In der Schweiz entfallen rund 50% des Gesamt­res­sour­cen­ver­brauchs auf die Baubranche. Die Errei­chung der ambitio­nierten Netto-Null-Ziele 2050 erfordert zwingend die Umsetzung zirku­lärer Prinzipien.

Anlässlich eines Wüest Partner Events im Januar 2024 disku­tierten 50 Entscheidungsträger:innen aus der Bau- und Immobi­li­en­wirt­schaft die Trans­for­mation von einer linearen zu einer zirku­lären Bauwirt­schaft.

Von nachhal­tiger zu zirku­lärer Wertschöpfung
Keynote von Martin Pauli, Global Circular Economy Services Leader bei ARUP

Die Bauwirt­schaft hat durch den hohen Ressour­cen­ver­brauch einen massgeb­lichen Einfluss auf die Zukunft unserer Ökosysteme. Dabei sollte der Anspruch über den Ressourcen-Erhalt und nachhal­tiges Wirtschaften hinaus­gehen. Denn eine adaptive und regene­rative Bauwirt­schaft, die nicht nur ökolo­gische Einbussen verhindert, sondern ökolo­gische Gewinne ermög­licht, ist das Ziel.

Politik als Treiber der Trans­for­mation

Entlang der Wertschöp­fungs­kette sind verschiedene Haltungen zum Thema Kreis­lauf­wirt­schaft zu beobachten. Klar ist jedoch mittler­weile, dass der Trend hin zu einer zuneh­menden politi­schen Regulierung geht. Der politische Hebel beginnt bei Report­ing­pflichten und reicht hin zu Emissions-Grenzwerten, die einige europäische Länder bereits definiert haben, darunter die Nieder­lande, Dänemark, Frank­reich und Finnland. Die Ambition, bis spätestens 2050 Netto-Null zu erreichen, ist nur durch die Umsetzung zirku­lärer Prinzipien zu erreichen.

Hebel im zirku­lären Neubau

Um diese Ambition zu erreichen, gibt es drei Handlungs­felder:

Mengen­re­duktion

  • Bewusste Bedarfs­de­fi­nition
  • Verzicht auf unnötige Kompo­nenten
  • Erhöhung der Material- bzw. Ressour­cen­ef­fi­zienz

Langfristig werterhaltend bauen

  • Nutzungen überlagern und verdichten
  • Whole Life Cycle Costs berück­sich­tigen
  • Adapti­ons­fä­higkeit ermög­lichen
  • Rückbau­barkeit ermög­lichen (Design für Disas­sembly)

Einsatz kreis­lauf­fä­higer Materialien

  • Reduktion des Primär­roh­stoff­be­darfs
  • Reduktion von umwelt­be­las­tenden Materialien und Produkten
  • Reduktion von emissi­ons­in­ten­siven Materialien und Produkten

Eine heraus­ra­gende Referenz für zirku­läres Bauen in der Schweiz ist der Bürobau K118 in Winterthur (https://www.insitu.ch/projekte/196-k118-kopfbau-halle-118), welcher für die Stiftung Abendrot gebaut wurde. Auf dem Lager­platz Winterthur wurde eine bestehende Lager­halle aufge­stockt und dabei voll auf die Wieder­ver­wendung von Bauteilen gesetzt. Hierbei kehrte sich der klassische Planungs­prozess um, sodass nicht das Material nach dem Entwurf bestellt wurde, sondern der Entwurf sich in Abhän­gigkeit der verfüg­baren Materialien und Bauteile iterativ entwi­ckelt hat. Zirkular GmbH als Fachpla­nungsbüro für zirku­läres Bauen hat die Koordi­nation der Bauteil­suche, ‑prüfung und ‑logistik ermög­licht. Zirku­läres Bauen in diesem Sinn führt zur Revision tradi­tio­neller Planungs­phasen, Prozesse und Rollen­ver­ständ­nisse.

Wieder­ver­wendung führt zu neuem Phasen- und Rollen­ver­ständnis
Basil Rudolf, Dipl.Ing.FH, Bautechnik/-physik/-biologie, ReUse Fachex­perte bei Zirkular GmbH

Durch diese neuen Planungs- und Baupro­zesse entstehen neue Berufs­bilder, wie etwa der Beruf des Bauteil­jägers, der ReUse Expertin, Bauleiter kreis­lauf­ge­rechtes Bauen, Bauphy­si­kerin Kreis­lauf­wirt­schaft, Bauin­ge­nieur Rückbau zur Wieder­ver­wendung oder Fachpla­nerin ReUse.

Wie sieht das neue Phasen­ver­ständnis aus?

In Phase 0 legen Auftraggeber:in, Fachplaner:in oder Architekt:in die Anfor­de­rungen fest. Die Fachplanung für ReUse definiert provi­so­rische Suchprofile, die den Bedarf des geplanten Baupro­jekts abdecken. Nach einer Freigabe von jetzigen Eigen­tümern und der Bestä­tigung der defini­tiven Anfor­de­rungen durch den Auftrag­ge­benden werden in Phase 1 detail­lierte Suchprofile durch die Fachplanung ReUse erstellt. Während der Bauteil­suche werden die gefun­denen Bauteile auf deren zeitliche Verfüg­barkeit geprüft.

Geben die Auftrag­ge­benden die verbind­liche Bestellung mit Zielkosten auf, beginnt die Beschaffung, die rechtlich abgesi­chert werden muss.

Was sind recht­liche und logis­tische Heraus­for­de­rungen?

Die recht­liche Absicherung der Weitergabe ist zentral für die Planungs­si­cherheit. Nur so können Projekte kosten­ef­fi­zient und termin­ge­recht umgesetzt werden. Dies kann durch eine Absichts­er­klärung und später durch eine Überga­be­ver­ein­barung geregelt werden. Weitere recht­liche Heraus­for­de­rungen bestehen bei der Frage nach Fachpla­nungs­ver­trägen für ReUse, sowie für die Demontage (Rückbau­vertrag und Verein­barung der Duldung der Demontage durch die Rückbau­un­ter­nehmung) und die Logistik, während Bauteile von einem Bau zum nächsten gelangen. Kann der Überga­be­vertrag abgeschlossen werden, wird der Rückbau, die Prüfung, die Einla­gerung und anschliessend der Wieder­einbau veran­lasst.

Entstehen mehr Kosten oder Erträge durch Bauteil­wie­der­ver­wendung?

Heute bestehen noch keine Standards für die Übernahme von Bauteilen: teils bekommen Bauteil­nehmer Geld, da Entsor­gungs­kosten gespart werden, teils muss für Bauteile gezahlt werden und ein anderes Mal können Bauteile kostenfrei rückgebaut werden.

Zirkular hat die bishe­rigen Erfah­rungen von Baupro­jekten mit wieder­ver­wen­deten Bauteilen ausge­wertet und kommt zum Schluss, dass die Gebäu­de­kosten durch die Wieder­ver­wendung von Bauteilen nicht höher sind als bei der konven­tio­nellen Bauweise. Die Aufwen­dungen für die Bauteil­be­schaffung sind in den Materi­al­preisen einge­rechnet. Lediglich die Planungs­kosten sind 8–15% höher.

Vom Altbau zur urbanen Mine
Dr. Meliha Honic, Postdoc­toral Fellow, ETH Zürich

Versteht man Bauwerke nicht mehr als statische, sondern als dynamische Systeme, wird die Stadt zum Bauteil­lager, zur urbanen Mine und jedes Bauteil ein mögliches Quell­objekt für ein neues Bauvor­haben.

Eine grosse Heraus­for­derung bei der Bauteil­suche stellt häufig der Mangel an Infor­ma­tionen zu Materialien und deren Eigen­schaften dar. Die Lösung sind Gebäu­deres­sour­cen­pässe bzw. Materi­al­pässe, die ein Gebäude quali­tativ und quanti­tativ präzise dokumen­tieren, sodass die Wieder­ver­wendung von Materialien verein­facht wird. Dank 3D-Scans bzw. Digita­li­sierung entstehen grosse Mehrwerte.

Materi­alpass als Optimie­rungs­werkzeug

Ein besonders grosser Mehrwert entsteht durch die Digita­li­sierung von Gebäuden in der Planungs­phase. So können nicht nur Materi­al­mengen, deren Ort, deren konstruk­tiver Verbund mit anderen Bauteilen, deren Hersteller, Garantien, Kosten, sondern auch die darin enthaltene graue Energie model­liert werden. Dies trifft sowohl auf Neubau­pro­jekte als auch den Umbau von bestehenden Bauten zu.

Da im Bestand aller­dings meist die Daten zu Materialien fehlen, helfen Modelle, die anhand von Wahrschein­lich­keiten die Materia­li­sierung von Gebäuden prognos­ti­zieren.

Hohe Dynamik in Richtung Kreis­lauf­wirt­schaft

Zusam­men­fassend kann die Kreis­lauf­wirt­schaft also als Schlüssel zur Errei­chung der Ambition «Netto-Null» verstanden werden. Bei einigen Pionieren ist das Thema Kreis­lauf­wirt­schaft bereits im Alltag angekommen und es wird heute zirkulär gebaut. Dabei muss nicht zwingend mit Mehrkosten durch Bauteil­wie­der­ver­wendung gerechnet werden. Durch den Handlungs­bedarf sind alle Akteure entlang der Wertschöp­fungs­kette motiviert, die Trans­for­mation von linearen zu zirku­lären Prozessen voran­zu­treiben.

In dieser Thematik bietet Wüest Partner folgende Dienst­leis­tungen an
Strategie und Beratung
  • Definition von Anfor­de­rungen und Zielen im Bereich Kreis­lauf­wirt­schaft für die Projekt­ent­wicklung und Planung
  • Szena­rio­ana­lysen für konkrete Baupro­jekte in Bezug auf Zirku­la­rität, graue Energie, Kosten, Erträge, Risiken
  • Strategien zum Bestands­erhalt und ‑erneuerung
  • Entwicklung von Leitfäden und Konzepten auf Portfolio- oder Unter­neh­mens­ebene für das Thema Kreis­lauf­wirt­schaft
  • Identi­fi­kation von Poten­zialen und Erarbeitung von Handlungs­feldern
Reporting, Compliance und Training
  • CO2-Absenkpfad
  • Circu­larity Reporting und Rating, Zerti­fi­zie­rungen
  • Monitoring von Ressour­cen­ver­brauch und grauen Emissionen bei Sanie­rungen und Neubauten
  • Portfo­lio­analyse hinsichtlich Ressourcen/Baumaterialien
  • Erstellung von Gebäu­deres­sour­cen­pässen
  • Schulungen und Kurse

Sind Sie an weiteren Infor­ma­tionen oder einem Austausch inter­es­siert? Hier finden Sie Infor­ma­tionen zu den nächsten Events der Veran­stal­tungs­reihe «Immobilien und Energie». (https://www.wuestpartner.com/ch-de/wuest-academy/immobilien-und-energie/)

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