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Erneuerungsstrategien unter Berücksichtigung von Ökonomie und Ökologie

23. August 2022

Office Building, Building, High Rise

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Die Eigentümer:innen von Immobilien bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen der gesetzlichen Verpflichtung, die Treibhausgasemissionen bis spätestens 2050 auf null zu senken, und dem Streben danach, im Sinne der Anleger die bestmögliche Rendite zu erzielen. Wie aber können sie diese beiden Ziele unter einen Hut bringen und eine umfassende und nachhaltige Strategie für ihr Portfolio finden? Unser Vorschlag sieht vor, die Treibhausgasemissionen mit einem Preis zu versehen. Dabei werden sowohl die Emissionen berücksichtigt, die beim Betrieb von Immobilien entstehen, als auch die sogenannte graue Energie, die anfällt, wenn Immobilien neu gebaut, um- und ausgebaut, abgebrochen oder saniert werden. Wie diese Vollkostenrechnung funktioniert, wird in diesem Artikel dargelegt.

Ausgangslage

Noch bleiben knapp 30 Jahre, bis die Schweiz die Treibhausgasemissionen auf null gesenkt haben muss. Spätestens im Jahr 2050 soll es so weit sein. Die Immobilienwirtschaft muss nun handeln, schliesslich geht derzeit noch über ein Viertel der Treibhausgasemissionen auf das Konto von Immobilien. Es gilt, die Planung jetzt in die Hand zu nehmen: 30 Jahre – das entspricht bei Immobilien in etwa einem Sanierungszyklus.

Wüest Partner ist der Frage nachgegangen, wie sich Eigentümer:innen von Immobilienportfolios in diesem Spannungsfeld am besten bewegen. Typischerweise unterscheiden sich die einzelnen Liegenschaften innerhalb eines Portfolios stark. In diesem Zusammenhang entscheidend sind einerseits das Alter der Liegenschaft beziehungsweise der Zeitpunkt der letzten Sanierung und die dabei vorgenommenen Massnahmen; andererseits sollen auch allfällige Ausnützungsreserven und somit eine Verdichtung auf der bestehenden Parzelle in die Planung miteinbezogen werden.

Normstrategien

Grundsätzlich stehen für Bestandesliegenschaften vier Normstrategien zur Verfügung. Der Entscheid für eine dieser 4 Strategie hat grosse Konsequenzen, sowohl ökonomische als auf ökologische.

0. Fortführung

Diese Strategie entspricht einer Fortführung des heutigen Bestandes, das heisst, es werden keine energetischen Sanierungen vorgenommen. Diese Strategie ist keine echte Handlungsoption, da der betrachtete Zeitraum von knapp 30 Jahren so lang ist, dass es nicht viele Liegenschaften geben wird, die ohne Instandsetzungsmassnahmen oder energetische Sanierungen sowohl die wirtschaftlichen Ziele des Investors als auch die ökologischen Vorgaben des Gesetzgebers erreichen können.

1. Energetische Sanierung

Eine Substitution des fossilen Wärmeerzeugers, kombiniert mit notwendigen energetischen Sanierungsmassnahmen (zum Beispiel Einbau neuer Fenster oder Dämmmassnahmen bei Fassade, Kellerdecken und Dach) sowie allenfalls mit dem Einbau einer Photovoltaikanlage, ist in den meisten Fällen die Strategie der Wahl, wenn keine oder nur sehr geringe Ausnützungsreserven bestehen.

2. Erweiterung

Erweiterungen (Ausbau, Anbau, Aufbau, Zusatzbau) werden in Betracht gezogen, wenn auf dem Grundstück gemäss aktuellem Zonenplan Nutzungsreserven vorhanden sind. Des Weiteren wird bei dieser Strategie angenommen, dass die bereits bestehenden Gebäude gleichzeitig einer energetischen Sanierung unterzogen werden.

3. Ersatzneubau

Ersatzneubauten kommen grundsätzlich nur infrage, wenn das bestehende Gebäude ein gewisses Alter aufweist (Baujahr vor 2000), da ansonsten ein Ersatzneubau aufgrund der vernichteten Substanz selten die beste Wahl sein wird, weder ökonomisch noch ökologisch.

Bei allen Strategien wird davon ausgegangen, dass die durchzuführenden baulichen Massnahmen den Vorgaben einer nachhaltigen Bauweise entsprechen und dass die Gebäude nach Abschluss der Arbeiten, unabhängig von der gewählten Strategie, keine Treibhausgase (mehr) ausstossen.

Wirtschaftliche Berechnung der Wertreserve

Um die wirtschaftliche Komponente der Vollkostenrechnung zu berechnen, wird für jede Normstrategie die Wertreserve berechnet.

1. Energetische Sanierung

Bei einer energetischen Sanierung fallen Investitionskosten an, dafür erhöhen sich die Mieterträge um 3 Komponenten:

  • Eingesparte Nebenkosten führen bei einer Neuvermietung zu einem höheren Ertragspotenzial (vgl. die Studie «Energetische Sanierungen: 3 Gewinner»). Das liegt daran, dass die Zahlungsbereitschaft von Mieter:innen sich an der Bruttomiete orientiert, also an der Summe aus Nettomiete und Nebenkosten. Aufgrund der gesunkenen Nebenkosten können Eigentümer:innen die Nettomiete erhöhen und so ihren Ertrag steigern, ohne dass Mieter:innen eine Mietzinserhöhung erfahren.
  • Die Überwälzung der Investitionskosten führt zu einer höheren Bestandesmiete (Überwälzung gemäss Mietrecht).
  • Die Marktmiete für die nun höherwertige energetisch sanierte Liegenschaft liegt häufig über der Bestandesmiete nach Überwälzung der Investitionskosten. Bei einem Mieterwechsel kann die Miete entsprechend erhöht und an die Marktverhältnisse angepasst werden.

2. Erweiterung

Für die neu gebauten Flächen gilt: Kapitalisierter Ertragswert aus der Vermietung minus Baukosten minus Erstvermietungskosten minus Risikoentschädigung. Für die bereits bestehenden Flächen gelten die gleichen Effekte wie bei der energetischen Sanierung (s. oben).

3. Ersatzneubau

Für den Ersatzneubau gilt: Kapitalisierter Ertragswert aus der Vermietung des Neubaus minus Baukosten minus Abbruchkosten minus Erstvermietungskosten minus Risikoentschädigung minus Ertragsausfall während der Bauphase.

Die zusätzlichen Erträge werden kapitalisiert, um sie mit den Investitionskosten vergleichbar zu machen. Bei jedem der drei beschriebenen Strategien wird berücksichtigt, dass der Diskontierungssatz bei einer nachhaltig betriebenen Liegenschaft tiefer ausfällt als bei einer älteren, nicht sanierten Liegenschaft. Für einen tieferen Diskontierungssatz gibt es mehrere Gründe: Die Cashflows können besser geplant werden; der Wert der Mieterträge auf dem Transaktionsmarkt steigt; nach einer energetischen Sanierung wird eine Liegenschaft für Investor:innen interessanter (vgl. dazu die Studie «Die Wirkung von Nachhaltigkeit auf Immobilienwerte»); das Risiko, dass eine Liegenschaft zu einem «Stranded Asset» wird, kann verhindert werden.

Einschätzung der CO2-Bilanz

Das Thema Kreislaufwirtschaft gewinnt laufend an Bedeutung. Bei einer modernen ökologischen Optimierung gilt es daher, nicht nur die im Betrieb der Immobilien entstehenden Treibhausgasemissionen zu berücksichtigen, sondern auch die grauen Emissionen, die entstehen, wenn Immobilen neu gebaut, um- und ausgebaut, abgebrochen oder saniert werden.

Für die Emissionen aus dem laufenden Betrieb werden die C02-Äquivalente in Tonnen pro Jahr berechnet. Berücksichtigt werden die Beheizung der Liegenschaft sowie ihr Stromverbrauch. Die eingesparten Emissionen sind bei energetischen Sanierungen, Erweiterungen (inkl. energetischer Sanierung) und Ersatzneubauten ähnlich hoch.

Die als Folge der baulichen Massnahmen entstehenden grauen Treibhausgasemissionen werden ebenfalls berechnet. Diese sind naturgemäss klar am grössten bei Ersatzneubauten. Auch Erweiterungen verursachen substanzielle Mengen an grauen Emissionen. Energetische Sanierungen sind in dieser Hinsicht viel klimaschonender.

Um die ökonomischen und ökologischen Kriterien direkt miteinander vergleichbar zu machen, werden die CO2-Emissionen mit einem Preis versehen. Wüest Partner stützt sich bei der Berechnung dieses Preises unter anderem auf die Höhe der CO2-Abgabe, den Preis für CO2-Zertifikate und die Kosten für die Filterung von CO2 aus der Luft.

Ergebnisse

Wüest Partner hat im Rahmen eines Kundenmandats die Berechnungen für ein ganzes Portfolio durchgeführt. Dabei können die Resultate nach zwei verschiedenen Vorgehensweisen interpretiert werden:

  • Absolut:
    Hier wird der absolute Mehrwert berechnet (nach Vollendung der baulichen Massnahmen und unter Berücksichtigung der neu verursachten und der eingesparten Treibhausgasemissionen).
  • Relativ:
    Bei dieser Betrachtungsweise wird untersucht, mit welcher Strategie man den höchsten Gegenwert pro investiertem Franken erzielt. Dazu wird der absolute Mehrwert durch die Investitionskosten dividiert.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass eine energetische Sanierung in der Mehrzahl der Fälle das beste Resultat zeitigt, sowohl in der absoluten als auch in der relativen Betrachtung. Der Hauptgrund dafür sind die wesentlich tieferen grauen Emissionen sowie die tieferen Investitionskosten. Je höher der C02-Preis veranschlagt wird, desto häufiger sind energetische Sanierungen die Strategie der Wahl. Je grösser aber die Ausnützungsreserven und je älter die Bestandesliegenschaften sind, desto interessanter werden Erweiterungen und Ersatzneubauten – dies jedoch vor allem in der absoluten Betrachtung. Relativ zu den Investitionskosten gesehen ist bei energetischen Sanierungen der investierte Franken in einigen Fällen sogar dann mehr wert, wenn Ausnützungsreserven vorhanden sind. Denn es gilt zu beachten: Bezüglich der Emissionen aus dem laufenden Betrieb unterscheiden sich die drei Normstrategien kaum: Nach Abschluss der baulichen Massnahmen sinken die Emissionen in allen drei Fällen auf einen Bruchteil des früheren Werts. Der Unterschied bei der C02-Bilanz zwischen den drei infrage kommenden Strategien ist auf die grauen Emissionen zurückzuführen.

Mit der Umsetzung der gewählten Erneuerungsstrategie verändert sich sowohl der Wert einer Liegenschaft als auch ihre C02-Bilanz. Beim erwähnten Kundenmandat ergaben sich folgende Ergebnisse:

  • Ökonomie:
    Aus ökonomischer Perspektive wurde eine durchschnittliche Wertreserve von rund 2 Millionen Franken pro Liegenschaft errechnet. Mit anderen Worten: Bei der Umsetzung der jeweils am besten geeigneten der drei infrage kommenden Normstrategien würde im Durchschnitt ein Mehrwert von rund 2 Millionen Franken pro Liegenschaft geschaffen. Die Investitionskosten betragen im Mittel knapp 4 Millionen Franken pro Liegenschaft.
  • Ökologie:
    Aus ökologischer Sicht würde nach Umsetzung der am besten geeigneten Normstrategie jede Liegenschaft während der darauffolgenden 30 Jahre insgesamt rund 2600 Tonnen C02 weniger ausstossen. Die baulichen Massnahmen würden durchschnittlich ca. 700 Tonnen an grauen Emissionen auslösen. Insgesamt würden pro Liegenschaft also knapp 2000 Tonnen CO2 gespart.
  • Ökonomie und Ökologie:
    Wenn man den ökonomischen mit dem ökologischen Mehrwert vergleicht, wird klar, wie wichtig der Preis ist, der für eine Tonne C02 veranschlagt wird. Wenn man von 200 Franken pro Tonne C02 ausgeht, beträgt der ökologische Mehrwert 0.4 Millionen und damit 20% des ökonomischen Mehrwerts. Bei einem C02-Preis von 1000 Franken wäre ein Gleichgewicht erreicht.

Zu beachten ist, dass bei einer Gesamtbetrachtung auch ein tiefer dreistelliger C02-Preis bei einigen Liegenschaften schon Konsequenzen hat. Gewisse Erweiterungen und erst recht einige Ersatzneubauten lohnen sich im Vergleich mit einer energetischen Sanierung nach einer Einpreisung der grauen Emissionen nicht mehr. Und je höher der C02-Preis veranschlagt wird, desto stärker schlägt das Pendel Richtung energetische Sanierung aus, auch wenn aus rein ökonomischer Sicht ein Ersatzneubau oder eine Erweiterung vorteilhafter wäre.

Dienstleistungen von Wüest Partner

Die Dienstleistungen, die Wüest Partner im Spannungsfeld rund um Nachhaltigkeitsziele und die Realisierung von Nutzungsreserven anbietet, folgen dem in diesem Artikel skizzierten Vorgehen: Für jede Liegenschaft werden die Auswirkungen der einzelnen Normstrategien berechnet und, darauf aufbauend, die geeignete Strategie eruiert. Danach wird festgelegt, wann idealerweise welcher Eingriff erfolgen sollte. Bei der Erarbeitung des genauen Zeitplans werden die Verfügbarkeit der finanziellen Mittel (jährliches Investitionsvolumen) sowie die personellen Ressourcen des Kunden berücksichtigt.

Weitere Informationen

Folgende Blogartikel befassen sich ebenfalls mit dem Zusammenhang zwischen Immobilienwerten und Nachhaltigkeit:

Energetische Sanierungen: 3 Gewinner

Die Wirkung von Nachhaltigkeit auf Immobilienwerte

Investorenumfrage zur Wertrelevanz der Nachhaltigkeit

10 Faktoren, die den Wert von nachhaltigen Liegenschaften beeinflussen

Hinweis:  Holen Sie sich Wissen für die Praxis in der Wüest Academy

Vertiefte Einblicke zum Thema nachhaltige Liegenschaften bietet Ihnen der viertägige Fachkurs «Nachhaltigkeit für Immobilien-Profis». Dieser Kurs ist ein Angebot der Wüest Academy und findet in regelmässigen Abständen statt, das nächste Mal vom 12. bis 27. Januar 2023 in Zürich.

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