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Erneue­rungs­stra­tegien unter Berück­sich­tigung von Ökonomie und Ökologie

Letzte Aktualisierung: 13. September 2024

Die Eigentümer:innen von Immobilien bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen der gesetz­lichen Verpflichtung, die Treib­haus­gas­emis­sionen bis spätestens 2050 auf null zu senken, und dem Streben danach, im Sinne der Anleger die bestmög­liche Rendite zu erzielen. Wie aber können sie diese beiden Ziele unter einen Hut bringen und eine umfas­sende und nachhaltige Strategie für ihr Portfolio finden? Unser Vorschlag sieht vor, die Treib­haus­gas­emis­sionen mit einem Preis zu versehen. Dabei werden sowohl die Emissionen berück­sichtigt, die beim Betrieb von Immobilien entstehen, als auch die sogenannte graue Energie, die anfällt, wenn Immobilien neu gebaut, um- und ausgebaut, abgebrochen oder saniert werden. Wie diese Vollkos­ten­rechnung funktio­niert, wird in diesem Artikel dargelegt.

Ausgangslage

Noch bleiben knapp 30 Jahre, bis die Schweiz die Treib­haus­gas­emis­sionen auf null gesenkt haben muss. Spätestens im Jahr 2050 soll es so weit sein. Die Immobi­li­en­wirt­schaft muss nun handeln, schliesslich geht derzeit noch über ein Viertel der Treib­haus­gas­emis­sionen auf das Konto von Immobilien. Es gilt, die Planung jetzt in die Hand zu nehmen: 30 Jahre – das entspricht bei Immobilien in etwa einem Sanie­rungs­zyklus.

Wüest Partner ist der Frage nachge­gangen, wie sich Eigentümer:innen von Immobi­li­en­port­folios in diesem Spannungsfeld am besten bewegen. Typischer­weise unter­scheiden sich die einzelnen Liegen­schaften innerhalb eines Portfolios stark. In diesem Zusam­menhang entscheidend sind einer­seits das Alter der Liegen­schaft bezie­hungs­weise der Zeitpunkt der letzten Sanierung und die dabei vorge­nom­menen Massnahmen; anderer­seits sollen auch allfällige Ausnüt­zungs­re­serven und somit eine Verdichtung auf der bestehenden Parzelle in die Planung mitein­be­zogen werden.

Normstra­tegien

Grund­sätzlich stehen für Bestan­des­lie­gen­schaften vier Normstra­tegien zur Verfügung. Der Entscheid für eine dieser 4 Strategie hat grosse Konse­quenzen, sowohl ökono­mische als auf ökolo­gische.

0. Fortführung

Diese Strategie entspricht einer Fortführung des heutigen Bestandes, das heisst, es werden keine energe­ti­schen Sanie­rungen vorge­nommen. Diese Strategie ist keine echte Handlungs­option, da der betrachtete Zeitraum von knapp 30 Jahren so lang ist, dass es nicht viele Liegen­schaften geben wird, die ohne Instand­set­zungs­mass­nahmen oder energe­tische Sanie­rungen sowohl die wirtschaft­lichen Ziele des Investors als auch die ökolo­gi­schen Vorgaben des Gesetz­gebers erreichen können.

1. Energe­tische Sanierung

Eine Substi­tution des fossilen Wärme­er­zeugers, kombi­niert mit notwen­digen energe­ti­schen Sanie­rungs­mass­nahmen (zum Beispiel Einbau neuer Fenster oder Dämmmass­nahmen bei Fassade, Keller­decken und Dach) sowie allen­falls mit dem Einbau einer Photo­vol­ta­ik­anlage, ist in den meisten Fällen die Strategie der Wahl, wenn keine oder nur sehr geringe Ausnüt­zungs­re­serven bestehen.

2. Erwei­terung

Erwei­te­rungen (Ausbau, Anbau, Aufbau, Zusatzbau) werden in Betracht gezogen, wenn auf dem Grund­stück gemäss aktuellem Zonenplan Nutzungs­re­serven vorhanden sind. Des Weiteren wird bei dieser Strategie angenommen, dass die bereits bestehenden Gebäude gleich­zeitig einer energe­ti­schen Sanierung unter­zogen werden.

3. Ersatz­neubau

Ersatz­neu­bauten kommen grund­sätzlich nur infrage, wenn das bestehende Gebäude ein gewisses Alter aufweist (Baujahr vor 2000), da ansonsten ein Ersatz­neubau aufgrund der vernich­teten Substanz selten die beste Wahl sein wird, weder ökono­misch noch ökolo­gisch.

Bei allen Strategien wird davon ausge­gangen, dass die durch­zu­füh­renden baulichen Massnahmen den Vorgaben einer nachhal­tigen Bauweise entsprechen und dass die Gebäude nach Abschluss der Arbeiten, unabhängig von der gewählten Strategie, keine Treib­hausgase (mehr) ausstossen.

Wirtschaft­liche Berechnung der Wertre­serve

Um die wirtschaft­liche Kompo­nente der Vollkos­ten­rechnung zu berechnen, wird für jede Normstra­tegie die Wertre­serve berechnet.

1. Energe­tische Sanierung

Bei einer energe­ti­schen Sanierung fallen Inves­ti­ti­ons­kosten an, dafür erhöhen sich die Mieterträge um 3 Kompo­nenten:

  • Einge­sparte Neben­kosten führen bei einer Neuver­mietung zu einem höheren Ertrags­po­tenzial (vgl. die Studie «Energe­tische Sanie­rungen: 3 Gewinner»). Das liegt daran, dass die Zahlungs­be­reit­schaft von Mieter:innen sich an der Brutto­miete orien­tiert, also an der Summe aus Netto­miete und Neben­kosten. Aufgrund der gesun­kenen Neben­kosten können Eigentümer:innen die Netto­miete erhöhen und so ihren Ertrag steigern, ohne dass Mieter:innen eine Mietzins­er­höhung erfahren.
  • Die Überwälzung der Inves­ti­ti­ons­kosten führt zu einer höheren Bestan­des­miete (Überwälzung gemäss Mietrecht).
  • Die Markt­miete für die nun höher­wertige energe­tisch sanierte Liegen­schaft liegt häufig über der Bestan­des­miete nach Überwälzung der Inves­ti­ti­ons­kosten. Bei einem Mieter­wechsel kann die Miete entspre­chend erhöht und an die Markt­ver­hält­nisse angepasst werden.

2. Erwei­terung

Für die neu gebauten Flächen gilt: Kapita­li­sierter Ertragswert aus der Vermietung minus Baukosten minus Erstver­mie­tungs­kosten minus Risikoent­schä­digung. Für die bereits bestehenden Flächen gelten die gleichen Effekte wie bei der energe­ti­schen Sanierung (s. oben).

3. Ersatz­neubau

Für den Ersatz­neubau gilt: Kapita­li­sierter Ertragswert aus der Vermietung des Neubaus minus Baukosten minus Abbruch­kosten minus Erstver­mie­tungs­kosten minus Risikoent­schä­digung minus Ertrags­ausfall während der Bauphase.

Die zusätz­lichen Erträge werden kapita­li­siert, um sie mit den Inves­ti­ti­ons­kosten vergleichbar zu machen. Bei jedem der drei beschrie­benen Strategien wird berück­sichtigt, dass der Diskon­tie­rungssatz bei einer nachhaltig betrie­benen Liegen­schaft tiefer ausfällt als bei einer älteren, nicht sanierten Liegen­schaft. Für einen tieferen Diskon­tie­rungssatz gibt es mehrere Gründe: Die Cashflows können besser geplant werden; der Wert der Mieterträge auf dem Trans­ak­ti­ons­markt steigt; nach einer energe­ti­schen Sanierung wird eine Liegen­schaft für Investor:innen inter­es­santer (vgl. dazu die Studie «Die Wirkung von Nachhal­tigkeit auf Immobi­li­en­werte»); das Risiko, dass eine Liegen­schaft zu einem «Stranded Asset» wird, kann verhindert werden.

Einschätzung der CO2-Bilanz

Das Thema Kreis­lauf­wirt­schaft gewinnt laufend an Bedeutung. Bei einer modernen ökolo­gi­schen Optimierung gilt es daher, nicht nur die im Betrieb der Immobilien entste­henden Treib­haus­gas­emis­sionen zu berück­sich­tigen, sondern auch die grauen Emissionen, die entstehen, wenn Immobilen neu gebaut, um- und ausgebaut, abgebrochen oder saniert werden.

Für die Emissionen aus dem laufenden Betrieb werden die C02-Äquiva­lente in Tonnen pro Jahr berechnet. Berück­sichtigt werden die Beheizung der Liegen­schaft sowie ihr Strom­ver­brauch. Die einge­sparten Emissionen sind bei energe­ti­schen Sanie­rungen, Erwei­te­rungen (inkl. energe­ti­scher Sanierung) und Ersatz­neu­bauten ähnlich hoch.

Die als Folge der baulichen Massnahmen entste­henden grauen Treib­haus­gas­emis­sionen werden ebenfalls berechnet. Diese sind natur­gemäss klar am grössten bei Ersatz­neu­bauten. Auch Erwei­te­rungen verur­sachen substan­zielle Mengen an grauen Emissionen. Energe­tische Sanie­rungen sind in dieser Hinsicht viel klima­scho­nender.

Um die ökono­mi­schen und ökolo­gi­schen Kriterien direkt mitein­ander vergleichbar zu machen, werden die CO2-Emissionen mit einem Preis versehen. Wüest Partner stützt sich bei der Berechnung dieses Preises unter anderem auf die Höhe der CO2-Abgabe, den Preis für CO2-Zerti­fikate und die Kosten für die Filterung von CO2 aus der Luft.

Ergeb­nisse

Wüest Partner hat im Rahmen eines Kunden­mandats die Berech­nungen für ein ganzes Portfolio durch­ge­führt. Dabei können die Resultate nach zwei verschie­denen Vorge­hens­weisen inter­pre­tiert werden:

  • Absolut:
    Hier wird der absolute Mehrwert berechnet (nach Vollendung der baulichen Massnahmen und unter Berück­sich­tigung der neu verur­sachten und der einge­sparten Treib­haus­gas­emis­sionen).
  • Relativ:
    Bei dieser Betrach­tungs­weise wird unter­sucht, mit welcher Strategie man den höchsten Gegenwert pro inves­tiertem Franken erzielt. Dazu wird der absolute Mehrwert durch die Inves­ti­ti­ons­kosten dividiert.

Grund­sätzlich ist zu sagen, dass eine energe­tische Sanierung in der Mehrzahl der Fälle das beste Resultat zeitigt, sowohl in der absoluten als auch in der relativen Betrachtung. Der Haupt­grund dafür sind die wesentlich tieferen grauen Emissionen sowie die tieferen Inves­ti­ti­ons­kosten. Je höher der C02-Preis veran­schlagt wird, desto häufiger sind energe­tische Sanie­rungen die Strategie der Wahl. Je grösser aber die Ausnüt­zungs­re­serven und je älter die Bestan­des­lie­gen­schaften sind, desto inter­es­santer werden Erwei­te­rungen und Ersatz­neu­bauten – dies jedoch vor allem in der absoluten Betrachtung. Relativ zu den Inves­ti­ti­ons­kosten gesehen ist bei energe­ti­schen Sanie­rungen der inves­tierte Franken in einigen Fällen sogar dann mehr wert, wenn Ausnüt­zungs­re­serven vorhanden sind. Denn es gilt zu beachten: Bezüglich der Emissionen aus dem laufenden Betrieb unter­scheiden sich die drei Normstra­tegien kaum: Nach Abschluss der baulichen Massnahmen sinken die Emissionen in allen drei Fällen auf einen Bruchteil des früheren Werts. Der Unter­schied bei der C02-Bilanz zwischen den drei infrage kommenden Strategien ist auf die grauen Emissionen zurück­zu­führen.

Mit der Umsetzung der gewählten Erneue­rungs­stra­tegie verändert sich sowohl der Wert einer Liegen­schaft als auch ihre C02-Bilanz. Beim erwähnten Kunden­mandat ergaben sich folgende Ergeb­nisse:

  • Ökonomie:
    Aus ökono­mi­scher Perspektive wurde eine durch­schnitt­liche Wertre­serve von rund 2 Millionen Franken pro Liegen­schaft errechnet. Mit anderen Worten: Bei der Umsetzung der jeweils am besten geeig­neten der drei infrage kommenden Normstra­tegien würde im Durch­schnitt ein Mehrwert von rund 2 Millionen Franken pro Liegen­schaft geschaffen. Die Inves­ti­ti­ons­kosten betragen im Mittel knapp 4 Millionen Franken pro Liegen­schaft.
  • Ökologie:
    Aus ökolo­gi­scher Sicht würde nach Umsetzung der am besten geeig­neten Normstra­tegie jede Liegen­schaft während der darauf­fol­genden 30 Jahre insgesamt rund 2600 Tonnen C02 weniger ausstossen. Die baulichen Massnahmen würden durch­schnittlich ca. 700 Tonnen an grauen Emissionen auslösen. Insgesamt würden pro Liegen­schaft also knapp 2000 Tonnen CO2 gespart.
  • Ökonomie und Ökologie:
    Wenn man den ökono­mi­schen mit dem ökolo­gi­schen Mehrwert vergleicht, wird klar, wie wichtig der Preis ist, der für eine Tonne C02 veran­schlagt wird. Wenn man von 200 Franken pro Tonne C02 ausgeht, beträgt der ökolo­gische Mehrwert 0.4 Millionen und damit 20% des ökono­mi­schen Mehrwerts. Bei einem C02-Preis von 1000 Franken wäre ein Gleich­ge­wicht erreicht.

Zu beachten ist, dass bei einer Gesamt­be­trachtung auch ein tiefer dreistel­liger C02-Preis bei einigen Liegen­schaften schon Konse­quenzen hat. Gewisse Erwei­te­rungen und erst recht einige Ersatz­neu­bauten lohnen sich im Vergleich mit einer energe­ti­schen Sanierung nach einer Einpreisung der grauen Emissionen nicht mehr. Und je höher der C02-Preis veran­schlagt wird, desto stärker schlägt das Pendel Richtung energe­tische Sanierung aus, auch wenn aus rein ökono­mi­scher Sicht ein Ersatz­neubau oder eine Erwei­terung vorteil­hafter wäre.

Dienst­leis­tungen von Wüest Partner

Die Dienst­leis­tungen, die Wüest Partner im Spannungsfeld rund um Nachhal­tig­keits­ziele und die Reali­sierung von Nutzungs­re­serven anbietet, folgen dem in diesem Artikel skizzierten Vorgehen: Für jede Liegen­schaft werden die Auswir­kungen der einzelnen Normstra­tegien berechnet und, darauf aufbauend, die geeignete Strategie eruiert. Danach wird festgelegt, wann idealer­weise welcher Eingriff erfolgen sollte. Bei der Erarbeitung des genauen Zeitplans werden die Verfüg­barkeit der finan­zi­ellen Mittel (jährliches Inves­ti­ti­ons­vo­lumen) sowie die perso­nellen Ressourcen des Kunden berück­sichtigt.

Weitere Infor­ma­tionen

Folgende Blogar­tikel befassen sich ebenfalls mit dem Zusam­menhang zwischen Immobi­li­en­werten und Nachhal­tigkeit:

Energe­tische Sanie­rungen: 3 Gewinner

Die Wirkung von Nachhal­tigkeit auf Immobi­li­en­werte

Inves­to­ren­um­frage zur Wertre­levanz der Nachhal­tigkeit

10 Faktoren, die den Wert von nachhal­tigen Liegen­schaften beein­flussen

Hinweis:  Holen Sie sich Wissen für die Praxis in der Wüest Academy

Vertiefte Einblicke zum Thema nachhaltige Liegen­schaften bietet Ihnen der viertägige Fachkurs «Nachhal­tigkeit für Immobilien-Profis». Dieser Kurs ist ein Angebot der Wüest Academy und findet in regel­mäs­sigen Abständen statt, das nächste Mal vom 12. bis 27. Januar 2023 in Zürich.

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