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Schweizer Gebur­tenrate auf histo­ri­schem Tiefstand: Beleuchtung der Ursachen und Folgen dieses demogra­fi­schen Phänomens

Letzte Aktualisierung: 06. Mai 2025

Wie viele andere Länder weltweit verzeichnet auch die Schweiz derzeit einen starken Rückgang der Gebur­ten­zahlen. Dieses Phänomen lässt sich durch verschiedene Faktoren erklären: Indivi­dua­li­sierung, wirtschaft­liche Kosten, Wohnungs­krise, Öko-Angst und sich verän­dernde Werte und Lebens­weisen. Eine niedrige Gebur­tenrate kann grosse Auswir­kungen auf die Wirtschaft, aber auch auf den Immobi­li­en­markt haben. In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die Gebur­ten­ent­wicklung in der Schweiz und versuchen, die Ursachen und möglichen Folgen des Rückgangs zu entschlüsseln.

Starker Rückgang der Gebur­tenrate im Jahr 2023

Das Bundesamt für Statistik (BFS) hat kürzlich die endgül­tigen Zahlen zu den natür­lichen Bevöl­ke­rungs­be­we­gungen in der Schweiz für das Jahr 2023 veröf­fent­licht. Daraus geht hervor, dass die Gebur­tenzahl im letzten Jahr erneut stark gesunken ist und einen histo­ri­schen Tiefstand erreicht hat. Die Zahl der Lebend­ge­burten in der Schweiz ist nämlich zwischen 2021 und 2023 um mehr als 10% auf 80’024 Geburten im Jahr 2023 zurück­ge­gangen. Nach Abzug der Zahl der Todes­fälle betrug das natür­liche Bevöl­ke­rungs­wachstum im vergan­genen Jahr nur 8’200 Personen, was etwa der Hälfte des Durch­schnitts der voran­ge­gan­genen zehn Jahre (17’700) entspricht. Die zusam­men­ge­fasste Gebur­ten­ziffer (d.h. die durch­schnitt­liche Anzahl Kinder, die eine Frau im Laufe ihres Lebens zur Welt bringen würde, auf der Grundlage der beobach­teten Ferti­lität jeder Alters­klasse im betref­fenden Jahr) erreichte 1.33. Ein so geringer Wert wurde in der Schweiz noch nie zuvor verzeichnet.

Der Rückgang der Gebur­tenrate ist kein spezi­fisch schwei­ze­ri­sches Phänomen. Derselbe Trend hat sich in letzter Zeit in vielen Ländern weltweit gezeigt. Die USA, Frank­reich, Deutschland, Italien und Spanien beispiels­weise haben im Jahr 2023 alle histo­risch niedrige Gebur­ten­raten gemeldet. Und das Phänomen betrifft nicht nur hochent­wi­ckelte Länder: Auch China und Indien verzeich­neten einen Rückgang der Geburten.

Gebur­ten­ent­wicklung: detail­lierte Analyse

Eine genauere Analyse der Gebur­ten­zahlen offenbart inter­es­sante Erkennt­nisse. Zunächst einmal betrifft der Rückgang der Geburten sowohl Kinder mit schwei­ze­ri­scher als auch mit auslän­di­scher Staats­an­ge­hö­rigkeit. Im Jahr 2023 sank die Zahl der Geburten von Schweizer Kindern um 8% im Vergleich zum Durch­schnitt der letzten zehn Jahre. Bei Kindern mit auslän­di­scher Staats­an­ge­hö­rigkeit war der Rückgang mit 5% etwas weniger stark ausge­prägt.

Es zeigt sich auch, dass immer mehr Familien auf ein drittes Kind verzichten. Während die Geburten des ersten und zweiten Kindes im Vergleich zum Durch­schnitt der letzten zehn Jahre um etwa 7% zurück­gingen, betrug der Rückgang bei den Geburten eines dritten Kindes mehr als 11%.

Es stellt sich die Frage, ob der Rückgang der Geburten darauf hinweist, dass Paare generell häufiger auf Kinder verzichten, oder ob es sich eher um eine Verzö­gerung der Famili­en­planung handelt. In diesem Zusam­menhang ist es inter­essant, die Zahl der Geburten in Abhän­gigkeit vom Alter der Mutter zu betrachten. Relativ gesehen fand der stärkste Rückgang der Geburten bei Teenagern und Frauen unter 25 Jahren statt, mit einem Rückgang von mehr als 30%. Frauen über 45 Jahren hingegen haben mehr Babys zur Welt gebracht, aber dieser Anstieg ist nur relativ gesehen wichtig, da die Gesamtzahl der Geburten in dieser Alters­gruppe gering bleibt. Absolut gesehen verzeichnete die Alters­gruppe der 25–29-Jährigen den stärksten Rückgang der Geburten, während bei den 35–44-Jährigen eine leichte Zunahme zu beobachten war. Dies deutet darauf hin, dass es sich in einigen Fällen um eine Verschiebung der Famili­en­gründung handelt und nicht um einen generellen Verzicht auf Kinder, was sich auch in der Erhöhung des durch­schnitt­lichen Mütter­alters wider­spiegelt. Es ist daher nicht ausge­schlossen, dass in den kommenden Jahren eine leichte Erholung statt­finden wird.

Der Gebur­ten­rückgang betrifft die grosse Mehrheit der Schweizer Kantone. Einzig der Kanton Uri bildet eine Ausnahme. Da aber die Zahl der Geburten dort sehr klein ist (zwischen 300 und 400 Babys pro Jahr), fällt der Anstieg nur wenig ins Gewicht. Besonders ausge­prägt ist der Rückgang hingegen in anderen ländlichen Kantonen und in Kantonen mit alternder Bevöl­kerung, wie Glarus und den beiden Appenzell. Aber auch junge und städtische Kantone wie Genf und Zürich verzeichnen einen überdurch­schnittlich starken Rückgang der Geburten. In diesen Gebieten könnten der Rückgang teilweise durch die hohen wirtschaft­lichen Kosten der Kinder­er­ziehung und der Verschärfung der Wohnungs­knappheit begründet sein.

Was sind mögliche Gründe für den Rückgang der Geburten?

Die Ursachen des Gebur­ten­rück­gangs sind vielschichtig und komplex:

  • Indivi­dua­li­sierung und Abkehr von tradi­tio­nellen Famili­en­mo­dellen: Die Suche nach Sinn ausserhalb der Eltern­schaft, wie ihn beispiels­weise die Bewegung „child-free“ propa­giert, hat in letzter Zeit in den Medien an Sicht­barkeit gewonnen.
  • Hohe wirtschaft­liche Kosten: Der Bedarf an mehr Wohnraum und grösserem Famili­enauto, mehr Kinder­be­treuung, höhere Versi­che­rungs­kosten sind nur einige Beispiele. Die Kosten steigen mit der Geburt eines Kindes stark an. Das Amt für Kinder und Jugend­liche Zürich schätzt die Gesamt­kosten eines Kindes bis zu seinem 20. Lebensjahr auf 370’000 Franken.
  • Oppor­tu­ni­täts­kosten: Neben den direkten Kosten für die Erziehung eines Kindes gibt es auch erheb­liche indirekte Kosten in Form von Einkom­mens­ver­lusten. Oft muss ein Elternteil beruf­liche Zugeständ­nisse machen, um sich um die Kinder zu kümmern, sei es durch Reduzierung der Arbeitszeit oder durch Verzicht auf eine verant­wor­tungs­volle Position. Und es sind immer noch überwiegend die Frauen, die diese Anpas­sungen vornehmen. In der Schweiz arbeiten 80% der Mütter von Kindern unter 15 Jahren Teilzeit, verglichen mit nur 13% der Väter. Dies beein­trächtigt ihre Karrie­re­per­spek­tiven (29% der Väter haben eine Führungs­po­sition gegenüber nur 15% der Mütter) und langfristig auch ihre Renten. Ein erhöhtes Bewusstsein für dieses Problem kann die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, negativ beein­flussen.
  • Wohnungs­krise: Die Knappheit an Mietwoh­nungen und teure Mieten behindern die Famili­en­gründung ebenfalls. Darüber hinaus ist Wohnei­gentum, ein Garant für Stabi­lität, für die Mehrheit der Paare im gebär­fä­higen Alter unerschwinglich.
  • Geopo­li­tische Unsicher­heiten und Öko-Angst: Sorgen um die Zukunft und ökolo­gische Überle­gungen können Paare dazu veran­lassen, auf zusätz­liche Kinder zu verzichten.
  • Famili­en­po­litik: Die Schweiz verfügt im inter­na­tio­nalen Vergleich nicht über eine besonders gross­zügige Famili­en­po­litik. Andere Länder, wie beispiels­weise Frank­reich, fördern Geburten durch Subven­tionen und staat­lichen Kinder­be­treu­ungs­mög­lich­keiten stärker. Trotzdem verzeichnet auch Frank­reich einen Rückgang der Geburten, wenn auch die Gebur­tenrate dort mit 1,7 Kindern pro Frau im Jahr 2023 deutlich höher bleibt als in der Schweiz.
  • Schei­dungen und Trennungen: Die hohe Rate an Trennungen und Schei­dungen in der Schweiz kann Personen davon abhalten, eine Familie zu gründen.

Welche Auswir­kungen könnte der aktuelle Gebur­ten­rückgang haben?

Ein Rückgang der Gebur­tenrate hat erheb­liche Auswir­kungen auf die Demografie und die Wirtschaft eines Landes. Der Arbeits­kräf­te­mangel und die Schwie­rigkeit, die in den Ruhestand gehenden Arbeit­nehmer zu ersetzen, sind in der Schweiz bereits eine Realität, und dieses Phänomen könnte sich noch weiter verschärfen. Die steigende Lebens­er­wartung und der Rückgang der Geburten können zukünftig zu tiefgrei­fenden Ungleich­ge­wichten in den Sozial­ver­si­che­rungen führen. Die Schweiz könnte daher verstärkt auf Zuwan­derung angewiesen sein, um ihre demogra­fi­schen Ressourcen aufzu­füllen. Aber da in vielen Ländern die Gebur­tenrate sinkt und die Bevöl­kerung altert, könnte es in Zukunft schwie­riger werden Arbeits­kräfte aus dem Ausland anzuziehen. Dies gilt besonders für die Nachbar­länder, aus denen viele der zugewan­derten Arbeits­kräfte stammen.


Der Rückgang der Geburten könnte auch die Immobi­li­en­märkte auf verschiedene Weise beein­flussen:

  • Die durch­schnitt­liche Haushalts­grösse könnte weiter sinken und die Nachfrage nach kleineren Wohnungen könnte dadurch steigen. Insbe­sondere kleine, aber zentral gelegene und zugäng­liche Wohnungen könnten gefragter werden, während geräumige, aber abgelegene Häuser an Attrak­ti­vität verlieren und häufiger leer stehen könnten.
  • Der Bedarf an öffent­lichen Infra­struk­turen, wie beispiels­weise Schulen, könnte sich reduzieren, was eine Planungs­an­passung seitens der Gemeinden erfordern würde. Die steigende Studi­enzeit könnte diesen Effekt jedoch teilweise ausgleichen und zu einem erhöhten Bedarf an Hochschulen führen.
  • Der Rückgang der Gebur­tenrate könnte die öffent­lichen Akteure mögli­cher­weise dazu veran­lassen, famili­en­för­dernde Massnahmen zu ergreifen, wie z.B. den Ausbau von Kinder­be­treu­ungs­lö­sungen. Dadurch könnte der Bedarf an Räumlich­keiten für Vorschul­kinder steigen. Ein Beispiel in diese Richtung ist die Volks­in­itiative «Für eine gute und bezahlbare famili­en­er­gän­zende Kinder­be­treuung für alle (Kita-Initiative)», die im Juli 2023 einge­reicht wurde und Kindern in der ganzen Schweiz den gleichen Zugang zu einer quali­tativ hochste­henden und erschwing­lichen (Kosten für die Eltern nicht mehr als 10% des Famili­en­ein­kommens) Betreu­ungs­lösung garan­tieren will.

Ist ein Wieder­an­stieg der Geburten im Jahr 2024 wahrscheinlich?

Die ersten Zahlen zu den Geburten in der Schweiz im Jahr 2024 lassen keinen Trend­wechsel erwarten. Tatsächlich wurden zwischen Januar und April 2024 nur 24’300 Babys geboren, eine Zahl, die im Vergleich zu 2023 (24’400) stabil ist. Es ist daher wahrscheinlich, dass sich die Geburten im aktuellen Jahr auf diesem niedri­geren Niveau stabi­li­sieren werden.

Weitere Infor­ma­tionen
Wüest Partner verfügt über ein Bevöl­ke­rungs­pro­gno­se­modell, das für jede Gemeinde der Schweiz, aufge­teilt nach Geschlecht, Natio­na­lität und Alter die zukünftige Anzahl Bewohner bis 2050 vorhersagt. Diese kann beispiels­weise als Grundlage für Schul­raum­pla­nungen oder zur Abschätzung der zukünf­tigen Nachfrage nach Kinder- und Alters­be­treuung oder Gesund­heits­dienst­leis­tungen einge­setzt werden. Das Modell berück­sichtigt die jüngsten Entwick­lungen in der Gebur­tenrate, welche für die Abschätzung des zukünf­tigen Schul­raum­be­darfs eine hohe Wichtigkeit hat.

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