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Abschaffung des Eigenmietwerts: «Window of opportunity»

17. Oktober 2018

Money, Outdoors, Coin

Eigentlich möchte ihn niemand mehr. Weder die bürgerlichen noch die linken Parteien. Und schon gar nicht die Wohneigentümer. Den Eigenmietwert. Schon mehrmals sollte er abgeschafft werden, doch geklappt hat es nie. Umso mehr überrascht die jüngste Zustimmung der eidgenössischen Räte zur Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung. Doch was zeichnet die vorliegende Reformvorlage der Wirtschaftskommission des Ständerates aus und welche Auswirkungen sind zu erwarten?

Der Clou – und gleichzeitig die Achillesferse – des nun vorliegenden Vorschlags zur Abschaffung des Eigenmietwerts sind der (teilweise) wegfallende Schuldzinsabzug und die (teilweise) wegfallenden Abzüge für den werterhaltenden Unterhalt. Die vorgesehenen Ausnahmen dürften schlussendlich massgebend sein, ob die Reformvorlage konsensfähig ist. Erste Ausnahme: Schuldzinsen bleiben in einem Umfang von 80% oder 100% und maximal bis zum Umfang gleichzeitig anfallender Kapitaleinkommen weiterhin abzugsfähig. Zweite Ausnahme: Ersterwerber können (in einem noch zu definierenden Umfang und Zeitraum) ihre Hypothekarzinsen weiter vom steuerbaren Einkommen abziehen. Dritte Ausnahme: Unterhaltsabzüge sollen auf Stufe der Kantone weiterhin möglich sein. Die Eigenmietwert-Abschaffung soll für den Hauptwohnsitz, nicht jedoch für Zweitwohnungen gelten. Und letztlich soll der Systemwechsel haushaltsneutral ausgestaltet sein, Einnahmeausfälle des Staates sollen also eingegrenzt werden. Dabei dürfte die Höhe des Schuldzinsabzugs und demzufolge Mutmassungen über Gewinner und Verlierer noch zu reden geben.

Eindeutige Gewinner und klare Verlierer? Mitnichten.

Ein eingeschränkter Schuldzinsabzug würde zweifelsohne die Wohneigentümer animieren, höhere Amortisationen ihrer Hypotheken zu tätigen. Damit käme es zu einer Schwächung der Nachfrage nach entsprechenden Finanzierungen. Ein wichtiges Geschäft der Banken käme unter Druck und dies just in einer Zeit, in der sich die Konkurrenz und der Wettbewerb im Hypothekargeschäft verschärft hat. Gleichzeitig haben die Banken ein vitales Interesse an der Finanzmarktstabilität. Und diese steht im Hauptfokus der Vorlage: Anreize zur Verschuldung der privaten Haushalte sollen reduziert werden.
Auch das Baugewerbe dürfte a priori keine Freude an einer Regimeänderung haben, denn im Zuge der Abschaffung des Unterhaltsabzugs ist ein Rückgang von Renovationsarbeiten möglich.

Die genauen Effekte eines Systemwechsels sind schwierig abschätzbar, dürften längerfristig aber überschaubar bleiben. So nutzen bei zunehmenden Anteilen von Stockwerkeigentümern bereits die meisten Wohneigentümer den Pauschalabzug für kontinuierliche Rückstellungen, die vom Eigenmietwert absetzbar sind. Bei einem Systemwechsel würde dies eliminiert werden. Unterhaltsinvestitionen dürften deshalb weiterhin getätigt werden, nicht zuletzt weil solche angesichts des Alterszyklus im Gebäudepark unumgänglich werden. Ausserdem dürften energetische Sanierungen generell zunehmen. Und diese dürften in den Kantonen meist weiter abzugsfähig bleiben. Und nicht zuletzt sind in den kommenden Jahren bei zunehmender Innenverdichtung wachsende Umnutzungs- und Aufstockungsaktivitäten zu erwarten, die häufig mit Sanierungen der vorhandenen Gebäudesubstanz einhergehen.

Wohneigentümer als Gewinner…

Ein Regimewechsel würde den Wohneigentümern beim aktuellen Tiefzinsumfeld klar in die Karten spielen. Derzeit liegen die Hypothekarzinsen oft unter den anfallenden Eigenmietwerten. Neuste Auswertungen zeigen, dass die Zinsbelastung der Wohneigentümer am Erstwohnsitz im Mittel weniger als 600 Franken monatlich beträgt. Dieser beobachtete Median geht auf die aktuell verfügbare Haushaltsbudgeterhebung (HABE) des Bundesamts für Statistik für die Jahre von 2012 bis 2014 zurück. Heute dürfte die Zinsbelastung gar noch tiefer ausfallen, da die Hypothekarzinsen in den letzten fünf Jahren weiter gesunken sind. Die Daten zeigen ausserdem erwartungsgemäss eine sinkende Verschuldung bei zunehmendem Alter, natürlich bei tieferen Einkommen. Insbesondere viele Rentner haben einen Grossteil der Hypothek amortisiert und verfügen gleichzeitig über ein tieferes Einkommen.

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Auf der genannten Basis wurden Analysen zur Abschätzung möglicher Steuereffekte durchgeführt und dabei einzelne Haushaltstypen nach Altersklassen differenziert. Die Ergebnisse zeigen im heutigen Umfeld eine durchschnittliche jährliche Steuerersparnis von rund 900 Franken pro Wohneigentümerhaushalt, unter Annahme eines vollständigen Wegfalls der Unterhalts- und Schuldzinsabzüge. Würden letztere bis zur Höhe der übrigen Kapitalerträge (beispielsweise Dividenden aus Aktien) weiterhin gewährt, wäre im Schnitt eine Steuerersparnis von rund 1500 Franken pro Jahr möglich. Im Verhältnis zum Bruttoeinkommen entspricht dies im Schnitt rund 1%. Diese Modellrechnung setzt Kapitaleinkommen von 4000 Franken pro Jahr bei der Hälfte aller Wohneigentümer voraus. Ein Wert der in Modellrechnungen von Wüest Partner vom September 2018 angenommen wurde, bevor uns die detaillierten Auswertungen der Haushaltsbudgeterhebung vorlagen. Diese zeigen, dass die durchschnittlichen Kapitaleinkommen über dem angenommenen Wert liegen, die Mehrheit der Wohneigentumsbesitzer aber deutlich weniger Schuldzinsabzüge geltend machen kann.

Bemerkenswert in der modellartigen Abbildung sind die Unterschiede in der steuerlichen Entlastung für die verschiedenen Typen von Eigentümerhaushalten. Erwartungsgemäss ist eine hohe Budgetentlastung bei einem Systemwechsel für die Gruppe der über 65-jährigen zu beobachten. Sie haben die Hypotheken grossteils amortisiert und sind heute von der Eigenmietwertsteuer relativ zu ihren verfügbaren Einkommen am stärksten belastet. Ausserdem zeigt sich, dass Rentner am häufigsten über massgebliche Kapitalerträge verfügen. Durch den vorgeschlagenen Systemwechsel würden ihre Budgets dementsprechend doppelt entlastet.

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…, aber nicht in jedem Fall

Haushalte, die einen grossen Teil ihrer Schulden abbezahlt haben und mit Kapitalerträgen eine eigene Sparverantwortung übernehmen, wären bei einem Systemwechsel klar besser gestellt als vorher. Dies ist gerade mit Blick auf Haushalte im Rentenalter eines der Hauptargumente der Vorlage. Die aufgezeigten Steuereinsparungen der Wohneigentümer und auch die weiterhin mögliche steuerliche Kompensation von Schuldzinsen in einem gewissen Umfang dürften allerdings auf weniger breite Gegenliebe stossen. Die Hochrechnung der steuerlichen Entlastung zeigt für das herrschende Umfeld (je nach Annahmen über Kapitalerträge und Schuldzinsabzüge) eine Steuerentlastung der Wohneigentümer von insgesamt 1.3 bis 1.7 Milliarden Franken. Dies gilt jedoch nur unter dem aktuell geltenden Durchschnittshypothekarzins von 1.5%. Steigt der Hypothekarzins auf 3.75%, neutralisiert sich die Steuerentlastung. Und bei noch höheren Zinsniveaus würde die Eigenmietwert-Abschaffung gar zu einer Benachteiligung der Wohneigentümer führen. Falls Schuldzinsabzüge bis zu einer gewissen Höhe weiterhin anrechenbar bleiben, kämen diese Grenzen etwas höher zu liegen. Bei den Kapitalerträgen sind die Abschätzungen als Extremwerte zu verstehen, wie die neusten Auswertungen der Haushaltsbudgeterhebung zeigen. Ausserdem fallen diese wie aufgezeigt hauptsächlich bei Haushalten an, die zwar noch Schuldzinsen leisten, gleichzeitig aber Kapitalerträge erwirtschaften, was typischerweise bei Rentnerhaushalten zu beobachten ist.

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Erwartete langfristige Zinsentwicklung ist entscheidend

Glaubt man an stetig tief bleibende Zinsen, so würde der vorliegende Vorschlag für die Eigenmietwert-Abschaffung die Eigenheimbesitzer tendenziell entlasten. Geht man jedoch von einer Rückkehr des Zinsniveaus auf den historischen Durchschnittswert von rund 4% aus, wie er zwischen 1850 und 2017 beobachtet wurde, so würde ein Systemwechsel haushaltsneutral ausfallen. Für die Abschaffung vom Eigenmietwert eröffnet sich deshalb aus mehreren Gründen ein «Window of Opportunity». Denn er könnte in eine Phase potenziell steigender Zinsen umgesetzt werden und würde mehrere zentrale volkswirtschaftliche Anliegen befriedigen. So insbesondere die Vereinfachung des Steuersystems, eine Reaktion der Anreize zur Verschuldung der Privathaushalte und damit einhergehend die Verbesserung der Finanzmarktstabilität. Ein Systemwechsel würde jene Haushalte entlasten, die in Eigenverantwortung ihre Verschuldung verringert haben, beispielsweise viele Rentnerhaushalte.

Den SRF-Beitrag vom September zum Thema «Abschaffung des Eigenmietwerts» finden Sie hier.