Zürich sagt Nein: Was ein Vorkaufsrecht (nicht) bewirkt
Veröffentlicht am: 01. Dezember 2025 Letzte Aktualisierung: 01. Dezember 2025
Die Zürcher Stimmberechtigten haben die Einführung einer gesetzlichen Grundlage für ein kommunales Vorkaufsrecht abgelehnt. Für die Mehrheit der Abstimmenden dürfte der erwartete Nutzen zur Entspannung der Situation auf dem Wohnungsmarkt als begrenzt eingeschätzt worden sein, da ein solches Vorkaufsrecht nur indirekt auf die Wohnraumversorgung und Mietpreise wirkt. Gleichzeitig wurden offenbar erhebliche Nachteile befürchtet, etwa für die Standortattraktivität. In diesem Beitrag greifen wir diese Überlegungen auf und beleuchten die immobilienökonomischen Wirkungen eines Vorkaufsrechts auf Mieten, Bautätigkeit und Transaktionspreise.
Bedürfnis
Viele Stadtverwaltungen würden sich grundsätzlich ein Vorkaufsrecht wünschen. Dies zeigt eine Umfrage, die Wüest Partner 2023 im Auftrag des Schweizerischen Städteverbands (SSV) und des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) durchgeführt hat. Unter den wohnpolitischen Instrumenten zur Dämpfung der Mietpreisentwicklung wurde das Vorkaufsrecht am häufigsten genannt. Viele Gemeinden würden gerne mehr Land erwerben, zumal über 80% der Städte in der Umfrage angaben, über zu wenig Baulandreserven zu verfügen.
Abstimmungsvorlage
Im Kanton Zürich wurde im März 2023 die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen im Kanton Zürich» eingereicht. Sie zielte darauf ab, die Gemeinden zu ermächtigen, ein Vorkaufsrecht an Grundstücken einzuführen, um gemeinnützigen Wohnraum sowie Alterswohnungen zu fördern. Das Vorkaufsrecht hätte es den Gemeinden ermöglicht, bei einem Verkauf in den bestehenden Kaufvertrag zu den vereinbarten Bedingungen einzutreten.
Am 30. November 2025 hat das Zürcher Stimmvolk die Vorlage mit 59% Stimmenanteil abgelehnt und damit die Haltung von Regierungsrat und Kantonsrat bestätigt. Gleichzeitig wurde der Gegenvorschlag mit 51% angenommen. Dieser stärkt den gemeinnützigen Wohnungsbau, indem er den Rahmenkredit für Darlehen der kantonalen Wohnbauförderung von bisher 180 Millionen auf 360 Millionen Franken verdoppelt.
Wirkung eines Vorkaufsrechts auf die Mieten
Ein Vorkaufsrecht ist in erster Linie ein Transaktionsinstrument mit Auswirkungen auf die Eigentümerschaft eines Grundstücks. Es beeinflusst aber die Wohnungsmieten nicht unmittelbar. Die Wirkung entfaltet sich vielmehr indirekt, je nachdem wie die Eigentümerschaft den Wohnraum positioniert.
Wohnen wird durch ein Vorkaufsrecht günstiger, falls die mit dem Vorkaufsrecht erworbenen Liegenschaften oder daraus entstehende Neubauten bewusst unter dem Marktniveau vermietet werden. Preisdämpfend kann das Instrument zudem dort wirken, wo bestehender, heute vergleichsweise günstiger Wohnraum durch das Vorkaufsrecht vor Abriss oder tiefgreifender Totalsanierung bewahrt und stattdessen höchstens mit geringerer Eingriffstiefe erneuert wird. Beides ist realistisch bei gemeinnützigen Wohnbauträgern, die Profiteure der Zürcher Vorkaufsrechts-Initiative gewesen wären.
Theoretisch könnte in besonders attraktiven Gemeinden der Effekt auf die Mieten aber auch ins Gegenteil umschlagen, falls ein Vorkaufsrecht die Anzahl Wohnungen in einer Gemeinde reduziert.
Veränderte Wohnbautätigkeit
Das Wohnungsangebot kann sich infolge eines Vorkaufsrechts leicht erhöhen oder verringern. Es kann zunehmen, wenn Gemeinden nach einem Erwerb Projekte mit kleineren und damit mehr Wohneinheiten realisieren lassen. Ein Vorkaufsrecht kann aber auch das Wohnbauwachstum einer Gemeinde verringern, das ohne diesen Markteingriff möglich wäre. Dies gilt, wenn ein Vorkaufsrecht dazu genutzt wird, Entwicklungsprojekte zu verhindern, bei denen Ausnützungsreserven mobilisiert worden wären. Die Einführung eines Vorkaufsrechts entfaltet zudem eine Signalwirkung: Denkbar sind Verschiebungen von Wohnentwicklungsprojekten aus Gemeinden mit Vorkaufsrechten in Gemeinden ohne solche Instrumente.
Zwischenfazit
Eine solche regionale Verschiebung der Wohnbauaktivitäten schwächt die angestrebte Siedlungsentwicklung nach innen, da Vorkaufsrechte primär in Zentren eingeführt werden.
Die Ausübung eines Vorkaufsrechts erfordert erhebliche finanzielle Mittel seitens der öffentlichen Hand, was den breiten Einsatz des Instruments begrenzt.
Insgesamt zeigt sich: Das Vorkaufsrecht ist – und das gilt auch für viele andere wohnungspolitische Massnahmen – kein Allheilmittel, sondern ein selektives Instrument, dessen Wirkung stark vom institutionellen Rahmen abhängt.
Vertiefung: Wirkung eines Vorkaufsrechts auf Transaktionspreise
Ein Vorkaufsrecht beeinflusst Transaktionspreise nicht direkt, kann jedoch über die Zahl der Bieter preisdämpfend wirken. Da das Risiko besteht, trotz Höchstgebot nicht zum Zug zu kommen, verzichten einzelne Investoren unter Umständen auf eine Teilnahme – insbesondere wegen des kostspieligen Due-Diligence-Prozesses. Sinkt dadurch die Zahl ernsthafter Bieter, reduziert sich tendenziell auch der erzielbare Preis. Dieser Effekt ist allerdings degressiv: Ausschlaggebend ist der Sprung von einem auf zwei kompetitive Bieter; zusätzliche Gebote treiben den Preis weiter, aber mit abnehmendem Grenzbeitrag.
Empirisch lässt sich dieses Muster belegen: Eine Studie aus Stockholm zeigt, dass der Übergang von einem zu zwei aktiven Bietern den Zuschlagspreis um rund 4% erhöhte; weitere Bieter haben zwar weiterhin einen positiven, aber zunehmend kleineren Effekt. Auch eine Auswertung in Lagos bestätigte den positiven Zusammenhang zwischen Bieterzahl und Preis. Eine Abschlussarbeit an der Universität Zürich im Jahr 2013 zeigt hingegen nur eine schwache, statistisch nicht signifikante Korrelation.
Ob Investoren tatsächlich abgeschreckt werden, hängt stark von der erwarteten Ausübungswahrscheinlichkeit der Gemeinde ab. Diese steigt, wenn die Gemeinde eine aktive Bodenpolitik verfolgt, die Mietniveaus hoch sind, eine hohe Nachfrage nach preisgünstigem Wohnen besteht und die Gemeindefinanzen robust sind. Je höher die vermutete Ausübungswahrscheinlichkeit ist, desto eher dünnt der Kreis der Drittbieter aus.
Ein Vorkaufsrecht verändert das Verhalten der öffentlichen Hand: Die Gemeinde kann während des Bieterverfahrens abwarten und zum höchsten Drittpreis in den bestehenden Kaufvertrag eintreten. Damit entfällt eine Akteurin, die früher potenziell preisbildend wirkte.
Die Wirkung wird zudem durch das Marktumfeld mitgeprägt: In Phasen hoher Investorennachfrage und knapper Anlageobjekte sind starke Abschreckungseffekte wenig plausibel; entsprechend bleibt auch das preisdämpfende Potenzial insgesamt gering.
Aussagen von institutionellen Investoren deuten darauf hin, dass Preisabschläge im Einzelfall möglich, aber ex ante schwer zu quantifizieren sind. Als Grössenordnung werden Preisminderungen von maximal 5% genannt. Besonders betroffen sind Grundstücke, die sich für preisgünstiges Wohnen eignen und bereits ohne Vorkaufsrecht nur einen kleinen Bieterkreis anziehen. Unter dem Strich reduziert das Instrument den Marktwert in geringem Umfang.
Grundsätzlich spiegelt der Kaufpreis eines Grundstücks die erzielbaren Mieten wider. Doch der Kaufpreis kann seinerseits die Mieten beeinflussen, etwa wenn das Kostenmietprinzip angewendet wird. Entsprechend kann ein reduzierter Kaufpreis auch dämpfend auf die Wohnungsmieten wirken. Insgesamt ist der Zusammenhang aber limitiert.
Fazit
In diesem Beitrag haben wir unterschiedliche Aspekte des Vorkaufsrechts analysiert. Dieser Markteingriff entfaltet in der Breite wenig Wirkung auf Mieten, Wohnungsbestand und Transaktionspreise. Das Abstimmungsergebnis zum Vorkaufsrecht deutet darauf hin, dass die Zürcher Stimmbevölkerung effektiv kaum substanzielle Entlastung in der aktuellen Wohnraumversorgung vom Instrument erwartet hat.
Literatur
Dieser Beitrag stützt sich auf Überlegungen, die Wüest Partner in einer Studie für den Kanton Zürich zusammengetragen hat (wobei das Vorkaufsrecht auf den Seiten 73 und 74 analysiert wird):