Renditeliegenschaften in turbulentem Marktumfeld
17. November 2022
Die Bewegungen am Kapitalmarkt sind derzeit heftig, die Inflation ist hoch, und die Zinswende ist eingetreten. Dennoch haben sich die Preise von Renditeliegenschaften in der Schweiz bislang kaum von ihren Höchstständen wegbewegt. Wie kann das sein?
Die Auswirkungen der Realwirtschaft, von Nachfrage und Angebot sowie von Inflation und Zinsen auf die Immobilienpreise im aktuellen Marktumfeld sollen in einer Reihe von Blog-Beiträgen näher beleuchtet werden. Im vorliegenden Beitrag fokussieren wir uns auf das Zusammenspiel von Inflation, Zinsen und Immobilienpreisen.
Renditen von Staatsanleihen bilden Inflationserwartung ab
Aus ökonomischer Sicht ist klar: Ein Anstieg der Inflation führt zu einem Anstieg der Zinsen, und der Zinsanstieg wiederum steigert die Renditeerwartungen von Immobilieninvestoren. Seit Mitte 2022 hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Leitzinsen um insgesamt 1.25 Prozentpunkte auf ein Niveau von gegenwärtig +0.5 Prozent angehoben, dies mit dem Ziel, die steigende Inflation zu bekämpfen. Die Renditen von Bundesobligationen sind jedoch bereits vor der Leitzinserhöhung deutlich angestiegen – und aus den Renditen von Bundesobligationen lässt sich die Inflationserwartung der Investoren während der jeweiligen Laufzeit herauslesen.
Renditen von Staatsanleihen und von Immobilien: Enger Zusammenhang
Abbildung 2 stellt die Renditen von Bundesobligationen mit 10-jähriger Laufzeit (vertikale Achse) den Spitzenrenditen von Mehrfamilienhäusern (horizontale Achse) gegenüber. Historisch gesehen stehen diese beiden Kenngrössen in einem stabilen Verhältnis zueinander, was durch die hohe Korrelation von 94 Prozent untermauert wird. Die aktuelle Situation, repräsentiert durch den blauen Punkt in Abbildung 2, stellt somit einen klaren Ausreisser dar.
Während die nominalen Renditen von Bundesobligationen innert Jahresfrist stark gestiegen sind, haben sich die Anfangsrenditen von Schweizer Renditeliegenschaften im Jahr 2022 kaum bewegt. Als Folge davon liegen die beiden Kennzahlen so nahe beieinander wie schon lange nicht mehr, sodass die Risikoprämie für Anlagen in Immobilien gegenüber Bundesobligationen praktisch verschwunden ist (vgl. Abbildung 3).
Nominaler und realer Renditespread
Die Differenz zwischen den Renditen von Bundesobligationen und den Anfangsrenditen von Renditeliegenschaften wird als Spread definiert. Auch wenn die Zinsen seit der Finanzkrise im Jahr 2007/08 laufend sanken, bewegte sich der Renditespread zwischen Bundesobligationen und Spitzenrenditen von Mehrfamilienhäusern in Zürich stets rund um die 2-Prozent-Marke. Diese Stabilität ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Anfangsrenditen relativ träge auf makroökonomische Veränderungen reagieren. Ausserdem hängen die Auswirkungen auf die Anfangsrenditen von der Dauer und der Intensität von Zinsänderungen ab. In diesem Jahrtausend waren Zinsanstiege jeweils vorübergehender Natur. Entsprechend war die Attraktivität von Obligationen als Anlagealternative jeweils bereits wieder gesunken, noch bevor sich die ganze Immobilienwirtschaft auf die höheren Zinsen eingestellt hatte. Aktuell liegt der nominale Renditespread jedoch praktisch bei null, wie Abbildung 3 zeigt.
Wenn man jedoch bei den Renditen der Obligationen die Teuerung mitberücksichtigt, zeigt sich, dass der Renditespread derzeit sogar besonders gross ist: Der Spread zwischen den Renditen von Bundesobligationen nach Abzug der Teuerungserwartung und den Spitzenrenditen von Mehrfamilienhäusern in Zürich liegt gegenwärtig bei über 3 Prozentpunkten, was im historischen Vergleich ein relativ hoher Wert ist (Abbildung 4). So stellt sich die Frage: Wohin bewegen sich nun die Immobilienrenditen?
Abbildung 5 wirft einen Blick in die Dynamik in der Vergangenheit und zeigt die quartalsweise Veränderung der Renditen von Bundesobligationen und der Spitzenrenditen von Mehrfamilienhäusern in Zürich für jedes Quartal seit 2001. Im 2. Quartal 2022 (blauer Punkt) sind die Renditen von Bundesobligationen im Vergleich zum Vorquartal um fast 0.6 Prozentpunkte angestiegen, wogegen sich die Nettoanfangsrenditen nicht verändert haben. In der Abbildung 5 ist die Korrelation mit –0.11 deutlich kleiner als in Abbildung 2, wo sich die Korrelation von 0.94 auf statische Daten bezog. Dies verdeutlicht, dass die Erwartungen an Renditen von Immobilienanlagen im Transaktionsmarkt gebildet werden und nicht rein mechanisch aus der Entwicklung der Zinsen abgeleitet werden können. Es gilt also, den Anlage- und den Nutzermarkt umfassend zu betrachten und in die Analysen miteinzubeziehen, ein reiner Blick auf die Zinsen ist nicht ausreichend.
Ausblick
Wie sich die Renditen von Renditeliegenschaften entwickeln, hängt stark von der Entwicklung von Inflation und Zinsen ab. Sollten auch die realen Renditen von Bundesobligationen steigen, würden (ceteris paribus) die Immobilienrenditen wohl mitziehen. Solange die Inflation jedoch hoch bleibt, verharrt die reale Verzinsung der Obligationen auf tiefem Niveau. Dies wiederum dämpft den Anstieg der Renditeerwartung in Bezug auf Immobilienanlagen. In diesem Zusammenhang ist der (partielle) Inflationsschutz von Liegenschaften zu erwähnen; dieser fehlt bei festverzinslichen Anleihen wie Bundesobligationen. Sowohl Teuerung als auch der Anstieg des Referenzzinssatzes sind bei Wohnliegenschaften teilweise überwälzbar (vgl. dazu den Blogartikel «Einfluss der Inflation auf Renditeliegenschaften»).
Die Teuerung ist im Oktober 2022 im Vergleich zum jüngsten Höchststand im August um 0.5 Prozentpunkte auf 3.0 Prozent zurückgegangen, liegt damit jedoch immer noch deutlich über dem Zielband von 0 bis 2 Prozent. Vieles deutet gegenwärtig auf eine definitive Abkehr von den Negativzinsen und auf eine noch restriktivere Geldpolitik hin. Mit höheren Zinsen ist die Marschrichtung der Anfangsrenditen von Liegenschaften vorgezeichnet – nämlich nach oben. Allerdings spielen auch das konjunkturelle Umfeld respektive das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage eine wichtige Rolle bei der Bildung der Immobilienpreise.