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Stadt aus Holz

04. August 2022

Julia Selberherr vorne mit Mikrofon vor einem Publikum

«Innovatives Wohnen» am 11. Mai 2022

Immer mehr und immer höher – derzeit ist in Winterthur mit «Rocket» das höchste Holzhochhaus der Welt geplant. Holz gewinnt gerade auch in der Schweiz als Baumaterial an Bedeutung und hat in den letzten 15 Jahren seinen Anteil sowohl bei Tragkonstruktionen als auch bei Fassaden von Mehrfamilienhäusern mehr als verdoppelt. 

Seit 2016 führt Wüest Partner im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt und in Zusammenarbeit mit Espazium die Veranstaltungsreihe «Stadt aus Holz» durch. Ziel dieser mehrmals pro Jahr abwechslungsweise in der Deutsch- und Westschweiz stattfindenden Veranstaltungsreihe ist es, das Bauen mit Holz einerseits wissenschaftlich und andererseits anhand von realisierten Projekten auch praktisch aus verschiedensten Perspektiven zu beleuchten. Die erste Veranstaltung des Jahrs 2022 fand am 11. Mai zum Thema «Innovatives Wohnen» statt. Wir durften eine Rekordzahl von Teilnehmern begrüssen und widmen dem freudigen Ereignis einen eigenen Blog-Beitrag. 

Hoch hinaus

Bereits realisiert ist das Wohngebäude «HAUT», ein in Holz-Hybridbauweise erstelltes Hochhaus in Amsterdam, mit stolzen 21 Geschossen auf 73 Metern eines der höchsten seiner Art. Der für den Bau verantwortliche Ingenieur, Mathew Vola vom international renommierten Ingenieurbüro ARUP, startete die Veranstaltung mit eindrücklichen Worten darüber, warum Holz so wichtig ist für die Erreichung der Klimaziele des Intergovernmental Panel on Climate Chance (IPCC) und wie sein Holzhochhaus zu «Hot Stuff» wurde. 

Die Vorteile von Holz sind vielfältig: Es speichert CO2, es ist erneuerbar und in grossen Mengen verfügbar, es ist Teil eines natürlichen Kreislaufs, es wirkt sich positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen aus und bietet beim Bau Vorteile bezüglich Prozesseffizienz und Sicherheit. Material und Konstruktion von Gebäuden sind für 11% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich – die Verwendung von Holz als Material, das CO2 speichert, liegt damit auf der Hand. Wieso also rückt Holz als Baumaterial erst seit Kurzem ins Rampenlicht? Dafür verantwortlich sind vor allem Fortschritte bei der Technologie. Die daraus resultierenden neuen Produkte und Fabrikationsmethoden haben die Renaissance des Holzbaus technisch ermöglicht. Für die Erreichung der Klimaziele ist der Einsatz von Holz mittlerweile auch aus politischer Sicht unverzichtbar. So hat die Stadt Amsterdam sich verpflichtet, ab 2025 mindestens bei jedem fünften Wohngebäude Holz als vorherrschendes Konstruktionsmaterial zu verwenden. Dies ist ein Trend, der vielerorts zu beobachten ist. In Frankreich beispielsweise soll noch im laufenden Jahr 2022 ein Nachhaltigkeitsgesetz erlassen werden, das für öffentliche Gebäude einen Anteil von mindestens 50% an natürlichen Baumaterialien und Holz vorsieht. 

Ein reiner Holzbau ist denn auch «HAUT» nicht. Das Motto lautete: Holz wann immer möglich, Beton und Stahl wann immer nötig. Schliesslich wurden 2000 Kubikmeter Holz verbaut, die 1800 Tonnen CO2 speichern.

Bis heute ist das 2021 fertiggestellte «HAUT» das höchste Holzhochhaus der Niederlande und dient als Vorbild über die Landesgrenzen hinaus. 

Vorbild Basel-Stadt

Mit dem Stichwort «Vorbild» ging es bei Jonathan Koellreuter weiter. Als Leiter des Portfoliomanagements von Immobilien Basel-Stadt sieht er sich und den Kanton Basel-Stadt in der Verantwortung, der Immobilienbranche im Hinblick auf nachhaltiges Bauen ein Vorbild zu sein. Dies haben er und seine Abteilung eindrücklich bewiesen, als sie 2021 für ihr Projekt «Maiengasse» den Prix Lignum gewannen. Ursprünglich gefordert war ein Minergie-P-Haus, von Holzbau war im Wettbewerbsprogramm keine Rede. Entstanden sind zwei Gebäude, ein Holz- und ein Betonbau, die im Kostenvergleich dank wohlüberlegten Verzichten gleich gut abschnitten. Bereits 2016 wurde das «Nullenergiehaus» als erstes seiner Art in Basel realisiert und stellte sich die Nachhaltigkeit aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Sicht als Aufgabe. Energetisch stand die Betriebsenergie zwar im Vordergrund, aber auch die graue Energie wurde grob berechnet. Der Bau wurde schliesslich als Hybridbau mit Betonkern und Stahlskelett ausgeführt, die Decken, Wände und Fassaden bestehen aus Holz. 

Mit der Verdichtung am Hirtenweg entstanden innert kurzer Bauzeit 31 zusätzliche Wohneinheiten in modularer Massivholzbauweise, ohne dass die Mieter der Bestandesbauten ihre Wohnungen verlassen mussten. 

Auch bei der Entwicklung des Lysbüchel-Areals partizipiert Immobilien Basel-Stadt mit einem Holzbau. Koellreuter sieht Holz jedoch als Mittel zur Erfüllung eines Ziels – des Ziels des nachhaltigen Bauens – und nicht als Ziel an sich. Vor diesem Hintergrund entwickelte Immobilien Basel-Stadt zusammen mit ZPF Ingenieuren ein Tool zur Schätzung der Ökobilanz von Gebäuden. Dieses Tool soll in Wettbewerben mittels weniger Parameter aufzeigen, wie ökologisch eine Konstruktion ist und dient so einerseits den Planern als Hilfe beim Entwurf und andererseits der Ausloberin als Entscheidungsgrundlage. Nachhaltigkeit messbar machen – ob und wie dies möglich ist, wird oft und viel diskutiert. Immobilien Basel-Stadt schreitet mutig voran und möchte so dem Anspruch, der Immobilienbranche im Hinblick auf nachhaltiges Bauen ein Vorbild zu sein, gerecht werden. 

Holzanteil verdoppeln?

Etwas theoretischer wurde es bei Jörg Schläpfer, dem Leiter Makroökonomie bei Wüest Partner. Seine neue durch das Bundesamt für Umwelt unterstützte Studie analysiert die CO2-Substitutionswirkung von Holz und kommt zum Schluss: Würde der Anteil von Holz bei Neubauten bis 2050 verdoppelt, würde die Schweiz jährlich 500’000 Tonnen weniger CO2 ausstossen. Dies entspricht dem Verbrauch von 200’000 Haushalten, die mit Gas oder Öl heizen, oder 1% unserer jährlichen Emissionen. Ein einfacher Dreisatz legt nahe, was es bedeuten würde, wenn wir den Holzanteil bei Neubauten nicht nur verdoppeln, sondern verdrei- oder gar vervierfachen würden.

Experimentelles Wohnen in Holzbauten

Nach Hochhäusern und Siedlungen ging  es dann bei der Präsentation des Projekts «Performatives Haus» um Tiny Apartments. Yves Rogger, Leiter Projektentwicklung bei der Bauherrin UTO Real Estate Management, die die Entwicklung von innovativen Wohnprojekten zu ihrem Kerngeschäft gemacht hat, und Christian Inderbitzin, Partner beim Architekturbüro Edelaar Mosayebi Inderbitzin, nahmen die Teilnehmer mit auf eine Expedition ins Reich der Wandelbarkeit. Auf relativ kleiner Grundfläche entstehen derzeit im Quartier Unterstrass Wohnungen für Kleinhaushalte, die mittels drehbarer Wandelemente und immer wieder neue Raumsituationen schaffen. Dem Projekt ging eine Forschungsarbeit an der ETH Zürich voraus: Ein Mockup dieser neuen Wohnform wurde nämlich auf dem Dach des Architekturdepartements von 40 Testpersonen bewohnt. Dabei konnte das räumliche und konstruktiv-technische Zusammenspiel der Bauteile im Alltag getestet werden. Das «Performative Haus» steht inzwischen kurz vor der Fertigstellung, die Wohnungen sind bereits seit Anfang des Jahres vermietet. Für einen Holzbau entschied man sich bei diesem Projekt nicht nur aus statischen Gründen, sondern auch darum, weil die Erstellung des Gebäudes so besonders schnell vonstatten gehen konnte. 

Höher = besser?

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion über die Nachhaltigkeit von aus Holz gebauten Hochhäusern. Darüber unterhielten sich Jörg Lamster, Partner bei Wüest Partner und Geschäftsleiter der Tochterfirma Durable, Marc Pointet, CEO von Ina Invest AG, der Bauherrin von «Rocket», und Jonathan Koellreuter, Leiter des Portfoliomanagements von Immobilien Basel-Stadt. Ganz klar beantworten liess sich die Frage nicht, einig war man sich aber darüber, dass Leuchtturmprojekte wie «Rocket» Vorbildcharakter haben im Hinblick auf das Ziel, die Nachhaltigkeit im Bausektor durch Bauen mit Holz zu erhöhen.

Wir freuen uns auf die nächsten Veranstaltungen und bedanken uns bei unserem Auftraggeber, dem Bundesamt für Umwelt, bei unserem Partner Espazium sowie bei unseren Sponsoren, bei den Referent:innen und natürlich bei allen Teilnehmer:innen.

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