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Abschaffung des Eigen­miet­werts: «Window of oppor­tunity»

Veröffentlicht am: 17. Oktober 2018 Letzte Aktualisierung: 22. April 2025

Eigentlich möchte ihn niemand mehr. Weder die bürger­lichen noch die linken Parteien. Und schon gar nicht die Wohnei­gen­tümer. Den Eigen­mietwert. Schon mehrmals sollte er abgeschafft werden, doch geklappt hat es nie. Umso mehr überrascht die jüngste Zustimmung der eidge­nös­si­schen Räte zur Abschaffung der Eigen­miet­wert­be­steuerung. Doch was zeichnet die vorlie­gende Reform­vorlage der Wirtschafts­kom­mission des Stände­rates aus und welche Auswir­kungen sind zu erwarten?

Der Clou – und gleich­zeitig die Achil­les­ferse – des nun vorlie­genden Vorschlags zur Abschaffung des Eigen­miet­werts sind der (teilweise) wegfal­lende Schuldz­ins­abzug und die (teilweise) wegfal­lenden Abzüge für den werterhal­tenden Unterhalt. Die vorge­se­henen Ausnahmen dürften schluss­endlich massgebend sein, ob die Reform­vorlage konsens­fähig ist. Erste Ausnahme: Schuld­zinsen bleiben in einem Umfang von 80% oder 100% und maximal bis zum Umfang gleich­zeitig anfal­lender Kapital­ein­kommen weiterhin abzugs­fähig. Zweite Ausnahme: Ersterwerber können (in einem noch zu definie­renden Umfang und Zeitraum) ihre Hypothe­kar­zinsen weiter vom steuer­baren Einkommen abziehen. Dritte Ausnahme: Unter­halts­abzüge sollen auf Stufe der Kantone weiterhin möglich sein. Die Eigenmietwert-Abschaffung soll für den Haupt­wohnsitz, nicht jedoch für Zweit­woh­nungen gelten. Und letztlich soll der System­wechsel haushalts­neutral ausge­staltet sein, Einnah­me­aus­fälle des Staates sollen also einge­grenzt werden. Dabei dürfte die Höhe des Schuldz­ins­abzugs und demzu­folge Mutmas­sungen über Gewinner und Verlierer noch zu reden geben.

Eindeutige Gewinner und klare Verlierer? Mitnichten.

Ein einge­schränkter Schuldz­ins­abzug würde zweifelsohne die Wohnei­gen­tümer animieren, höhere Amorti­sa­tionen ihrer Hypotheken zu tätigen. Damit käme es zu einer Schwä­chung der Nachfrage nach entspre­chenden Finan­zie­rungen. Ein wichtiges Geschäft der Banken käme unter Druck und dies just in einer Zeit, in der sich die Konkurrenz und der Wettbewerb im Hypothe­kar­ge­schäft verschärft hat. Gleich­zeitig haben die Banken ein vitales Interesse an der Finanz­markt­sta­bi­lität. Und diese steht im Haupt­fokus der Vorlage: Anreize zur Verschuldung der privaten Haushalte sollen reduziert werden.
Auch das Bauge­werbe dürfte a priori keine Freude an einer Regime­än­derung haben, denn im Zuge der Abschaffung des Unter­halts­abzugs ist ein Rückgang von Renova­ti­ons­ar­beiten möglich.

Die genauen Effekte eines System­wechsels sind schwierig abschätzbar, dürften länger­fristig aber überschaubar bleiben. So nutzen bei zuneh­menden Anteilen von Stock­werk­ei­gen­tümern bereits die meisten Wohnei­gen­tümer den Pauschal­abzug für konti­nu­ier­liche Rückstel­lungen, die vom Eigen­mietwert absetzbar sind. Bei einem System­wechsel würde dies elimi­niert werden. Unter­halts­in­ves­ti­tionen dürften deshalb weiterhin getätigt werden, nicht zuletzt weil solche angesichts des Alters­zyklus im Gebäu­depark unumgänglich werden. Ausserdem dürften energe­tische Sanie­rungen generell zunehmen. Und diese dürften in den Kantonen meist weiter abzugs­fähig bleiben. Und nicht zuletzt sind in den kommenden Jahren bei zuneh­mender Innen­ver­dichtung wachsende Umnutzungs- und Aufsto­ckungs­ak­ti­vi­täten zu erwarten, die häufig mit Sanie­rungen der vorhan­denen Gebäu­de­sub­stanz einher­gehen.

Wohnei­gen­tümer als Gewinner…

Ein Regime­wechsel würde den Wohnei­gen­tümern beim aktuellen Tiefzins­umfeld klar in die Karten spielen. Derzeit liegen die Hypothe­kar­zinsen oft unter den anfal­lenden Eigen­miet­werten. Neuste Auswer­tungen zeigen, dass die Zinsbe­lastung der Wohnei­gen­tümer am Erstwohnsitz im Mittel weniger als 600 Franken monatlich beträgt. Dieser beobachtete Median geht auf die aktuell verfügbare Haushalts­bud­get­er­hebung (HABE) des Bundesamts für Statistik für die Jahre von 2012 bis 2014 zurück. Heute dürfte die Zinsbe­lastung gar noch tiefer ausfallen, da die Hypothe­kar­zinsen in den letzten fünf Jahren weiter gesunken sind. Die Daten zeigen ausserdem erwar­tungs­gemäss eine sinkende Verschuldung bei zuneh­mendem Alter, natürlich bei tieferen Einkommen. Insbe­sondere viele Rentner haben einen Grossteil der Hypothek amorti­siert und verfügen gleich­zeitig über ein tieferes Einkommen.

analyse

Auf der genannten Basis wurden Analysen zur Abschätzung möglicher Steuer­ef­fekte durch­ge­führt und dabei einzelne Haushalts­typen nach Alters­klassen diffe­ren­ziert. Die Ergeb­nisse zeigen im heutigen Umfeld eine durch­schnitt­liche jährliche Steuer­ersparnis von rund 900 Franken pro Wohnei­gen­tü­mer­haushalt, unter Annahme eines vollstän­digen Wegfalls der Unterhalts- und Schuldz­ins­abzüge. Würden letztere bis zur Höhe der übrigen Kapital­erträge (beispiels­weise Dividenden aus Aktien) weiterhin gewährt, wäre im Schnitt eine Steuer­ersparnis von rund 1500 Franken pro Jahr möglich. Im Verhältnis zum Brutto­ein­kommen entspricht dies im Schnitt rund 1%. Diese Modell­rechnung setzt Kapital­ein­kommen von 4000 Franken pro Jahr bei der Hälfte aller Wohnei­gen­tümer voraus. Ein Wert der in Modell­rech­nungen von Wüest Partner vom September 2018 angenommen wurde, bevor uns die detail­lierten Auswer­tungen der Haushalts­bud­get­er­hebung vorlagen. Diese zeigen, dass die durch­schnitt­lichen Kapital­ein­kommen über dem angenom­menen Wert liegen, die Mehrheit der Wohnei­gen­tums­be­sitzer aber deutlich weniger Schuldz­ins­abzüge geltend machen kann.

Bemer­kenswert in der modell­ar­tigen Abbildung sind die Unter­schiede in der steuer­lichen Entlastung für die verschie­denen Typen von Eigen­tü­mer­haus­halten. Erwar­tungs­gemäss ist eine hohe Budget­ent­lastung bei einem System­wechsel für die Gruppe der über 65-jährigen zu beobachten. Sie haben die Hypotheken gross­teils amorti­siert und sind heute von der Eigen­miet­wert­steuer relativ zu ihren verfüg­baren Einkommen am stärksten belastet. Ausserdem zeigt sich, dass Rentner am häufigsten über massgeb­liche Kapital­erträge verfügen. Durch den vorge­schla­genen System­wechsel würden ihre Budgets dementspre­chend doppelt entlastet.

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…, aber nicht in jedem Fall

Haushalte, die einen grossen Teil ihrer Schulden abbezahlt haben und mit Kapital­erträgen eine eigene Sparver­ant­wortung übernehmen, wären bei einem System­wechsel klar besser gestellt als vorher. Dies ist gerade mit Blick auf Haushalte im Renten­alter eines der Haupt­ar­gu­mente der Vorlage. Die aufge­zeigten Steuer­ein­spa­rungen der Wohnei­gen­tümer und auch die weiterhin mögliche steuer­liche Kompen­sation von Schuld­zinsen in einem gewissen Umfang dürften aller­dings auf weniger breite Gegen­liebe stossen. Die Hochrechnung der steuer­lichen Entlastung zeigt für das herrschende Umfeld (je nach Annahmen über Kapital­erträge und Schuldz­ins­abzüge) eine Steuer­ent­lastung der Wohnei­gen­tümer von insgesamt 1.3 bis 1.7 Milli­arden Franken. Dies gilt jedoch nur unter dem aktuell geltenden Durch­schnitts­hy­po­the­karzins von 1.5%. Steigt der Hypothe­karzins auf 3.75%, neutra­li­siert sich die Steuer­ent­lastung. Und bei noch höheren Zinsni­veaus würde die Eigenmietwert-Abschaffung gar zu einer Benach­tei­ligung der Wohnei­gen­tümer führen. Falls Schuldz­ins­abzüge bis zu einer gewissen Höhe weiterhin anrechenbar bleiben, kämen diese Grenzen etwas höher zu liegen. Bei den Kapital­erträgen sind die Abschät­zungen als Extrem­werte zu verstehen, wie die neusten Auswer­tungen der Haushalts­bud­get­er­hebung zeigen. Ausserdem fallen diese wie aufge­zeigt haupt­sächlich bei Haushalten an, die zwar noch Schuld­zinsen leisten, gleich­zeitig aber Kapital­erträge erwirt­schaften, was typischer­weise bei Rentner­haus­halten zu beobachten ist.

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Erwartete langfristige Zinsent­wicklung ist entscheidend

Glaubt man an stetig tief bleibende Zinsen, so würde der vorlie­gende Vorschlag für die Eigenmietwert-Abschaffung die Eigen­heim­be­sitzer tenden­ziell entlasten. Geht man jedoch von einer Rückkehr des Zinsni­veaus auf den histo­ri­schen Durch­schnittswert von rund 4% aus, wie er zwischen 1850 und 2017 beobachtet wurde, so würde ein System­wechsel haushalts­neutral ausfallen. Für die Abschaffung vom Eigen­mietwert eröffnet sich deshalb aus mehreren Gründen ein «Window of Oppor­tunity». Denn er könnte in eine Phase poten­ziell steigender Zinsen umgesetzt werden und würde mehrere zentrale volks­wirt­schaft­liche Anliegen befrie­digen. So insbe­sondere die Verein­fa­chung des Steuer­systems, eine Reaktion der Anreize zur Verschuldung der Privat­haus­halte und damit einher­gehend die Verbes­serung der Finanz­markt­sta­bi­lität. Ein System­wechsel würde jene Haushalte entlasten, die in Eigen­ver­ant­wortung ihre Verschuldung verringert haben, beispiels­weise viele Rentner­haus­halte.

Den SRF-Beitrag vom September zum Thema «Abschaffung des Eigen­miet­werts» finden Sie hier.