Graue Emissionen im Gebäudesektor: Warum Investor:innen jetzt handeln sollten
Veröffentlicht am: 14. Oktober 2025 Letzte Aktualisierung: 15. Oktober 2025

Die konsequente Erfassung und Reduktion von Scope-3-Emissionen spielen eine wichtige Rolle in der Dekarbonisierung des Gebäudesektors. Denn klar ist: Netto-Null geht nicht ohne die Reduktion der Grauen Emissionen. Noch fehlen aber klare Standards zur Integration von Scope-3-Emissionen in Absenkpfade von Unternehmen. Die Charta für Kreislauforientiertes Bauen macht hier mit ihrem im September 2025 veröffentlichten WhitePaper einen wichtigen Schritt und lädt alle Akteur:innen zum Mitgestalten ein. Warum Erstellungsemissionen so entscheidend sind, welche Regulatorien bisher in der Schweiz gelten und wie Erstellungsemissionen reduziert und systematisch in Entscheidungsprozessen eingebunden werden können, wird im folgenden Blogbeitrag thematisiert.
Die Bedeutung von Scope-3-Emissionen in der ganzheitlichen Lebenszyklusanalyse
Graue Emissionen (Scope 3) sind die Treibhausgasemissionen, welche bei der Erstellung eines Gebäudes entlang des gesamten Lebenszyklus entstehen. Also vor und beim Bau des Gebäudes (Phase A), bei Instandsetzungen und Erneuerung während der Nutzung (Phase B) und am Ende des Lebenszyklus beim Rückbau und der Entsorgung eines Gebäudes (Phase C).
In einer ganzheitlichen Lebenszyklusanalyse (Whole-LifeCarbon Assessment) werden sie gemeinsam mit den Betriebsemissionen betrachtet. Weil die Betriebsemissionen dank des Ausbaus erneuerbarer Energien und steigender Effizienz sinken, rücken die Erstellungsemissionen in den Vordergrund – nicht nur beim Neubau. Für Investor:innen bedeutet das klar: Netto-Null ist nur erreichbar, wenn graue Emissionen systematisch ermittelt und in Entscheidungen einbezogen werden.
Die Notwendigkeit einer systematischen Quantifizierung, sowie fehlende Reporting-Standards für Scope-3-Emissionen wurden im WhitePaper der Charta für Kreislauforientiertes Bauen von wichtigen Akteur:innen der Schweizer Real Estate Branche aufgezeigt und konkrete Berechnungsmethoden vorgestellt.
Regulatorik, Incentives und Zertifizierungen – was zählt jetzt?
In der Schweiz zeigt die SIA-Norm 390/1 Klimapfad Netto-Null kompatible Zielwerte für die Erstellung und den Betrieb von Umbauten und Neubauten und verdeutlicht den zunehmenden Anteil der Erstellungsemissionen an den Gesamtemissionen. Die MuKEn 2025 setzt hier ebenfalls einen neuen wichtigen Akzent: Erstmals werden Anforderungen an die graue Energie als Basisanforderung eingeführt – und zwar sowohl für Neubauten als auch bei wesentlichen Erneuerungen.1
Auch Schweizer Labels und Zertifizierungen schärfen die Richtung: Bei einer Zertifizierung nach dem Minergie-Standard müssen seit der Version 2023 Neubauten jeder Gebäudekategorie einen objektspezifischen Grenzwert für Graue Treibhausgasemissionen einhalten. Minergie ECO enthält Grenzwerte sowohl für graue Treibhausgasemissionen als auch für graue Energie; die strengeren Grenzwerte 1 orientieren sich in Richtung des SIA-Klimapfads. Die Einhaltung der oberen Grenzwerte 2 gilt als Ausschlussvorgabe für die Zertifizierung.
SNBS (Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz) baut auf der Minergie-ECO-Methodik auf und kennt ebenfalls beide Kriterien: Treibhausgasemissionen in der Erstellung und Energiebedarf der Erstellung. Auch wenn die Kriterien weder im SNBS-Areal noch im SNBS-Hochbau-Standard explizite Ausschlussvorgaben sind, ist eine Zertifizierung ohne Optimierung der grauen Emissionen kaum möglich.
Im Rahmen der europäischen Gebäudepolitik rückt die verpflichtende Betrachtung der Lebenszyklusemissionen zunehmend in den Fokus. Beispielhaft zu nennen sind die aktuelle EPBD (Energy Performance of Buildings Directive), die eine schrittweise Einführung verpflichtender Grenzwerte für graue Emissionen bis 2030 vorsieht2; die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) mit erhöhten Transparenzanforderungen zu klimabezogenen Angaben nach European Sustainability Reporting Standards (ESRS) – einschliesslich, sofern wesentlich, der Offenlegung von Scope-3-Emissionen aus Bau- und Erneuerungsaktivitäten; sowie die Rolle der Lebenszyklusemissionen bei der Klassifizierung als «nachhaltig» in der EU-Taxonomie3.
Damit werden auf EU-Ebene klare Anreize für das Reporting und die Reduktion von grauen Emissionen gesetzt. Methodisch dient das Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol) als gemeinsame Grundlage für das Scope-3-Reporting. Auf Schweizer Ebene fehlen hier bisher klare Standards und Richtlinien, wie Scope-3-Emissionen aus dem Immobiliensektor ermittelt und offengelegt werden können.
Das WhitePaper der Charta für Kreislauforientiertes Bauen macht einen wichtigen Schritt in Richtung Standardisierung für die Berichterstattung und Berechnung grauer Treibhausgasemissionen in Immobilienportfolios: Grundsätzlich werden dort drei Berechnungsmethoden vorgestellt, welche sich in Genauigkeit und Aufwand unterscheiden:
- Methode 1 nach SIA 2032 (Graue Energie – Ökobilanzierung für die Erstellung von Gebäuden): Eine umfassende Ökobilanzierung nach SIA 2032 zeigt die höchste Detailschärfe. Sie bildet auch die Grundlage für Nachweisführungen bei Zertifizierungen.
- Methode 2 Hochrechnung aus Benchmarks: Das WhitePaper publiziert typische Gebäudebenchmarks in kg CO2-eq./m2 EBF*a je nach Entwicklungsstrategie und Bauweise, welche zur groben Berechnung von Erstellungsemissionen verwendet werden können.
- Methode 3 Ausgabenbasiert / «spend-based»: Über typische Kennwerte in kg CO2-eq. pro CHF können graue Emissionen anhand von Investitionskosten abgeschätzt werden. Dieser Ansatz zeigt allerdings die grösste Ungenauigkeit.
Klar ist: Ökobilanzierungen liefern die genaueste Grundlage zur Berechnung von Scope-3-Emissionen; für eine flächendeckende Portfoliobetrachtung aller Gebäude sind sie jedoch oft zu aufwendig und die nötige Detailtiefe liegt nicht überall vor.
Gebäude- bzw. Bauteil-Benchmarks ermöglichen eine phasengerechte Genauigkeit und gewinnen mit wachsender Datengrundlage an Präzision. Dafür braucht es einheitliche Intensitätskennzahlen und Bezugsgrössen. Das Whitepaper der Charta für Kreislauforientiertes Bauen orientiert sich an der SIA 390/1 und empfiehlt kg CO₂-eq. pro m² EBF und Jahr als Standardeinheit – die Angabe «pro Jahr» dient der Vergleichbarkeit mit Jahreszielen und Betriebsemissionen im Absenkpfad, auch wenn Erstellungsemissionen physisch einmalig anfallen.
Neben der Berechnungsmethode ist eine klare Definition der zu berücksichtigenden Emissionen erforderlich, um Doppelzählungen innerhalb eines Unternehmens zu vermeiden. Gemäss GHG-Protokoll werden Scope-3-Emissionen in 15 Kategorien unterteilt. Das Whitepaper der Charta für Kreislauforientiertes Bauen gibt eine detaillierte Auflistung der zu berücksichtigenden Emissionskategorien aus der Perspektive unterschiedlicher Use-Cases: «Direkter Investor», «Corporate», «Projektentwickler», «General- / Totalunternehmung». Für direkte Investor:innen stehen die vor- und nachgelagerten Emissionen aus Erstellung/Erneuerung, Instandhaltung und Nutzung (inkl. vorgelagerter Energiebereitstellung) sowie Rückbau/Entsorgung im Fokus.
In der Anwendung zeigt sich: Ohne fundierte Datengrundlage und klare Prozesse wird die Umsetzung schnell komplex – ein weiterer Grund, Strukturen jetzt aufzubauen.
Die wichtigsten Hebel zur Reduktion grauer Emissionen
Scope-3-Emissionen berechnen sich im Kern aus der Multiplikation von Treibhausgas(THG)–Intensität (Emissionsfaktoren der Materialien) und Bauteil- bzw. Materialmenge. Die Summe aller Bauteile ergibt so die totalen Erstellungsemissionen gemäss GHG Reporting Standard. Um die Emissionen als Durchschnittswert pro Jahr auszugeben werden sie gemäss SIA 2032 durch die Standardlebensdauer der Bauteile und die EBF geteilt.
Graue Emissionen gemäss GHG Reporting:
Graue Emissionen {kg CO2-eq.} =
SUMME ( THG-Intensität {kg CO2-eq./m2} oder {kg CO2-eq./kg} X Bauteil- oder Materialmenge {m2} oder {kg} )
Graue Emissionen gemäss SIA 2032:
Annualisierte Graue Emissionen {kg CO2-eq./m2a} =
Graue Emissionen {kg CO2-eq.} / ( EBF {m2} X Bauteil-Lebenserwartung {a} )
Aus dieser Formel leiten sich drei wesentliche Hebel zur Reduktion der grauen Emissionen ab:
- Der erste Hebel ist der Erhalt der gebauten Substanz: Gebäude und Bauteile länger nutzen, Eingriffe zielgerichtet planen und Ersatzzyklen verlängern (Bauteilmenge reduzieren).
- Zweitens lohnt sich der Blick auf den Materialeinsatz: schlanke Konstruktionen, Wiederverwendung (ReUse) und eine Planung, die Ressourcen spart (Materialmenge reduzieren).
- Drittens spielt die Materialwahl eine zentrale Rolle: biogene Baumaterialien können, wo passend, die Erstellungsemissionen spürbar reduzieren (THG-Intensität der Materialien reduzieren).
Die drei Hebel sind vergleichbar mit den sogenannten Prinzipien der Kreislaufwirtschaft, welche sich nach Relevanz bzw. Ressourcen- und CO2-eq.-Intensität in folgender Pyramide darstellen lassen. Dabei gilt: Je höher eine Maxime angeordnet ist, desto wichtiger ist sie, um ein Immobilienportfolio im Sinne der Kreislaufwirtschaft nachhaltig zu bewirtschaften. Weitergehende Informationen finden Sie in unserer Studie: Zirkulär Bauen: Leitfaden für Investoren und Bauherrschaften).
Abbildung 1: Hierarchie der Prinzipien der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen
Refuse: Vermeidung von baulichen Massnahmen: Weiternutzung und Sanierung.
Rethink: Clevere (Um-)Nutzungskonzepte. Entwurf unter Berücksichtigung von Rückbaubarkeit.
Reduce: Minimierung der Materialmenge durch Design, Instandhaltung und Effizienz.
Reuse: Wieder- und Weiterverwendung von Bauteilen und Tragstrukturen.
Recycle: Weiterverwendung von Materialien als Sekundärrohstoffe, Zuführung von Material auf Deponien minimieren.
Entscheidend ist, diese Hebel früh zu prüfen und entlang des gesamten Prozesses mitzudenken, denn die Möglichkeit der Reduktion der CO2-eq. Emissionen sinkt mit zunehmendem Projektverlauf.4
Was bedeutet das für Portfolio- und Projektentscheidungen?
Auf Portfolioebene schafft die Ermittlung der Erstellungsemissionen die Grundlage, um den Status Quo und zukünftige Projekte auf dem Klimapfad einzuordnen. Nur wer Scope 3 früh und über das gesamte Portfolio quantifiziert, kann Massnahmen nach ihrem gesamtheitlichen CO₂-eq. Einsparpotenzial priorisieren – zum Beispiel die Wirkung von Bestandeserhalt gegenüber Ersatzneubau, den Beitrag von ReUse oder den Einsatz biogener Baumaterialien. Daraus ergeben sich belastbare Entscheidungsgrundlagen für CapEx-Allokation, Sanierungsfahrpläne und Netto-Null-Strategien.
Vereinheitlichte Methoden und Standards zum Reporting von Scope 3 Emissionen und zum Erstellen von Whole-Life Carbon Absenkpfaden befinden sich in der Entwicklung. Das White Paper der Charta für Kreislauforientiertes Bauen schlägt erstmals mögliche Vereinheitlichungen und Berechnungsmethodiken vor. Gerne können wir Sie dabei unterstützen, Scope 3 Emissionen über das gesamte Portfolio zu ermitteln und systematisch in Jahresziele und Absenkpfade zu integrieren.
Auf Gebäude bzw. Projektebene braucht es klare Entscheidungsgrundlagen: von der strategischen Phase bis zur Projektierung und Realisierung. Variantenvergleiche – etwa Bestandeserhalt vs. Ersatzneubau oder umfassende vs. minimale Sanierung – zeigen, welche Option unter dem Strich die geringeren Gesamtemissionen verursacht. Die Ergebnisse können mit ökonomischen Kennwerten kombiniert betrachtet werden. Eine phasengerechte Berechnung mit transparenten Annahmen hilft, die wirksamste Lösung zu wählen. Unsere bewährten Bilanzierungsmethoden erlauben die hohe Flughöhe und die vertiefte Detailbetrachtungen in jeder Phase der Projektentwicklung.
Abbildung 2: Bestandserhalt oder Ersatzneubau?
Variantenvergleiche mit unterschiedlichen Parametern
Quelle: https://www.studiodurable.ch/themen/bestandserhalt
Ökobilanzen und Zertifizierungen auf Gebäudeebene sind Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien und Qualitätsmanagement zugleich. Wir stehen Ihnen mit unserer Expertise zur Seite, sodass Ihre Projekte den höchsten Standards entsprechen.
Fazit
- Es wird gesetzlich relevant: Strukturen müssen aufgebaut, Prozesse, Datenflüsse und Verantwortlichkeiten geklärt werden.
- Netto-Null gelingt nur mit der Reduktion der grauen Emissionen. Bei Neubauten verursachen sie bereits heute anteilig die meisten Emissionen – und ihr Anteil nimmt zu, auch bei Sanierungen.
- Scope 3 früh mit einheitlicher Vergleichskennzahl (kg CO2-eq./m2 a) ermitteln und in Investitionsentscheidungen berücksichtigen. Wie bei Scope 1 und 2 gilt: früh in den Projektphasen und auf Ebene der Portfoliostrategie denken, denn dort ist der Hebel am grössten.
- Scope 1, 2 und 3 gehören zusammen. Niedrige Betriebsemissionen führen nicht automatisch zu den niedrigsten Gesamtemissionen – entscheidend ist die gesamtheitliche Betrachtung über den Lebenszyklus.
- Schweizweite Standards: klare Allokation der Emissionen, Whole-Life Carbon Absenkpfade für Immobilienportfolios befinden sich in der Entwicklung. Das Whitepaper der Charta für Kreislauforientiertes Bauen zeigt hier klare Methoden auf. Es gilt jetzt Strukturen aufzubauen und Ziele zu setzen.
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- Vgl. Energiehub Gebäude: MuKEn 2025 – Energiehub Gebäude, in: Energiehub Gebäude, 04.09.2025. ↩︎
- Vgl. EU Building Policy Tracker – World Green Building Council: in: World Green Building Council, 10.12.2024b
[online]. ↩︎ - Vgl. Charta Kreislauforientiertes Bauen/Sustainability & Real Estate Team I Ernst & Young AG: Scope 3 Real estate: Bilanzierung & Reporting WhitePaper, 09.2025. ↩︎
- Vgl. Whole Life Carbon Assessment for the built environment: in: RICS PROFESSIONAL STANDARD, 2nd. Aufl., Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS), 09.2023, ↩︎