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Neue SIA 390/1: Ein wichtiger Meilen­stein für die Klima­trans­parenz im Gebäu­de­sektor

Veröffentlicht am: 10. Februar 2025 Letzte Aktualisierung: 17. Februar 2025

construction site close to pavement under sunshine

Die Schweiz erhält mit der ab Februar 2025 gültigen Norm SIA 390/1 ein neues Werkzeug, um die Treib­haus­gas­emis­sionen im Bausektor konse­quent zu senken. Die Norm legt einen Fokus auf die Vermeidung von CO₂-Emissionen und liefert damit einen „Klimapfad“ für den gesamten Lebens­zyklus von Gebäuden. In diesem Beitrag geben wir einen Überblick über die wichtigsten Inhalte der SIA 390/1, beleuchten praktische Auswir­kungen für die Immobi­li­en­branche und zeigen auf, wie wir bei Wüest Partner unsere Kundinnen und Kunden bei der Umsetzung unter­stützen können.

Warum ist die Norm wichtig?

Der Bausektor ist in der Schweiz nach wie vor für einen grossen Anteil der landes­weiten CO₂-Emissionen verant­wortlich. Das Netto-Null-Ziel bis spätestens 2050 verlangt daher ambitio­nierte Schritte. Die neue Norm SIA 390/1:2025, welche den bishe­rigen «SIA-Effizienzpfad Energie» ablöst, schafft ein konsis­tentes Regelwerk für die Bilan­zierung und Bewertung der über den Lebens­zyklus anfal­lenden Treib­haus­gas­emis­sionen von Gebäuden. Pro Nutzungs­ka­te­gorie werden Richt- und Zielwerte festgelegt, welche die Bereiche Erstellung, Betrieb und Mobilität umfassen.

Kernin­halte: Fokus­sierung auf Treib­hausgase und mehr Trans­parenz

  1. Treib­haus­gas­emis­sionen als zentrale Leitgrösse
    Während im Vorgänger (SIA-Effizienzpfad Energie) die nicht erneu­erbare Primär­energie und Treib­haus­gas­emis­sionen gleicher­massen betrachtet wurden, stellt die SIA 390/1 nun vorrangig auf die Treib­haus­gas­emis­sionen (THGE) ab. Die nicht erneu­erbare Primär­energie wird zwar weiter relevant bleiben, hat jedoch nur noch infor­ma­tiven Charakter und kann mit orien­tie­renden Richt­werten verglichen werden.
  2. Klare Definition von Netto-Null
    Die Norm bietet eine klare Definition von Netto-Null. «Ein Gebäude mit netto null Treib­haus­gas­emis­sionen (kurz Netto-Null-Gebäude) weist ein Minimum an Treib­haus­gas­emis­sionen für die Erstellung und den Betrieb über den gesamten Lebens­zyklus auf und vermindert die verblei­benden schwer vermeid­baren Treib­haus­gas­emis­sionen aus Erstellung und Betrieb durch anrechenbare Negative­mis­sionen auf netto null.» (vgl. SIA 390/1 Abschnitt B.1.1.)
  3. Keine Anrechnung von Negative­mis­sionen beim Zielwert
    Eine wesent­liche Neuerung gegenüber dem Vernehm­las­sungs­entwurf der SIA 390/1 ist, dass im Vergleich mit den vorge­schrie­benen Zielwerten keine Negative­mis­si­ons­tech­no­logien mehr einge­rechnet werden dürfen (vgl. Abschnitt B.1.3). Die Norm betont zwar, dass Negative­mis­sionen langfristig unver­meidbar seien, um «Netto-Null-Gebäude» zu reali­sieren, aber der Fokus liegt auf der Emissi­ons­ver­meidung und ‑reduktion.
  4. Strom­bi­lan­zierung mittels Verbrau­chermix
    Für Elektri­zität verlangt die Norm explizit die Bilan­zierung mit dem CH-Verbrauchermix gemäss KBOB (vgl. Abschnitt 3.3.1.3). Damit ist sie nicht direkt kompa­tibel mit dem Schweizer THG-Benchmark REIDA, der auf Basis des Liefe­ran­ten­mixes mit Herkunfts­nachweis rechnet (vgl. Intep «Treibhausgas-Emissionsfaktoren für den Gebäu­de­sektor»). REIDA weist laut eigenem Metho­den­be­schrieb bereits auf diese Diskrepanz hin. Für Akteure, die nach REIDA bilan­zieren, kann es also zu Abwei­chungen kommen – darauf sollte man im Rahmen von Projekten frühzeitig hinweisen. Ausserdem besteht die Möglichkeit, dass die Scope 2 Emissionen im Falle einer Anglei­chung einen signi­fi­kanten Sprung erfahren.
Emissi­ons­faktor REIDA Strommix1KBOB 2022 CH-Verbrauchermix
37.8 g CO2 eq./ kWh125 g CO2 eq. / kWh
  1. System­grenze: Vor- und nachge­la­gerte Prozesse inklu­diert
    Die Norm sieht vor, alle direkten und indirekten Emissionen in die Bilanz aufzu­nehmen, inklusive Herstellungs- und Entsor­gungs­pro­zesse (Scope 1 + 2 + 3 nach Green­house Gas Protocol) (vgl. Abschnitt 3.1.1). Aller­dings gilt zu beachten, dass die Schweizer Norm SIA 2032:2020 bestimmte Bauteile (z.B. Umgebungs­ge­staltung) in der Ökobi­lan­zierung ausschliesst, was inter­na­tionale Vergleiche erschweren kann.
  2. Rahmen­be­din­gungen für PV-Strom
    Die Norm klärt, unter welchen Umständen Solar­strom zur Bilanz angerechnet werden darf. Dabei spielen Aspekte wie die Herkunfts­nach­weise und die tatsäch­liche Nutzung (Eigen­ver­brauch vs. Einspeisung) eine zentrale Rolle. Werden beispiels­weise die Herkunfts­nach­weise verkauft, darf nur der Eigen­ver­brauch der Bilanz angerechnet werden (vgl. Abschnitt 3.1.5).
  3. Ziel-Absenkpfade für Erstellung und Betrieb
    Die Norm definiert Absenk­pfade und Zielwerte, um die Emissionen sowohl aus der Errichtung (Erstel­lungs­phase) als auch dem Gebäu­de­be­trieb rasch auf ein klima­ver­träg­liches Niveau zu senken. Diese Zielwerte werden künftig periodisch verschärft, um dem Weg Richtung Netto-Null zu entsprechen.
  4. Wieder­ver­wendung von Bauteilen
    Um den Materi­al­einsatz und damit verbundene Emissionen weiter zu senken, eröffnet die SIA 390/1 die Möglichkeit, wieder­ver­wendete Bauteile bei der Erstellung emissi­ons­seitig günstiger zu bewerten. So können die Aufwen­dungen für die Herstel­lungs­phase entfallen. In frühen Projekt­phasen dürfen pauschal 20% der Treib­hausgase abgezogen werden, wenn wieder­ver­wendete Bauteile eingebaut werden (vgl. Abschnitt B.2).
  5. Alter­native Bezugs­grössen
    Die Norm sieht vor, die THG-Emissionen sowohl pro Quadrat­meter (Energie­be­zugs­fläche) als auch nach alter­na­tiven Bezugs­grössen darge­stellt werden können, beispielhaft pro Bewoh­nende oder pro Vollzeit­äqui­valent (FTE). Auf diese Weise können suffi­ziente Nutzungs­mo­delle (z.B. reduzierte Wohnfläche pro Person) oder unter­schied­liche Belegungs­arten abgebildet werden (vgl. Abschnitt D).

Unsere Einschätzung: Ein Schritt zu mehr Klima­trans­parenz

Die SIA 390/1 schafft eine wichtige Grundlage für die Treib­haus­gas­bi­lan­zierung und bringt gleich­zeitig eine wichtige Verschärfung mit, indem Negative­mis­sionen nicht für den Zielwert angerechnet werden dürfen. Dieser Wandel ist zukunfts­weisend, da er die Vermeidung in den Vorder­grund stellt, anstatt primär auf Kompen­sation zu bauen. Zugleich führt die Fokus­sierung auf THG-Emissionen zu klareren Aussagen über die Klima­wirkung im Gebäu­de­be­reich.

Zu klären bleibt die Differenz zwischen den Strom-Emissionsfaktoren des Verbrau­cher­strommix nach KBOB und dem REIDA THG-Benchmark. Eine Konso­li­dierung wäre für die Immobi­li­en­branche wichtig und würde Hinder­nisse, wie beispiels­weise Schwie­rig­keiten bei der Vergleich­barkeit, reduzieren. Wir erachten den Verbrau­cher­strommix nach KBOB als ökolo­gisch und ökono­misch sinnvoller und umfas­sender.

Zudem bleibt eine Abgren­zungs­frage: Da SIA 2032 Umgebungs­bau­teile und weitere Elemente ausschliesst, kann ein inter­na­tio­naler Vergleich limitiert sein. Für Eigen­tü­me­rinnen und Eigen­tümer sowie Portfolio-Manager wird es also noch wichtiger, regionale (Schweizer) Normen und globale Bench­marks zu trennen und sauber zu kommu­ni­zieren.

Ausserdem bleibt der rechne­rische Umgang mit frühzei­tigem Abriss von Gebäuden offen. Im Vorgänger «SIA-Effizienzpfad Energie» mussten Bauten, welche vor Ablauf von 30 Jahren nach Erstellung umfassend erneuert werden, einge­rechnet werden. Diese Präzi­sierung fehlt in der neuen SIA 390/1.

Klima­re­gu­lierung wird konkret: Neue CO₂-Vorgaben für Immobilien

Während die neue SIA 390/1 selbst nicht gesetzlich verpflichtend ist, bietet sie eine anerkannte Methodik, um sich auf diese regula­to­ri­schen Verän­de­rungen vorzu­be­reiten. Sie hilft den Eigen­tü­mer­schaften, ihre Gebäude an den verschärften kanto­nalen Energie­ge­setzen und CO₂-Reduktionszielen auszu­richten und die CO₂-Emissionen über den gesamten Lebens­zyklus zu reduzieren.
Der Bund hat im November 2024 beschlossen, dass die Kantone künftig Grenz­werte für graue Energie in Gebäuden festlegen müssen – eine Massnahme, die schritt­weise in die kanto­nalen MuKEn 2025 (Muster­vor­schriften der Kantone im Energie­be­reich) integriert wird. Der Kanton Basel-Stadt plant beispiels­weise zusätzlich eine CO₂-Lenkungsabgabe, die den Neubau emissi­ons­in­ten­siver Gebäude verteuern könnte und Abriss­pro­jekte unattrak­tiver macht.
Parallel dazu sind seit 1. Januar 2024 grosse Schweizer Unter­nehmen zur Klima­be­richt­erstattung verpflichtet, was den Druck auf Immobi­li­en­port­folios zusätzlich erhöht, trans­pa­rente CO₂-Bilanzen auszu­weisen.

Fazit

Die neue SIA 390/1 setzt wegwei­sende Standards für mehr Klima­trans­parenz und macht den Schweizer Gebäu­depark fit für das Netto-Null-Ziel. Insbe­sondere die klaren Vorgaben zur THG-Bilanzierung erhöhen die Verbind­lichkeit und stärken den Anreiz zu echter Emissi­ons­ver­meidung. Eigen­tümer, Inves­toren und Planer stehen damit vor der Heraus­for­derung, ihre Prozesse und Daten­ströme für die neue Norm fit zu machen. Wir bei Wüest Partner begrüssen diese Trans­parenz und stehen Ihnen gern zur Seite, um sicher­zu­stellen, dass Ihre Immobi­li­en­port­folios auch unter den verschärften Vorgaben zukunfts­sicher bleiben – ökolo­gisch wie ökono­misch.

Wie die Wüest-Partner-Gruppe Sie unter­stützt

Als führendes Schweizer Immobi­li­en­be­ra­tungs­un­ter­nehmen hat Wüest Partner bereits langjährige Erfahrung in der Bilan­zierung und Optimierung von Gebäu­de­emis­sionen. Mit Blick auf die neue SIA 390/1 bieten wir Ihnen:

Syste­ma­tische Gebäude- und Portfo­lio­analyse
Wir ermitteln Treib­haus­gas­emis­sionen über den gesamten Lebens­zyklus, gemäss den (neuen) Vorgaben der SIA 390/1 – inklusive Erstellung, Betrieb und Mobilität.

Beratung bei Daten­auf­be­reitung und Software-Tools
Wir unter­stützen bei der Erfassung und Aufbe­reitung von Daten und bieten Software Möglich­keiten an, die Klima-Performance ihres Immobi­li­en­port­folios zu managen.

Klima-Risiko-Analysen und Szenarien
Im Hinblick auf Regula­torik und Klima­stra­tegien (bspw. ISSB, EU-Taxonomie) entwi­ckeln wir gemeinsam mit Ihnen Szenarien, um die künftige Energie- und Emissi­ons­ent­wicklung sowie die Wirtschaft­lichkeit der Massnahmen abzuschätzen.

Strate­gische Planung und Monitoring
Auf Basis der Ziel-Absenkpfade beraten wir Sie dabei, realis­tische Etappen­ziele zu setzen und wirksame Massnahmen in den Bereichen Gebäu­de­hülle, Betriebs­op­ti­mierung oder Bauteil-Wiederverwendung zu identi­fi­zieren – selbst­ver­ständlich unter Berück­sich­tigung Ihrer Inves­ti­ti­ons­pläne.

Bewertung und Kommu­ni­kation
Mit trans­pa­renter Dokumen­tation zur CO₂-Bilanzierung stärken Sie das Vertrauen Ihrer Stake­holder. Wir helfen Ihnen, Berichte adres­sa­ten­ge­recht aufzu­be­reiten und Einblicke in die klima­spe­zi­fische Perfor­mance Ihrer Immobilien zu geben.

  1. HKN CH 79%ern. 2022, Stand 31.10.2024 (Fossile inkl. Anergene und Upstream, exkl. Biogene) ↩︎

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