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Wie die Sicht Wohlbe­finden und Immobi­li­en­werte beein­flusst

Letzte Aktualisierung: 22. April 2025

Anhand eines digitalen Zwillings (Digital Twin) des Schweizer Gebäu­de­parks sind wir in der Lage, eine Reihe von Sicht­me­triken abzuleiten. Zum Beispiel können wir den visuellen Anteil der Seesicht eines Gebäudes bestimmen. Dies ermög­licht es uns, die Wirkungen von visuellen Elementen auf die Immobi­li­en­preise in einer bisher unerreichten Genau­igkeit zu verstehen. Wir stellen fest, dass die Sicht auf Seen und Städte in der Ferne den stärksten Einfluss auf den Verkaufs­preis hat. Es hat sich auch gezeigt, dass die unter­suchten visuellen Elemente stark kontext­ab­hängig sind. Die Analyse vermittelt ein umfas­sendes Bild davon, wie die visuelle Qualität im Schweizer Gebäu­depark und innerhalb eines bestimmten Gebäudes variiert.

Qualität der Sicht bei Immobilien

Es wurde mehrfach nachge­wiesen, dass die Qualität der Sicht eine wichtige Rolle dabei spielen, wie Menschen Landschaften wahrnehmen und wie sie Entschei­dungen treffen. Neuere neuro­wis­sen­schaft­liche Forschungen zeigen beispiels­weise den unbewussten Einfluss von fraktalen Mustern auf die visuelle Wahrnehmung und das Wohlbe­finden. Optimale fraktale Dimen­sionen (z. B. Natur­land­schaften) reduzieren Stress und führen zu einer Ausschüttung von Endor­phinen (Brielmann et al., 2022). Ausserdem neigen weit entfernte Objekte und Landschaften (>1 km) dazu, einen grösseren Anteil der Aufmerk­samkeit der Menschen zu erhalten, als Objekte in mittlerer Distanz (150 Meter bis 1 km) (Hull & Stewart, 1995). Sowohl der Aspekt der Tiefen­wahr­nehmung als auch die Sicht­barkeit von fraktalen Mustern sind daher wichtige Aspekte, die im Zusam­menhang mit der bebauten Umgebung zu berück­sich­tigen sind. Dies wird durch Forschungen zur städti­schen Gesundheit und zu Innen­räumen gestützt, die zeigen, dass ein quali­tativ hochwer­tiger Ausblick aus dem Fenster den mentalen Zustand und die Schlaf­qua­lität der Arbeit­neh­menden verbessert, Stress reduziert und die Kreati­vität fördert (Al Horr et al., 2016; Frontczak & Wargocki, 2011).

Was wir sehen, beein­flusst nicht nur unser Wohlbe­finden, sondern kann sich auch auf die Mieten oder den Wert von Immobilien auswirken. Kriterien der Aussicht und der visuellen Qualität erklären Preis­un­ter­schiede bei Mehrfa­mi­li­en­häusern in Genf (Baranzini et al., 2008) und bei Büromieten in Manhattan. Im Fall von Manhattan wiesen Büroflächen mit guter Aussicht einen effek­tiven Netto­miet­auf­schlag von 6 % im Vergleich zu Flächen mit geringer Aussicht auf (Turan et al., 2021).

Frühere Analysen haben zwar die offen­kundige Präferenz – höhere Preise – für quali­tativ hochwertige Fenster­an­sichten gezeigt, haben sich jedoch meistens auf viel kleinere Stich­proben bezogen. Mit der neuen Möglichkeit, die Aussicht direkt aus einem digitalen Zwilling zu quanti­fi­zieren, haben wir nun die Möglichkeit, den finan­zi­ellen Wert einer quali­tativ besseren Aussicht mit einer wesentlich grösseren geogra­fi­schen Abdeckung analy­tisch zu bewerten.

Unsere Daten: Abgeleitet von einem «Digital Twin»

Unsere Datenbank besteht aus 32 Mio. Aussichts­punkten von Gebäu­de­fas­saden in der Schweiz. Jeder Punkt reprä­sen­tiert die visuelle Landschaft, wie sie durch ein virtu­elles Fenster gesehen wird, und ermög­licht die Quanti­fi­zierung eines Ausblicks in Bezug auf die Zusam­men­setzung und Anordnung der visuellen Elemente.

City, Diagram, Building

Der digitale Zwilling ist eine exakte 3D-Darstellung aller Gebäude. Er beinhaltet Topologien, sicht­re­le­vante Point-of-Interest-Daten wie Berge, Kernkraft­werke, Strom­lei­tungen und verschiedene Landober­flä­chen­typen wie Strassen, Wälder, Seen usw. So können wir model­lieren, was von verschie­denen Stock­werken und von jeder Seite des Gebäudes aus sichtbar ist. Ein Blick­winkel enthält Infor­ma­tionen über den Anteil von Fassaden, Dächern, Seen, Vegetation und unerwünschten Struk­turen wie Hochspan­nungs­lei­tungen.

Visuelle Landschafts­ele­mente können unter­schiedlich häufig vorhanden sein. So haben beispiels­weise nur 4.6 % des Schweizer Gebäu­de­parks eine Aussicht von 1 % auf ein Gewässer (z. B. einen Fluss oder See), während 57.6 % eine Aussicht von 1 % auf die Natur haben. Die Häufigkeit solcher visuellen Elemente variiert zudem je nach Standort; so hat ein durch­schnitt­liches Gebäude in Basel 18.7 % Sicht auf Vegetation, während es in Genf 26.7 % sind.

Die Struktur der Stadt und das Gelände spielen eine wichtige Rolle bei der Bestimmung des lokalen Angebots an Aussichten. Betrachtet man die Städte Lausanne und Zürich und unter­sucht ausschliesslich die Verteilung der Seesicht, so ergeben sich einige inter­es­sante Muster: Gebäude in Lausanne haben nicht nur häufiger Seesicht, sondern tenden­ziell auch mit einem grösseren Sicht­anteil auf den See. Aller­dings gibt es in Zürich verhält­nis­mässig mehr Gebäude mit ausser­ge­wöhnlich guter Seesicht (Gesamt­anteil von über 10 %), was auf ein grösseres Ungleich­ge­wicht beim Zugang zu Seesicht in diesen beiden Städten hinweist. Betrachtet man die Lage der Gebäude mit der besten Seesicht, so zeigt sich, dass die hügelige Topografie des nordöst­lichen Genfer­see­ufers (Lausanne, Lavaux, Vevey, Montreux) die Wahrschein­lichkeit überdurch­schnitt­licher Sicht erhöht. Dagegen schafft die Häufung an Häusern innerhalb von 1.5 km vom Seeufer in Zürich eine natür­liche Knappheit an hochwer­tigen Seesichten. Wirtschaftlich gesehen führt die Knappheit von Gütern in der Regel zu einer höheren Zahlungs­be­reit­schaft.


Plot, Chart, Map

Plot, Chart, Map

Die Darstellung der geogra­fi­schen Ausdehnung von Gebäuden mit Seeblick, einge­färbt nach der Grösse der jeweils grössten Aussicht, zeigt die Unter­schiede im Angebot an Immobilien mit Seeblick zwischen dem Genfersee und dem Zürichsee.

Einfluss­fak­toren der Sicht auf die Hauspreise in der Schweiz

Wir haben den Einfluss verschie­dener visueller Elemente in der Schweiz auf die Hauspreise unter­sucht. Konkret definieren wir unser Set von Sicht­at­tri­buten als den maximal sicht­baren Anteil einer ausge­wählten Variable für ein bestimmtes Gebäude (z. B. fünfpro­zentige Seesicht). Unter Berück­sich­tigung der üblichen Struktur‑, Erreichbarkeits- und Umwelt­merkmale verwenden wir ein hedoni­sches Preis­modell (Rosen, 1974), um den impli­ziten Preis der einzelnen Merkmale zu bestimmen. Das Modell zeigte, dass Häuser mit einer besseren Sicht auf einen See im Durch­schnitt mit einem Aufschlag von 11 % gehandelt werden, während bessere Sicht auf Natur im Durch­schnitt mit einem Abschlag von 1.6 % gehandelt werden. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass bestimmte visuelle Merkmale (z. B. Seesicht oder Blick auf eine Stadt in der Ferne, siehe Abbildung) zwar grosse, global gültige Preis­ef­fekte haben, andere jedoch räumlich variieren und stark kontext­ab­hängig sind. So wird beispiels­weise eine grössere Sicht auf die Natur in wohlha­benden städti­schen Gebieten mit einem Aufschlag von 1 % gehandelt, während in den Stadt­rand­ge­bieten mittel­grosser Städte ein Abschlag von 1 % feststellbar ist.

Einflussfaktoren der Sicht auf die Hauspreise in der Schweiz
Plot, Chart, Bow

Die x‑Achse zeigt den höchsten Wert (Anteil in %) pro Gebäude für das betref­fende Sicht-Element. Die y‑Achse zeigt die vorher­ge­sagte Bewertung (in Tausend CHF) eines Einfa­mi­li­en­hauses mit einem bestimmten Sicht­anteil, während andere Prädik­toren, die in unserem hedoni­schen Modell verwendet werden, kontrol­liert werden. Links: Marginale Auswirkung einer Sicht auf Gebäu­de­ele­mente in der Entfernung (1 km). Rechts: Auswirkung des Seeblicks auf die Trans­ak­ti­ons­preise.

Von der Makro- zur Nanolage

Bei der Beschreibung der Lage einer Immobilie hat sich die Unter­scheidung zwischen Makro- und Mikrolage einge­bürgert. Die Makrolage, d.h. die gross­räumige räumliche Einordnung, wird in der Schweiz meist durch die Gemeinde reprä­sen­tiert. Die Mikrolage beschreibt die klein­räu­migen Lageei­gen­schaften innerhalb der Makrolage.

Neben der Identi­fi­kation eines Standorts und der Zuordnung der zugehö­rigen Stand­ort­ei­gen­schaften ist die Umrechnung dieser gesam­melten Infor­ma­tionen in ökono­mische Kategorien von entschei­dender Bedeutung. Dabei wird der Wert aus der Knappheit des räumlichen Güter­bündels abgeleitet: Je seltener eine bestimmte Kombi­nation wünschens­werter Stand­ort­ei­gen­schaften in einem Gebiet vorkommt, desto höher ist prinzi­piell ihr ökono­mi­scher Wert. So erzielt ein Grund­stück mit Seesicht deutlich höhere Preise als ein Grund­stück ohne Seesicht, weil es – zumindest in der Schweiz – selten ist. Ein Mikro­la­ge­kri­terium wird nur dann preis­re­levant, wenn es auch ein exklu­sives Attribut ist, das an anderen Stand­orten in derselben Makrolage nicht vorhanden ist.

Mit der zuneh­menden Verfüg­barkeit von hochauf­lö­senden Geodaten hat eine dritte Ebene der Lagequa­lität Einzug in die Bewer­tungs­praxis gehalten: die Nanolage. Dieser Begriff wird verwendet, um die Qualität der Lage einer Wohnung innerhalb des Gebäudes zu definieren. Eine Wohnung im obersten Stockwerk hat z. B. eine andere Aussicht als eine Wohnung im Erdge­schoss, und eine nach Süden ausge­richtete Wohnung hat mehr Tages­licht als eine nach Norden ausge­richtete. Die Nanolage führt eine zusätz­liche Streuung der Zahlungs­be­reit­schaft innerhalb des Preis­ni­veaus der Makro- und Mikrolage ein. Unsere Sicht-Datenbank ermög­licht eine daten­ge­steuerte Bewertung der Nanolage.

Referenzen

Al Horr, Y., Arif, M., Kaushik, A., Mazroei, A., Kataf­y­giotou, M., & Elsarrag, E. (2016). Occupant produc­tivity and office indoor environment quality: A review of the literature. Building and Environment, 105, 369–389. https://doi.org/10.1016/j.buildenv.2016.06.001

Baranzini, A., Ramirez, J. V., Schaerer, C., & Thalmann, P. (2008). Intro­duction to this Volume: Applying Hedonics in the Swiss Housing Markets. Swiss Journal of Economics and Statistics, 144(4), 543–559. https://doi.org/10.1007/BF03399265

Brielmann, A. A., Buras, N. H., Salin­garos, N. A., & Taylor, R. P. (2022). What Happens in Your Brain When You Walk Down the Street? Impli­ca­tions of Archi­tec­tural Propor­tions, Biophilia, and Fractal Geometry for Urban Science. Urban Science, 6(1), Article 1. https://doi.org/10.3390/urbansci6010003

Fleischmann, M., Romice, O., & Porta, S. (2021). Measuring urban form: Overcoming termi­no­lo­gical incon­sis­tencies for a quanti­tative and compre­hensive morpho­logic analysis of cities. Environment and Planning B: Urban Analytics and City Science, 48(8), 2133–2150. https://doi.org/10.1177/2399808320910444

Frontczak, M., & Wargocki, P. (2011). Literature survey on how different factors influence human comfort in indoor environ­ments. Building and Environment, 46(4), 922–937. https://doi.org/10.1016/j.buildenv.2010.10.021

Hull, R. B., & Stewart, W. P. (1995). The Landscape Encoun­tered and Experi­enced While Hiking. Environment and Behavior, 27(3), 404–426. https://doi.org/10.1177/0013916595273007

Rosen, S. (1974). Hedonic Prices and Implicit Markets: Product Diffe­ren­tiation in Pure Compe­tition. Journal of Political Economy, 82(1), 34–55. JSTOR.Turan, I., Chegut, A., Fink, D., & Reinhart, C. (2021). Develo­pment of View Analysis Metrics and Their Financial Impacts on Office Rents. SSRN Electronic Journal. https://doi.org/10.2139/ssrn.3784759

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