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Kreis­lauf­wirt­schaft: Strategien im Umgang mit Bestands­bauten

Veröffentlicht am: 07. September 2020 Letzte Aktualisierung: 14. August 2025

Wie die Bau- und Immobi­li­en­wirt­schaft mit bestehenden Liegen­schaften umgeht und wie damit die Kreis­lauf­wirt­schaft gestärkt werden kann, ist sehr bedeutsam für die Nachhal­tig­keits­ziele unserer Gesell­schaft. Von den im Rahmen der Agenda 2030 vom Bund definierten 85 Indika­toren im Monitoring der nachhal­tigen Entwicklung werden mehrere zentrale Pfeiler direkt durch den Umgang mit Bestands­bauten beein­flusst:

  • Verbes­serung der Treib­haus­gas­bilanz
  • Sparsamer Umgang mit Materialien
  • Senkung der Wohnkosten
  • Steigerung des Wohlstandes
  • Reduktion des Siedlungs­flä­chen­ver­brauchs pro Person

Einige dieser Nachhal­tig­keits­in­di­ka­toren lassen sich, trotz der vielen teilweise diver­gie­renden Inter­essen der Bau- und Immobi­li­en­wirt­schaft, gleich­zeitig anstreben. Es treten aber auch Zielkon­flikte auf. Vor diesem Hinter­grund hat sich eine Studie, die Wüest Partner im Auftrag des Bunde­amtes für Umwelt (BAFU) ausge­ar­beitet hat, zum Ziel gesetzt, verschiedene Normstra­tegien im Umgang mit Bestands­bauten im Hinblick darauf zu evalu­ieren, wie die Errei­chung möglichst vieler Nachhal­tig­keits­ziele am besten in Einklang gebracht werden kann.

Um eine hohe Reprä­sen­ta­ti­vität zu gewähr­leisten, hat Wüest Partner für die Berech­nungen der sechs Normstra­tegien ein typisches zweistö­ckiges Mehrfa­mi­li­enhaus mit Baujahr 1970 aus einer Gross­stadt­ag­glo­me­ration. Rund ein Zwölftel aller heute bestehenden Wohnungen befinden sich in Mehrfa­mi­li­en­häusern aus den 1960er- oder 1970er-Jahren, die in der Agglo­me­ration eines Gross­zen­trums stehen. Viele dieser Liegen­schaften sind heute sanie­rungs­be­dürftig, und es stellt sich die Frage, welche der folgenden strate­gi­schen Optionen die passendste ist:

1. Fortführung ohne Eingriffe in die Bestands­baute

2. Kleine energe­tische Sanierung

3. Grosse energe­tische Sanierung

4. Aufsto­ckung von zwei auf vier Stock­werke

5. Ersatz­neubau mit gleicher Ausnützung

6. Ersatz­neubau mit doppelter Ausnützung

Evaluation der Normstra­tegien

Die Auswir­kungen dieser sechs Normstra­tegien auf fünf wichtige Nachhal­tig­keits­ziele hat Wüest Partner umfassend ausge­wertet. Es zeigt sich, dass in den meisten Fällen eine kleine energe­tische Sanierung diejenige Normstra­tegie ist, die der Vielzahl an Nachhal­tig­keits­zielen besonders gut gerecht wird. Die Mieter können in Fällen mit einem bedeu­tenden Rückgang der Heizkosten teilweise sogar von tieferen Wohnkosten profi­tieren, das zeigt eine aktuelle Studie (Wüest Partner, 2020). Zudem verbessert sich die CO2-Bilanz – einer­seits durch den dämmungs­be­dingten tieferen Wärme­bedarf und anderer­seits durch die Substi­tution fossiler Energie – um 30 Prozent im Vergleich mit der Option einer blossen Fortführung ohne Eingriffe. Diese Gegen­über­stellung ist auf der linken Seite der ersten Abbildung mit den Netzdia­grammen aufge­führt.

Grafikbewertung

Auf der rechten Seite der Abbildung ist die Analyse der Ersatz­neu­bauten abgebildet. Ersatz­neu­bauten sind dieje­nigen Normstra­tegien, welche die durch den Betrieb einer Liegen­schaft verur­sachten CO2-Emissionen am wirkungs­vollsten verringert, weil damit die komplette Liegen­schaft den neusten Energie­vor­schriften entspricht. Damit sind Ersatz­neu­bauten auch am besten vereinbar mit dem Ziel «Netto-Null Emissionen» bis 2050, vor allem wenn in Kombi­nation mit einer Fotovol­ta­ik­anlage auch der Strom­bedarf bilan­ziell über das Jahr gedeckt wird. Heizung und Strom verur­sachen in 50 Jahren Betrieb nach der Ersatz­neu­baute sogar weniger CO2-Emissionen als die graue Treib­haus­gas­emis­sionen, die durch die neu zu verbau­enden Materialien verur­sacht werden. In einer umfas­senden Betrachtung sind Ersatz­neu­bauten aber nur dann wirklich nachhaltig, wenn damit gleich­zeitig die Wohnfläche bzw. die Anzahl Wohnungen auf dem Areal signi­fikant erhöht wird. Wenn das der Fall ist, wird der bedeu­tende Materi­al­einsatz und der grosse Einsatz an grauen Treib­haus­gas­emis­sionen durch den tieferen Pro-Kopf-Siedlungsflächenbedarf und die Reduktion der CO2-Emissionen im Betrieb aufge­wogen.

CO2-Bilanz über den Lebens­zyklus

Die folgende Abbildung zeigt die CO2-Bilanz der verschie­denen Normstra­tegien. Diese ergibt sich aus der Summe der Emissionen, welche einer­seits im Betrieb durch den Bedarf an Wärme und Elektri­zität entstehen und blau darge­stellt sind. Anderer­seits gilt es die Emissionen zu berück­sich­tigen, welche auf den Materi­al­einsatz zurück­zu­führen sind und rot darge­stellt sind. Ausge­gangen wurde dabei von einer Gesamt­le­bens­dauer der Immobilie von 100 Jahren. Die in der Vergan­genheit (1970–2020) angefal­lenen CO2-Emissionen werden zwar nicht abgeschrieben, aber hell darge­stellt, die künftig (bis 2070) anfal­lenden Emissionen sind dunkel einge­färbt.

Wird ein vor 50 Jahren erstelltes Mehrfa­mi­li­enhaus nochmals 50 Jahre ohne nennens­werte Eingriffe betrieben, dann fällt der Treib­haus­gas­aus­stoss in der Fortführung vor allem aus zwei Gründen sehr hoch aus: Erstens geht aufgrund der schlechten Isolation sehr viel Wärme verloren, und zweitens wird diese Wärme weiterhin mittels Verbrennung von fossilen Energie­trägern erzeugt. Der Anteil der Bauma­te­rialien ist in diesem Fall hingegen, über den ganzen Lebens­zyklus betrachtet, für lediglich 9 Prozent der gesamten CO2-Emissionen verant­wortlich.

Grafiktreibhausgas

Erkennt­nisse zur Kreis­lauf­wirt­schaft

Bei Neubauten verur­sachen die Materialien typischer­weise mehr Treib­hausgase als ein Betrieb mit erneu­er­barer Energie in den kommenden 50 Jahren. Entspre­chend bedeutsam für die CO2-Bilanz von Ersatz­neu­bauten ist die Wahl der Bauma­te­rialen. Wenn bereits einmal verwendete Materialen verbaut werden, dann schliesst sich der Kreislauf und vermindert die graue Treib­haus­gas­emis­sionen. Bei Bestan­des­lie­gen­schaften hingegen wird die CO2-Bilanz durch den Betrieb geprägt, wodurch der Energie­quelle eine entschei­dende Bedeutung zukommt. Das zeigt der deutliche Rückgang der Treib­hausgase, der sich durch die Substi­tution der fossilen Wärme­ge­winnung bei einer energe­ti­schen Sanierung im Vergleich zur Fortführung ergibt.

Durch eine limitierte Eingriffs­tiefe in bestehende Gebäude und eine zurück­hal­tende Neubau­tä­tigkeit werden Materialien im Gebäu­depark gehalten, und es wird relativ wenig Abfall produ­ziert. Dies stärkt die Kreis­lauf­wirt­schaft, wie dies jüngst die Umwelt­kom­mission des Natio­nalrats gefordert hat (20.433). Die Keislauf­wirt­schaft besteht aus den vier Pfeilern «Reduce» (Reduzieren), «Reuse» (Wieder­ver­wenden), «Repair» (Reparieren) und «Recycle» (Wieder­ver­werten).

Die Studie zeigt auf, wie die Stärkung der Pfeiler «Reduce» und «Reuse» dazu beiträgt, dass gleich mehrere Nachhal­tig­keits­ziele erreicht werden. Am besten gelingt dies, indem Bestands­bauten mit einem genau auf die jeweilige Situation angepassten Einsatz von Bauteilen zielge­richtet energe­tisch saniert werden. Gleich­zeitig werden im Spannungsfeld zwischen Verdichtung und Umgang mit der grauen Energie sehr gute Resultate erreicht, wenn Ersatz­neu­bauten dort erstellt werden, wo eine markante Verdichtung erreicht werden kann (z. B. eine Verdop­pelung der Anzahl Wohnungen).

Potenzial zur Vertiefung der Kreis­lauf­wirt­schaft

Bei der Entwicklung des Netzdia­gramms zur Evaluation von Normstra­tegien zeigte sich das Potenzial für zwei vielver­spre­chende Vertie­fungen. Erstens bietet sich eine metho­disch geschickt gewählte und umfas­sende Analyse des Zusam­men­hangs zwischen der Nachhal­tigkeit und dem Marktwert von Liegen­schaften an.

Zweitens wurden hier ideal­ty­pische Normstra­tegien unter­sucht. Wünschenswert wäre die Bearbeitung von weiteren Varianten unter Berück­sich­tigung der konkreten Gegeben­heiten einer Liegen­schaft wie etwa das Potenzial zur Wieder­ver­wertung von Bauma­te­rialen. Gerade vor einer Festlegung einer Strategie für Bestan­des­bauten lohnt es sich, die Strategien auf verschiedene Dimen­sionen der Nachhal­tigkeit zu testen. Dabei können die in dieser Studie erarbeiten Modelle einge­setzt werden.


Weitere Infor­ma­tionen

Hier geht es zur Studie.

Dieser Link führt auf die Webseite des BAFU