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Branchen­ver­schie­bungen beim Beschäf­ti­gungs­wachstum

Veröffentlicht am: 27. Oktober 2025 Letzte Aktualisierung: 27. Oktober 2025

labor europe

Die Beschäf­tigung wächst in Europa derzeit unter dem langjäh­rigen Durch­schnitt. Ein Blick auf die Branchen zeigt zwei Gegen­sätze: Der ICT-Sektor, einst treibende Kraft, rutscht nach Jahren starken Wachstums ins Formtief. Produk­ti­vi­täts­ge­winne durch Künst­liche Intel­ligenz und ein schwä­cheres konjunk­tu­relles Umfeld bremsen das Wachstum. Dagegen erweisen sich staatsnahe Dienst­leis­tungen wie Gesundheit, Bildung und Verwaltung als wider­stands­fähig und legen weiter zu. Der Beitrag ordnet diese Entwick­lungen ein und beleuchtet die Trends beider Branchen­gruppen.

Arbeits­markt verliert an Dynamik

Die Gesamt­be­schäf­tigung in den europäi­schen Ländern entwi­ckelt sich derzeit verhalten. In der Schweiz lag das Plus im 2. Quartal 2025 bei lediglich 0,6 % gegenüber dem Vorjah­res­quartal – deutlich unter dem langjäh­rigen Durch­schnitt von 1,3 %. Deutschland stagnierte, während Frank­reich mit ‑0,3 % sogar einen Rückgang der Anzahl Beschäf­tigten verzeichnete.

Italien hingegen zeigt sich weiterhin robust gegenüber den konjunk­tu­rellen Unsicher­heiten und weist nach wie vor ein solides Beschäf­ti­gungs­wachstum auf. Auch das Verei­nigte König­reich legte zu, wenn auch leicht unter dem langjäh­rigen Durch­schnitt.


ICT im Formtief

Aktuelle Daten zeigen eine klare Zäsur: Der ICT-Sektor war über Jahre hinweg ein zentraler Wachs­tums­treiber, doch inzwi­schen hat die Dynamik der Techno­lo­gie­branchen in mehreren europäi­schen Volks­wirt­schaften spürbar nachge­lassen. In der Schweiz sank die Beschäf­tigung im zweiten Quartal 2025 um 1,4 % gegenüber dem Vorjah­res­quartal – das entspricht knapp 3.000 Personen. Auch in Frank­reich ist der Rückgang markant, während die Abschwä­chung in Deutschland schwächer ausfällt. Italien und das Verei­nigte König­reich verzeich­neten zwar noch Zuwächse – um 1,5 % (rund 10.000 Personen) bzw. 0,4 % (rund 6.000 Personen) –, diese blieben jedoch ebenfalls unter den langfris­tigen Durch­schnitts­werten.


ICT steht für „Information and Commu­ni­cation Technology“ (Informations- und Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­no­logie) und umfasst mehrere Teilbe­reiche. Insgesamt sind in der Schweiz etwas mehr als 200.000 Personen im ICT-Sektor tätig. Die aktuelle Schwäche zeigt sich in allen Bereichen, wie die Vorjah­res­ver­gleichs­daten für die Schweiz exempla­risch belegen. Im länger­fris­tigen Vergleich zeigen sich jedoch Unter­schiede: Verlags­wesen, audio­vi­suelle Medien und Rundfunk sowie die Telekom­mu­ni­kation sind bereits seit Jahren rückläufig, während die infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gi­schen Dienst­leis­tungen – zu denen etwa IT-Design, Software­ent­wicklung, Daten­ver­ar­beitung oder Hosting gehören – mit durch­schnittlich knapp 4 % jährlichem Beschäf­ti­gungs­wachstum deutlich zulegten.


KI-Effekte bremsen die Dynamik im ICT-Sektor


Ein wesent­licher Grund für die aktuelle Abkühlung könnte in der produk­ti­vi­täts­stei­gernden Wirkung genera­tiver KI liegen. Studien zeigen, dass Entwickler:innen mit KI-Assistenz Routi­ne­auf­gaben um über 50 % schneller erledigen. Besonders Junior-Positionen sind betroffen: Eine Stanford-Studie weist für 22- bis 25-Jährige einen Rückgang von bis zu 13 % bei KI-nahen Jobs aus. Kurzfristig sinkt dadurch der Bedarf an Neuein­stel­lungen, da Unter­nehmen mit gleich großen Teams mehr Output schaffen. Sichtbar wird dies auch in rückläu­figen Stellen­aus­schrei­bungen und gelockerten Rekru­tie­rungs­eng­pässen im ICT-Umfeld.

KI ersetzt dabei vor allem „Buchwissen“, während impli­zites Erfah­rungs­wissen – Tipps und Tricks aus der Praxis – schwerer zu ersetzen ist. Laut IWF könnte generative KI entspre­chend Tätig­keiten in manchen Jobs ersetzen, in anderen jedoch ergänzen. Die eigent­liche Disruption liegt in der Verschiebung des Aufga­ben­mixes und der Quali­fi­ka­ti­ons­profile, nicht in einem dauer­haften Abbau der Gesamt­be­schäf­tigung.

Weniger gefragt sind Routi­ne­tä­tig­keiten wie Program­mieren oder Testing, die zunehmend automa­ti­siert werden. Wachstum entsteht hingegen bei höher­qua­li­fi­zierten Rollen wie:

  • IT-Architekt:innen und Cloud-Spezialist:innen
  • Expert:innen für Machine Learning Opera­tions
  • Cybersecurity-Fachkräfte
  • Daten-Governance- und Compliance-Spezialist:innen

Dieser Produk­ti­vi­täts­schub fällt zudem in eine Phase konjunk­tu­reller Unsicherheit. Viele Unter­nehmen verschieben dadurch Inves­ti­tionen in digitale Projekte in die Zukunft, was den Stellen­aufbau in den ICT-Branchen zusätzlich dämpft – ohne jedoch den langfris­tigen Bedarf an digitalen Kompe­tenzen grund­sätzlich in Frage zu stellen.

Hinzu kommt, dass die Beschäf­ti­gungs­dy­namik im ICT-Sektor in den vergan­genen Jahren deutlich überdurch­schnittlich war. Nach diesen starken Anstiegen setzt nun teilweise ein gewisser Norma­li­sie­rungs­effekt ein, der die aktuelle Abschwä­chung zusätzlich erklärt.

Staatsnahe Sektoren bleiben stabile Wachs­tums­treiber

Robust zeigte sich hingegen das Beschäf­ti­gungs­wachstum in staats­nahen Branchen, auch wenn sich inter­na­tional eine gewisse Hetero­ge­nität zeigt. In der Schweiz, in Deutschland und im Verei­nigten König­reich wächst die Beschäf­tigung im Gesundheits- und Bildungs­wesen weiterhin kräftig – teils sogar über dem langjäh­rigen Durch­schnitt. Deutlich schwächer fällt die Entwicklung dagegen in Frank­reich und Italien aus, wo die Beschäf­tigung in den staats­nahen Bereichen sowohl in der Vergan­genheit als auch zuletzt nur leicht zunahm.


Struk­tu­relle Treiber des Wachstums in den staats­nahen Sektoren

Gesundheit, Bildung und öffent­liche Verwaltung verzeichnen seit Jahren überdurch­schnitt­liche Zuwächse – und dieser Trend setzt sich fort. Drei Gründe erklären dieses struk­tu­relle Wachstum:

  • Demografie: Die Alterung der Bevöl­kerung und die Pensio­nie­rungs­welle der Babyboomer erhöhen den Bedarf an Pflege und Betreuung dauerhaft.
  • Politische Rahmen­be­din­gungen: Staat­liche Maßnahmen verstärken das Beschäf­ti­gungs­wachstum in staats­nahen Branchen. Sie sind politisch beliebt, da sie Versor­gungs­si­cherheit und gesell­schaft­lichen Nutzen sichtbar erhöhen. Beispiele sind das Kita-Qualitätsgesetz in Deutschland, das über zusätz­liche Finan­zierung und Mindest­stan­dards für mehr Personal in der frühkind­lichen Bildung sorgt. In Frank­reich steigert der „Ségur de la santé“ mit Lohnan­he­bungen und Inves­ti­tionen die Attrak­ti­vität von Pflege- und Klinik­be­rufen. In der Schweiz führt die Stärkung der Fachhoch­schulen und die zuneh­mende Akade­mi­sierung zum Ausbau von Hochschul­ka­pa­zi­täten – und damit zu zusätz­lichen Stellen an Univer­si­täten und Fachhoch­schulen.
  • Baumols Kosten­krankheit: Der Ökonom William Baumol (1922 – 2017) zeigte, dass sich viele Tätig­keiten kaum schneller oder mit weniger Personal erledigen lassen – etwa Unter­richt geben, eine Pflege­person betreuen oder einen Verwal­tungs­ent­scheid sorgfältig prüfen. Während Software­teams durch Techno­logie pro Kopf deutlich produk­tiver werden, bleibt der „Output pro Person“ in Schule, Pflege und Verwaltung weitgehend stabil. Da die Löhne dennoch mit der Gesamt­wirt­schaft Schritt halten müssen, steigen die Kosten pro Leistungs­einheit schneller an als in stärker automa­ti­sier­baren Bereichen. Mit der Zeit verschiebt dies Ressourcen und Beschäf­tigung zunehmend in Richtung staats­naher Dienst­leis­tungen.

Staatsnahe Bereiche wachsen in der Schweiz breit abgestützt

Das Beschäf­ti­gungs­wachstum in den staats­nahen Wirtschafts­zweigen ist nicht nur robust, sondern auch breit abgestützt: Von der öffent­lichen Verwaltung über Erziehung und Unter­richt bis hin zu Gesund­heits­wesen, Heimen und Sozial­wesen – alle Teilbe­reiche verzeichnen in der Schweiz sowohl in der Vergan­genheit als auch aktuell kräftige Zuwächse. Getragen von Demografie, gesell­schaft­lichen Präfe­renzen und politi­schen Rahmen­be­din­gungen bleibt das Beschäf­ti­gungs­wachstum in diesen Bereichen stabil hoch.


Konjunk­tur­an­fällig versus krisen­re­sistent

Der Kontrast zwischen den beiden Wirtschafts­be­reichen ist klar erkennbar. Die ICT-Branche reagiert sensibel auf Konjunk­tur­schwan­kungen. Inves­ti­tionen in Software, Cloud-Lösungen oder Cyber­se­curity werden in Phasen wirtschaft­licher Unsicherheit häufig zurück­ge­stellt, was sich auch unmit­telbar in der Beschäf­tigung wider­spiegelt.

Die staats­nahen Bereiche erweisen sich als wider­stands­fä­higer. Gesundheit, Bildung und öffent­liche Verwaltung sind Teil der Grund­ver­sorgung und unter­liegen dadurch weniger den konjunk­tu­rellen Ausschlägen. Teilweise wirken sie sogar antizy­klisch: Demogra­fi­scher Wandel und politische Vorstöße erhöhen die Nachfrage nach Arbeits­kräften auch in wirtschaftlich schwachen Phasen.

Intakte Langfrist­per­spek­tiven

Die jüngste Entwicklung ändert die langfris­tigen Perspek­tiven nicht grund­legend. Staatsnahe Sektoren bleiben auf einem stabilen und breit abgestützten Wachs­tumspfad – mit anhaltend steigender Nachfrage entlang von Pflege, Bildung und öffent­licher Verwaltung. Im ICT-Bereich bleibt die Nachfrage nach Fachkräften ebenfalls hoch, wird sich aber zunehmend auf spezia­li­sierte und höher­qua­li­fi­zierte Profile verlagern. Das Beschäf­ti­gungs­wachstum dürfte damit nicht mehr in der Breite erfolgen, sondern selektiv in jenen Bereichen, in denen techno­lo­gische Entwick­lungen wie Cloud, KI oder Cyber­se­curity zusätz­liche Kompe­tenzen erfordern.

Fazit

Nach starkem Wachstum schwä­chelt der ICT-Arbeitsmarkt. Darin zeigen sich einer­seits erste Spuren, wie KI den Arbeits­markt verändern wird. Anderer­seits wider­spiegelt sich darin auch die Konjunk­tur­ab­hän­gigkeit der ICT. Demge­genüber legen Gesundheit, Bildung und Verwaltung weiterhin robust zu – gestützt durch den demogra­fi­schen Wandel, den Baumol-Effekt und politische Initia­tiven. Die langfris­tigen Wachs­tums­per­spek­tiven in ICT und in den staats­nahen Branchen bleiben erhalten. Während im Techno­lo­gie­sektor künftig spezia­li­sierte und höher­qua­li­fi­zierte Rollen im Zentrum stehen, sichern Gesundheit, Bildung und Verwaltung eine stetig steigende Nachfrage nach Arbeits­kräften. Wer jetzt in die richtigen Kompe­tenzen inves­tiert, wird auch im nächsten Kapitel des Arbeits­markts profi­tieren.

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