Kreislaufwirtschaft und Immobilien: Chance für innovative Investor:innen
13. September 2023
Der Bau und Betrieb von Gebäuden und Infrastrukturen ist verantwortlich für rund 50 Prozent des Rohstoffbedarfs, einen Drittel der CO2-Emissionen und über 80 Prozent des Abfallaufkommens in der Schweiz. Dies macht deutlich, wie gross die Verantwortung ist, die die Bau- und Immobilienbranche trägt, wenn es darum geht, Ressourcen zu schonen und Emissionen zu reduzieren. In diesem Zusammenhang gewinnt die Transformation von einer linearen zu einem zirkulären Wirtschaftssystem stetig an Bedeutung. Wie aber steht es um die Kreislaufwirtschaft im Immobilienmarkt? Nutzen die Investor:innen die sich daraus ergebenden Chancen? Oder überwiegt angesichts der Komplexität des Themas noch die Skepsis? Wüest Partner wollte es genauer wissen und hat die Entscheidungsträger:innen gefragt. Erfahren Sie mehr dazu in diesem Artikel.
Kreislaufwirtschaft gewinnt an Relevanz
Während langer Zeit richteten die meisten Investor:innen den Fokus auf die Optimierung des Energiebedarfs von Immobilien bzw. auf die Reduktion der Emissionen, die in deren Betrieb anfallen. Nun jedoch gewinnt die Themen graue Energie und Kreislaufwirtschaft für eine wachsende Zahl an Investor:innen an Relevanz. Am 27. Juni 2023 hat eine Gruppe von institutionellen Bauherrschaften die Charta für kreislauforientiertes Bauen unterzeichnet.
Handlungsmaximen der Kreislaufwirtschaft
Kreislaufwirtschaft ist ein umfassendes Konzept. Für die Bauwirtschaft ist das Thema Recycling heute schon sehr präsent. Das Thema Reuse, im Sinne einer Wiederverwendung von Bauteilen, wird von einzelnen Akteuren aus Architektur und Bauwirtschaft voran getrieben, auch durch die zunehmende Etablierung von Bauteilbörsen. Aus der Sicht der Investor:innen besteht die Herausforderung jedoch darin, den ganzen Lebenszyklus einer Immobilie anhand zirkulärer Prinzipien zu gestalten. Dafür reichen Reuse und Recycling nicht aus. Bis zu 10 mit «Re» beginnende Grundprinzipien werden in diesem Zusammenhang genannt. Wir konzentrieren uns hier neben Reuse und Recycling auf die Handlungsmaximen Refuse, Reduce und Rethink, die wir wie folgt in einer Pyramide anordnen können:
Handlungsmaxime der Kreislaufwirtschaft
Strategien im Umgang mit dem Gebäudepark
Dabei gilt: Je höher eine Maxime angeordnet ist, desto wichtiger ist sie, um ein Immobilienportfolio im Sinne der Kreislaufwirtschaft nachhaltig zu bewirtschaften.
Refuse
An oberster Stelle steht die Maxime «Refuse» und damit die Vermeidung von baulichen Massnahmen. Angesichts der Knappheit von Ressourcen und in Anbetracht der Energie, die bei Bauvorhaben verbraucht wird (Stichwort graue Energie), sollen bestehende Strukturen möglichst lange weitergenutzt werden. Das bedeutet, dass alternative Nutzungsformen geprüft werden sollen, um den unnötigen Abriss von Gebäuden zu vermeiden und den Gebäudebestand zu schützen.
Reduce
Nicht immer lassen die Umstände die Weiternutzung eines Gebäudes zu, sei es aus technischen, funktionalen oder wirtschaftlichen Gründen. Wenn bauliche Massnahmen unvermeidbar sind, soll der Ressourcenverbrauch möglichst gering gehalten werden.
Rethink
Das Neu- und Umdenken von Konzepten im Umgang mit Immobilien ist ein weites Feld. So kann man neue Wohn- und Arbeitsformen entwickeln, um Gebäude länger zu nutzen, dank innovativer Planungsprozesse den Ressourcenverbrauch verringern oder neue biobasierte Bauweisen erproben. Im Neu- wie auch im Umbaubereich gilt es, im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft Konzepte wie Nutzungsflexibilität, die Zugänglichkeit von Bauteilen, eine schlanke Gebäudetechnik oder die Trennung von Struktur und Technik schon in der Planungsphase zu berücksichtigen.
Reuse
Von Wiederverwendung spricht man, wenn Materialien oder ganze Bauteile entweder in gleicher Funktion oder für einen neuen Zweck wiederverwendet werden.
Recycle
Erst wenn sich ein Produkt nicht mehr länger nutzen lässt, wird es dem Recycling zugeführt. Beim Recycling werden Materialien gesammelt, teilweise oder vollständig aufbereitet und in neue Güter umgewandelt. So bleiben sie möglichst lange im Kreislauf. Recycling sollte jedoch die letzte Wahl sein: In fast allen Fällen ist es besser, Produkte möglichst lange zu nutzen, da Recycling wegen des Verbrauchs von Energie, Wasser oder Chemikalien die Umwelt belastet.
Umfrage zeigt: Investorinnen und Investoren setzen vermehrt auf Kreislaufwirtschaft
Die Umfrage
Im Auftrag der Senn Resources AG führte Wüest Partner im Herbst 2022 eine Umfrage durch. Dabei wurden über 300 Schweizer Unternehmen, die in Immobilien investieren, befragt. Diese Umfrage wurde bereits zum zweiten Mal durchgeführt. Wie damals im Herbst 2020 wurde sie auch diesmal um 10 qualitative Interviews mit ausgewählten Expert:innen ergänzt.
Ziel der Umfrage
Das Ziel der Umfrage bestand darin, herauszufinden, welchen Stellenwert die Nachhaltigkeit generell in der Schweizer Immobilienwirtschaft geniesst. Ausserdem sollte die Frage beantwortet werden, wie hoch die Zahlungsbereitschaft für verschiedene Nachhaltigkeitsaspekte ausfällt (mehr dazu im Blogartikel «Sind nachhaltige Immobilien wertvoller?»).
Rendite, Standort und Mikrolage ausschlaggebend
Die Umfrage hat gezeigt, dass bei Akquisitionsentscheiden nach wie vor die klassischen Faktoren Rendite, Standort und Mikrolage ausschlaggebend sind. Nur 31 Prozent der Investor:innen gaben an, dass das Thema Kreislaufwirtschaft beim Kauf einer Immobilie eine Rolle spielt. Damit bewegt sich das Thema bezüglich Relevanz auf einem ähnlichen Niveau wie die Themen Biodiversität, Klimaresilienz und Aussenraum.
Mittelfristig zunehmende Relevanz von ökologischen Aspekten
Sobald die Investor:innen jedoch die mittelfristige Relevanz von Nachhaltigkeitsaspekten beurteilen, gewinnen diese deutlich an Gewicht. Dazu gehören Themen wie der ökologische Fussabdruck, Lebenszykluskosten, Nutzungsflexibilität und Klimaresilienz. 65 Prozent der Investor:innen geben an, dass die Kreislaufwirtschaft mittelfristig von Bedeutung sein wird. Für 19 Prozent ist das Thema mittelfristig sogar ausschlaggebend.
Lebenszyklus: Flexible Nutzung besonders wertvoll
Die Umfrage hat gezeigt, dass mehr als jeder zweite Investor bei Akquisitionen auf die Nutzungsflexibilität achtet. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, ob Wohnungsgrössen veränderbar sind oder wie flexibel das Steigzonenlayout gestaltet ist, um künftige Nutzungsänderungen zu ermöglichen. Ebenso ist für rund die Hälfte der Investor:innen eine schlanke Gebäudetechnik entscheidend.
Mehr erfahren über Strategieberatung bei Wüest Partner.
Zirkuläre Gebäude: Wachsende Zahlungsbereitschaft
Die Umfrage von Herbst 2022 zeigte zwar, dass 38 Prozent der Investor:innen nicht bereit sind, mehr zu zahlen für ein Gebäude, das nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft erstellt wurde. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass dieser Wert anlässlich der Umfrage 2020 noch bei 54 Prozent lag. Auf der anderen Seite hat der Anteil derjenigen, die angaben, eine erhöhte Zahlungsbereitschaft für zirkuläre Gebäude zu haben, zugenommen: Im Herbst 2020 waren es insgesamt noch 17 Prozent. Im Herbst 2022 gaben immerhin schon 20 Prozent der Investor:innen an, bereit zu sein, für ein zirkuläres Gebäude bis zu 3 Prozent mehr zu zahlen, 7 Prozent würden sogar mehr als 3 Prozent mehr zahlen.
Dominanz des Themas Energieeffizienz über graue Energie
Das Thema Kreislaufwirtschaft hat es noch nicht ganz auf den Radar aller Investor:innen geschafft: Nur 27 Prozent geben eine erhöhte Zahlungsbereitschaft an für Gebäude, die nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft erstellt wurden. Themen, die sich auf den Betrieb und die energetische Performance beziehen, haben derzeit noch einen gewissen Vorsprung: Bei Gebäuden, die mehr Energie produzieren als sie verbrauchen, oder bei besonders energieeffizienten Gebäuden mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energie (Minergie) sind 41 Prozent der Investor:innen bereit, einen höheren Preis zu berappen.
Sie wollen mehr über das Thema Wertrelevanz erfahren? Lesen Sie dazu den Blogartikel «Sind nachhaltige Immobilien wertvoller?».
Drei Haltungen zur Nachhaltigkeit: Erfüllen, Mitdenken, Umdenken
Die Haltung von Schweizer Immobilieninvestoren bei ihrem Umgang mit Nachhaltigkeit lässt sich den folgenden drei Kategorien zuordnen:
Erfüllen
Eine erste Gruppe von Investor:innen orientiert sich an gewohnten Prozessen. Das Nachhaltigkeitsverständnis wird durch Gesetzesgrundlagen und Normen bestimmt. Innovation oder nachhaltiges Bauen haben einen eher geringen Stellenwert, es fehlt oft an Wissen oder an Fachkräften.
Mitdenken
Eine zweite Gruppe von Investor:innen geht davon aus, dass nachhaltiges Bauen mittel- oder langfristig die Risiken minimiert. Auch der Anlegerdruck spielt eine Rolle: Ihre Liegenschaften orientieren sich an aktuellen Nachhaltigkeitsstandards, um nicht zu «stranded assets» zu verkommen. Diese Gruppe möchte sich abheben von der Konkurrenz, indem sie ihr Bewusstsein für Nachhaltigkeitsthemen anhand von besonderen Pilot- oder Leuchtturmprojekten signalisiert, Erfahrungen sammelt, sich am Diskurs beteiligt.
Umdenken
Eine wachsende Gruppe von Investor:innen ist bereit, einen Schritt weiterzugehen und umzudenken. Sie streben nach Innovation und entwickeln neue Konstruktionsweisen, Prozesse, Wohnformen mit dem Ziel, eine neue, radikale Nachhaltigkeit zu etablieren. Diese Gruppe engagiert sich am stärksten für Themen der Kreislaufwirtschaft.
Wüest Partner und Durable unterstützen Kund:innen bei der Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft
Dienstleistungen
Wir bieten unseren Kund:innen folgende Dienstleistungen:
- Entwicklung von Leitfäden und Konzepten zur Kreislaufwirtschaft
- Definition von Anforderungen im Bereich Kreislaufwirtschaft für die Projektentwicklung und Planung
- Strategien zum Erhalt von bestehenden Gebäuden und Gebäudeerneuerung
- Implementierung von Massnahmen der Kreislaufwirtschaft in den Prozessabläufen einer Organisation
- Szenarioanalysen für konkrete Bauprojekte
Unser Nachhaltigkeits-Angebot in der Übersicht.
Entwicklungspartnerschaft
Wir sind auf der Suche nach interessierten Kund:innen, die als Entwicklungspartner:innen davon profitieren wollen, dass neue Produkte auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten werden. Dabei handelt es sich um folgende Angebote:
- Portfolioanalyse hinsichtlich Ressourcen/Baumaterialien: Erstellung von Gebäuderessourcenpässen als Erweiterung des Gebäudemodells in «Wüest Dimensions»
- Monitoring des Ressourcenverbrauchs (bei Sanierungen und Neubauten) und der grauen Emissionen
- Circularity Reporting (Beurteilung von Rückbaubarkeit, Trennbarkeit, Rezyklierfähigkeit etc. basierend auf dem Gebäuderessourcenpass)