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Das Verdichtungspotenzial von Einfamilienhausparzellen: realisierbar oder nur theoretisch?

29. Juni 2023

Stadtbild am Niederrhein in Deutschland

Wüest Partner hat eine Grundlagenstudie zum Verdichtungspotenzial von Einfamilienhausparzellen in der Nordostschweiz erstellt.[1] Dies vor dem Hintergrund der Umsetzung der Innenentwicklung, wie sie das Raumplanungsgesetz fordert. Die Studie erfolgte im Auftrag von EspaceSuisse Nordost, der Sektion Nordost des Schweizerischen Verbands für Raumplanung. Die Studie liefert eine breite Datengrundlage für die Nordostschweiz und die Gesamtschweiz, um ein Gefühl für das vorhandene Verdichtungspotenzial von Einfamilienhausparzellen zu bekommen, betont aber auch die vielen Hindernisse zur Aktivierung dieses Potenzials. In der Folge werden die wichtigsten Ergebnisse aus dieser Studie zusammengefasst.


Einfamilienhausbewohner mit grosser Flächennutzung

In der Schweiz existieren gegenwärtig 1.1 Mio. Einfamilienhäuser (EFH), wovon 886’000 als Erstwohnsitz genutzt werden. Darin wohnen etwa 2.3 Mio. Menschen. Einfamilienhäuser machen 60% des Wohngebäudeparks aus, sie beherbergen aber nur gerade 27% der Bevölkerung. In 52% der EFH wohnen maximal 2 Personen. EFH-Bewohner zeichnen sich durch eine überdurchschnittlich grosse Flächennutzung aus. Sie nutzen 25% mehr Wohnfläche pro Person als Bewohner von Mehrfamilienhäusern und ein Vielfaches an Land.

Der hohe Ressourcenverbrauch kann angesichts der angestrebten Innenverdichtung als schlummerndes Potenzial gesehen werden. In der Folge gehen wir der Frage nach, ob und wie dieses Potenzial aktiviert werden kann. Dazu ist es hilfreich zwei Dimensionen der Unternutzung zu unterscheiden:

  1. Tiefe Belegung des bestehenden EFH-Wohnraums (Nutzerperspektive)
  2. Geringe bauliche Ausnützung von EFH-Parzellen (bauliche Perspektive)

Unternutzte Parzellen mit alten EFH-Objekten bergen grosses Potenzial, zumindest theoretisch

Viele EFH-Parzellen in der Schweiz sind unternutzt. Die aktuelle Bau- und Zonenordnungen würden oftmals eine deutlich höhere Ausnützung erlauben. Insbesondere alte, unternutzte EFH Parzellen bergen theoretisch ein grosses Potenzial. Denn bei mehr als 30 Jahre alten Gebäuden kann eine bauliche Massnahme mit damit einhergehender Erhöhung der Ausnutzung opportun sein, wenn ohnehin eine Totalsanierung ansteht. Bei älteren EFH entspricht der Wohnraum ausserdem oft nicht mehr den Bedürfnissen der Bewohner, da diese zusammen mit ihrem Haus älter geworden sind.

In der Nordostschweiz existieren 160’000 EHF-Parzellen, die vor 1980 bebaut wurden. Ein typisches EFH in der Nordostschweiz mit Baujahr 1975 verfügt über 140m2 Wohnfläche und 700m2 Grundstückfläche. Wie Abbildung 1 zeigt ist gerade bei Objekten dieser Bauperiode die durchschnittliche Belegung mi 2.4 Personen vergleichsweise tief. Dies liegt am fortgeschrittenen Alter vieler Bewohner, die in diesen Objekten wohnen. Denn die durchschnittliche Haushaltsgrösse nimmt mit zunehmendem Alter der Bewohner deutlich ab. Ab 65 Jahren sinkt die durchschnittliche Haushaltsgrösse in EFH unter 2 Personen. Ein EFH mit 140m2 Wohnfläche würde aber gut Wohnraum für 4 Personen bieten. In solchen Fällen besteht ein moderates theoretische Verdichtungspotenzial aufgrund tiefer Belegung. Ausserdem wären auf einer Parzelle mit 700m2 Grundstückfläche anstatt einer EFH-Wohneinheit theoretisch oftmals mehrere Wohneinheiten realisierbar, wenn eine vergleichbare Dichte wie auf einer typischen Mehrfamilienhausparzelle realisiert würde. Unter dieser stark vereinfachenden Annahme resultiert ein beachtliches theoretisches Verdichtungspotenzial. Der grössere Hebel befindet sich somit bei der baulichen Ausnützung der Parzellen. Allerdings bedeuten bauliche Massnahmen auch zusätzliche Kosten und Emissionen und sind in der Praxis aufgrund der Parzellengrössen und -geometrien und bestehenden Bauvorschriften nur bedingt realisierbar, insbesondere wenn der Bestand erhalten bleibt.

Eine Aktivierung des theoretischen Verdichtungspotenzial ist ausserdem nur an denjenigen Standorten erstrebenswert, wo es einer qualitativ hochwertigen Siedlungsentwicklung dient. Das gilt etwa für gut erschlossene Lagen, wo Infrastruktur wie ÖV-Angebot und Fernwärmenetz bereits vorhanden sind. Ansonsten besteht die Gefahr von flächigen Mehrbelastungen wie erhöhtem Verkehrsaufkommen und Verlust von Grünflächen.


Voraussetzungen für Aktivierung

Das theoretische Verdichtungspotenzial von EFH-Parzellen ist hoch, aber damit es realisiert werden kann, müssen viele Voraussetzungen erfüllt sein.

  1. Die Eigentümer müssen gewillt sein ihr langfristiges Eigenheim zu verlassen oder alternativ eine Transformation auf ihrer Parzelle zuzulassen. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass es im Wesen des Eigentums liegt, dass man die Freiheit hat Entscheide nach eigenem Gutdünken zu fällen. Es gibt zahlreiche Motive, warum man auch im hohen Alter oder als Einzelperson in einem Einfamilienhaus wohnen möchte, insbesondere die emotionale Bindung spielt hier oft eine grosse Rolle.
  2. Die Finanzierbarkeit eines Wechsels von einem EFH in eine attraktive Miet- oder Eigentumswohnung muss gegeben sein.
  3. Ein Angebot an attraktiven und altersgerechten Wohnungen in der nahen Umgebung muss vorhanden sein. Dies wird gegenwärtig durch die angespannte Marktsituation mit Wohnungsknappheit erschwert.
  4. Die Behörden stehen in der Verantwortung die Rahmenbedingungen zu schaffen damit an den geeigneten Lagen genügend Wohnraum in gewünschter Qualität erstellt werden kann.

Nur gut erschlossene Standorte mit hohen Bodenpreisen sind für eine bauliche Nachverdichtung von Einfamilienhausparzellen geeignet. Dabei ist die Nachverdichtung grundsätzlich ökonomischer, wenn substanzielle Mehrausnutzungen realisiert werden können. Raumplanerische Werkezeuge wie Aufzonungen können den Prozess beschleunigen. Um unerwünschte Verteilungseffekte zu vermeiden, können die durch raumplanerische Mehrausnützungen entstehenden privaten Gewinne durch Mehrwertabgaben begleitet werden.

Wechsel in Eigentumswohnung bei hohen Bodenpreisen gut finanzierbar

Wüest Partner hat, basierend auf einem mit Transaktionsdaten geschätzten hedonischen Modell, analysiert, ob ein Wechsel aus einem einfachen, älteren EFH an unterdurchschnittlicher Mikrolage in eine neue, komfortable Eigentumswohnung an sehr guter Mikrolage in der gleichen Gemeinde finanzierbar ist.[2] Abbildung 2 zeigt, die resultierenden Nettocashflows dieser Transaktion für die jeweiligen Kantonshauptorte. Die Analyse zeigt, dass der Wechsel von einem alten EFH in eine moderne Eigentumswohnung an Standorten mit hohen Bodenpreisen gut finanzierbar wäre. An weniger urbanen Standorten ist ein solcher Wechsel hingegen eher nicht finanzierbar, wobei sich die Frage stellt, ob dort überhaupt ein Angebot an modernen, altersgerechten Eigentumswohnungen vorhanden ist.


Unterschiedliche Herausforderungen in Stadt und auf Land

An urbanen, gut erschlossenen Lagen macht die bauliche Verdichtung am ehesten Sinn, um die geforderte Innenverdichtung zu erreichen. Die grosse Herausforderung hier besteht in der Realisierung dieser Verdichtung, da Eigentümer und Nachbarn diese oft nicht unterstützen. In den ländlichen Gebieten hat die bauliche Verdichtung weniger Priorität, da dort weniger Wachstumsdruck herrscht. Die Herausforderung auf dem Land besteht darin, dass der Generationenwechsel stattfinden kann, um die Überalterung der Gesellschaft (und der Bausubstanz) zu reduzieren. Die Bevölkerung in ländlichen Gebieten ist deutlich älter als in den urbanen Zentren. Der Altersquotient, das Verhältnis der über 64-Jährigen zu den 20- bis 64-Jährigen, betrug in den sechs Schweizer Städten mit mehr als 100'000 Einwohner 2022 24.1%, während der Altersquotient in Gemeinden mit weniger als 10’000 Einwohnern bei 32.8% lag. Eine Massnahme dazu kann das Fördern eines attraktiven Wohnangebots darstellen, damit ältere Bewohner, wenn sie denn wollen, ihre EFH verlassen können und Wohnraum für junge Familien frei wird.

Einfamilienhäuser zunehmend unerschwinglich

In der Schweiz werden immer weniger neue EFH gebaut. Während der Anteil von EFH an den baubewilligten Wohneinheiten Anfangs der 2000er Jahre noch bei 30% lag, ist dieser Anteil 2022 auf 10% gesunken und beträgt an zentralen Lagen wie dem Kanton Zürich sogar nur noch 6%. Das Angebot an EFH ist also stark rückläufig, während EFH als Wohnform nach wie vor beliebt sind. Entsprechend sind die Preise über die letzten Jahrzehnte stark gestiegen. Im Kanton Zürich kostet ein EFH mittlerer Grösse 2023 2.3 Mio. CHF. Das sind 65% mehr als noch 2010. Auch in den anderen Kantonen sind die EFH-Preise über diesen Zeitraum ähnlich stark angestiegen, aber teilweise noch von einem tieferen Niveau ausgehend. So kostet im Kanton Glarus ein mittleres EFH 2023 1.1 Mio. CHF.

Abbildung 3 zeigt, dass der Preisanstieg von Wohneigentum die Lohnentwicklung in den letzten 12 Jahren massiv übertroffen hat. Dies resultiert in einem höherer Fremdfinanzierungsbedarf und verlangt höhere Eigenmittel. Folglich ist Wohneigentum für eine immer kleinere Gruppe der Bevölkerung erschwinglich. Insbesondere an guten Lagen sind EFH als Wohnform für den Mittelstand stark unter Druck.


Fazit

  • In der Nordostschweiz gibt es 160’000 EFH Parzellen, die vor 1980 bebaut wurden. Ein typisches EFH Baujahr 1975 hat 140m2 Wohnfläche, 700m2 Grundstücksfläche und wird von 2.4 Personen bewohnt. Solche Objekte bergen ein hohes theoretisches Verdichtungspotenzial, aber die Aktivierung ist komplex.
  • An Standorten mit hohen Bodenpreisen ist der Wechsel von einem einfachen, älteren EFH in eine moderne, altersgerechte Eigentumswohnung gut finanzierbar. Aber es gibt viele Gründe, die einen Wechsel verhindern: Emotionale Bindung, Freiheit eines EFH, Verbleib im Familienbesitz, Mangel an Alternativen, etc.
  • In der Schweiz werden immer weniger EFH gebaut und die Preise sind über die letzten Jahre deutlich stärker gestiegen als die Löhne. Folglich sind EFH an guten Lagen für den Mittelstand zunehmend unerschwinglich.
  • Einfamilienhäuser waren in der Vergangenheit eine äusserst beliebte Wohnform und bleiben auch in Zukunft attraktiv. Die Verdichtung von Einfamilienhausquartieren bietet ein grosses theoretisches Potenzial, deren Aktivierung kein Selbstläufer ist, aber mit dem demografischen Wandel und dem Bevölkerungswachstum an Bedeutung gewinnt.

Eine Aufbereitung der Studienergebnisse in Präsentationsform finden Sie hier https://www.espacesuisse-no.ch/de/downloads/mitgliederversammlung

[1] Die Nordostschweiz beinhaltet die Kantone Zürich, St. Gallen, Schaffhausen, Thurgau, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden und Glarus.

[2] Für das Einfamilienhaus wurde ein einfaches Objekt Baujahr 1975 mit 135m2 Wohnfläche und 350m2 Grundstückfläche an unterdurchschnittlicher Mikrolage und in renovationsbedürftigen Zustand verwendet. Für die Eigentumswohnung wurde ein gehobenes Objekte Baujahr 2022 mit 80m2 Wohnfläche, und 30m2 Balkon an sehr guter Mikrolage verwendet.

Datenquellen

BFS: Gebäude- und Wohnungsstatistik (GWS), Strukturerhebung (SE), Statistik der Bevölkerung und der Haushalte (Statpop), Schweizerischer Lohnindex
Docu Media, Geodienste.ch, Wüest Partner

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Wüest Partner berät Sie gerne zu Fragen bezüglich Immobilienentwicklung und Mehrwertabgabe. Auch für die Schulraumplanung spielt die Entwicklung der Einfamilienhausquartiere eine wichtige Rolle.