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Starke Zunahme der Grenz­gänger in Genf

Letzte Aktualisierung: 22. April 2025

Die Genfer­see­region zeichnet sich durch einen der dynamischsten Arbeits­märkte der Schweiz aus. Während die Zahl der Beschäf­tigen kräftig wächst, herrscht im Wohnungs­markt seit Jahren akute Knappheit. Als Folge davon breitet sich der Genfer Metro­polraum immer stärker auf das franzö­sische Umland aus. Die Anzahl Grenz­gänger, die in Frank­reich wohnen und nach Genf zur Arbeit pendeln, ist seit 2021 um weitere 33’000 Personen gestiegen. Voran­ge­trieben wurde diese Entwicklung vom «Léman Express», einer 2020 eröff­neten grenz­über­schrei­tenden S‑Bahn, sowie von einer Libera­li­sierung der Homeoffice-Regeln im Jahr 2023. Auch in Zukunft dürfte ein Grossteil des Genfer Bevöl­ke­rungs­wachstums auf der franzö­si­schen Seite der Grenze statt­finden.

Immer mehr Grenz­gänger aus Frank­reich

Die Zahl der Personen, die im Ausland wohnen und zur Arbeit in die Schweiz pendeln, stieg zwischen dem 1. Quartal 2021 und dem 1. Quartal 2024 um 58’000 (+17%) auf total 399’000. Besonders stark war der Zuwachs der Grenz­gänger aus Frank­reich, die in der Genfer­see­region (bestehend aus den Kantonen Genf, Waadt und Wallis) arbeiten: Deren Zahl wuchs in den letzten 3 Jahren um 33’000 Personen (+26%). Damit haben 57% aller neu hinzu­ge­kom­menen Grenz­gänger ihren Arbeitsort in der Genfer­see­region. 77% der neuen Grenz­gänger, die in Frank­reich wohnen, wählten die Genfer­see­region als Arbeitsort, viele von ihnen den Kanton Genf (+22’000 bzw. +24%). Dies hat verschiedene Ursachen:

  • Boomender Arbeits­markt: Der Post-Covid-Boom im Genfer Arbeits­markt.
  • Wohnungs­mangel: Die immer prekärere Wohnungs­knappheit in Genf.
  • Léman Express: Seit 2020 erleichtert der neue Léman Express das grenz­über­schrei­tende Pendeln. So hat sich die Reisezeit zwischen Annemasse und dem Genfer Haupt­bahnhof Cornavin um rund 40% reduziert. Mittler­weile wird der Léman Express täglich von 70’000 Pendlern genutzt und erreicht damit einen Markt­anteil von 43%. Schmid (2023) unter­sucht die Folgen, die der Léman Express auf die Bautä­tigkeit, die Immobi­li­en­preise und die Zusam­men­setzung der Bevöl­kerung hat. Seine Analysen zeigen, dass der Léman Express in der Nähe von Halte­stellen einen Bauboom ausgelöst und die Attrak­ti­vität des Grenz­gän­gertums in der Region nochmals verstärkt hat.
  • Bautä­tigkeit: Im grenz­nahen Frank­reich wurden rund um die nun besser erschlos­senen Bahnhöfe viele neue Wohnungen erstellt.
  • Wohnkosten: Die durch­schnitt­lichen Wohnkosten im grenz­nahen Frank­reich sind nach wie vor etwa um die Hälfte tiefer als in Genf (Mediane Angebots­mieten: 190 vs. 384 CHF pro m2 und Jahr).
  • Allge­meine Preis­un­ter­schiede: Konsum­güter sind in Frank­reich tenden­ziell billiger als in der Schweiz. Ausserdem hat sich der Schweizer Franken gegenüber dem Euro in den letzten 3 Jahren um knapp 10% aufge­wertet. Beides ist vorteilhaft für die Kaufkraft der Grenz­gänger.
  • Kranken­ver­si­che­rungs­prämien: Bis 2023 profi­tierten Grenz­gänger von deutlich günsti­geren Kranken­ver­si­che­rungs­prämien als in der Schweiz wohnhafte Personen (ab 2024 wird dieser Vorteil aller­dings deutlich reduziert).
  • Löhne: Die Brutto­löhne sind im Kanton Genf mehr als doppelt so hoch wie im grenz­nahen Frank­reich (80’000 vs. 30’000 CHF pro Jahr).
  • Neues Steuer­ab­kommen: Grenz­gänger aus Frank­reich dürfen seit Januar 2023 bis zu 40 % ihrer Arbeitszeit im Homeoffice leisten, ohne dass dies einen Einfluss auf ihren Status als Grenz­gänger oder damit verbun­denen Einkom­mens­be­steue­rungs­re­ge­lungen hat. Dies reduziert ihre Pendel­kosten.
Reduktion der Reisezeit mit dem öffent­lichen Verkehr nach Genève Cornavin seit der Inbetrieb­nahme des Léman Express (im Vergleich zur Vorsi­tuation, Abbildung aus Schmid (2023))

Anteil der Grenz­gänger am Genfer Arbeits­markt steigt

Zwischen dem 1. Quartal 2021 und dem 4. Quartal 2023 wuchs die Zahl der Beschäf­tigen in der Genfer­see­region um 79’000 Personen (+8.1%, Schweiz: +7.1%). Damit entfällt 36% des Beschäf­ti­gungs­wachstums auf Grenz­gänger. Der Anteil der Grenz­gänger an den Beschäf­tigten ist in der Genfer­see­region tradi­tionell hoch; jüngst hat er jedoch nochmals deutlich zugelegt, und zwar von 13.2% im 1. Quartal 2021 auf 14.9% im 1. Quartal 2024.

Akute Wohnungs­knappheit und hohe Wohnkosten in Genf

Während die Leerwoh­nungs­ziffer im Kanton Genf bereits seit Anfang des Jahrhun­derts ständig deutlich unterhalb des optimalen Leerstands von 0.75% liegt (vgl. dazu den Blogbeitrag «Wie hoch muss der Leerstand sein, damit Mieten und Preise stabil sind?»), hat sich die Wohnungs­knappheit in den letzten 2 Jahren nochmals verschärft, und der Anteil leer stehender Wohnungen fiel 2023 auf sehr tiefe 0.4%. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Angebots­ziffer von Mietwoh­nungen, die zwischen 2021 und 2023 von 5.3% auf 4.2% sank. Im Kanton Genf herrscht also chronische Wohnungs­knappheit. Als logische Konse­quenz sind die Wohnkosten sehr hoch. Der Median der Angebots­mieten lag im Kanton Genf bei 384 CHF pro m2 und Jahr (Stand: 1. Quartal 2024).

Im grenz­nahen Frank­reich hingegen bewegen sich die Angebots­mieten je nach Standort zwischen 190 und 260 CHF pro m2 und Jahr (Quelle: Seloger). Noch extremer ist die Situation bei den Angebots­preisen für Wohnei­gentum. Im Kanton Genf betragen diese derzeit rund 13’500 CHF pro m2, im grenz­nahen Frank­reich je nach Standort zwischen 3’500 und 6’000 CHF pro m2 (Schmid (2023) und Seloger). Entspre­chend attraktiv ist die Wohnsitz­nahme im grenz­nahen Frank­reich für in Genf Beschäf­tigte. Im 4. Quartal 2021 waren 26% der Beschäf­tigten im Kanton Genf Grenz­gänger, einige Gemeinden wiesen sogar Anteile von über 40% auf.

Preise für Wohnei­gentum (2010–2018, Median, in CHF pro m2 (Abbildung aus Schmid (2023))
Anteil der Grenz­gänger in der Genfer­see­region (4. Quartal 2021)

Grenz­nahes Frank­reich als Ventil für das Genfer Wachstum

Von 2015 bis 2020 wuchs die Wohnbe­völ­kerung in den an den Kantonen Genf angren­zenden franzö­si­schen Arron­dis­se­ments Saint-Julien-en-Genevois und Gex um 1.2% respektive 1.9% pro Jahr, während der Kanton Genf im gleichen Zeitraum nur um 0.9% pro Jahr wuchs. Diese drei Einheiten bilden zusammen die grenz­über­grei­fende Region «Grand Genève». Von den insgesamt 42’000 Personen, um die «Grand Genève», in diesem Zeitraum wuchs, entfielen 49% auf den franzö­si­schen Teil, obwohl dieser 2015 nur 37% der Einwohner beher­bergte. Das grenznahe Frank­reich dient also als Ventil für das Wachstum des Kantons Genf. Schmid (2023) zeigt, dass dieses Bevöl­ke­rungs­wachstum in erster Linie durch Zuzüge aus umlie­genden franzö­si­schen Regionen getrieben wurde und dass die Übersiedlung aus der Schweiz relativ gering ausfiel.

Erschwing­lichkeit im grenz­nahen Frank­reich nimmt ab

Die Präsenz der «reichen» Grenz­gänger hat die Preise im grenz­nahen Frank­reich im Vergleich zu anderen Gebieten in die Höhe getrieben. Die Immobi­li­en­preise im Dépar­tement Haute-Savoie liegen deutlich über dem franzö­si­schen Durch­schnitt und sind in den letzten Jahren nochmals überdurch­schnittlich stark gewachsen. Das macht es für Einwohner, die nicht in der Schweiz arbeiten, schwie­riger, sich angemes­senen Wohnraum leisten zu können. Dies zeigt sich in der unter­durch­schnitt­lichen Erschwing­lichkeit von Wohnraum im Dépar­tement Haute-Savoie (gemäss Immo-Monitoring France 2024).

Genf wächst auf franzö­si­schem Gebiet weiter

Für die Periode von 2024 bis 2030 erwarten wir gemäss Bevöl­ke­rungs­pro­gnose von Wüest Partner für den Kanton Genf ein Bevöl­ke­rungs­wachstum von 1% pro Jahr. Die angren­zenden Arron­dis­se­ments Saint-Julien-en-Genevois und Gex dürften diesen Wert auch in Zukunft deutlich übertreffen. So lagen 2021 61% der sich in «Grand Genève» im Bau befin­denden Wohnungen auf der franzö­si­schen Seite (DREAL Auvergne-Rhône-Alpes/ OCSTAT – Statis­tique du parc immobilier). Ausserdem hat sich mit dem Léman Express das Pendel­gebiet ausge­weitet, sodass nun auch die Arron­dis­se­ments Annecy und Thonon-les-Bains stärker nach Genf ausge­richtet sind.  Folglich dürfte auch in Zukunft ein Grossteil des Bevöl­ke­rungs­wachstums des Genfer Metro­pol­raums auf der franzö­si­schen Seite der Grenze statt­finden, während die Arbeits­plätze sich weiterhin mehrheitlich auf dem Schweizer Gebiet konzen­trieren.

Das Bevöl­ke­rungs­pro­gno­se­modell von Wüest Partner
Dieses Modell ermög­licht es, die Entwicklung der ständigen Wohnbe­völ­kerung auf Gemein­de­ebene nach Alter, Geschlecht und Natio­na­lität bis 2050 vorher­zu­sagen. Es basiert auf der Methode der Kohor­ten­kom­po­nenten, wobei als Ausgangs­punkt die letzte verfügbare Bevöl­ke­rungs­bilanz des Bundesamts für Statistik (BFS) verwendet wird. Die zukünf­tigen Entwick­lungen werden auf der Grundlage von Annahmen über die Migrations‑, Geburten‑, Sterbe- und Einbür­ge­rungs­raten in jeder Kohorte berechnet. So werden beispiels­weise alters­ab­hängige Fertilitäts- und Morta­li­täts­raten beigezogen, um die Zahl der Geburten und Todes­fälle in der Bevöl­kerung zu prognos­ti­zieren. Die Zu- und Abwan­de­rungs­ströme werden getrennt geschätzt, wobei die langfris­tigen Migra­ti­ons­wahr­schein­lichkeit sowie der Rückgang der Erwerbs­be­völ­kerung in den Nachbar­ländern, der das Migra­ti­ons­po­tenzial aus diesen Ländern schwächt, berück­sichtigt werden. Das Modell wird mit weiteren Daten (Attrak­ti­vität von Gemeinden gemäss Standort- und Markt­rating, Mietpreis­niveau, Kapazität der Gemeinden für die Aufnahme neuer Einwoh­ne­rinnen und Einwohner, Entwick­lungs­areale, Neubau­tä­tigkeit usw.) ergänzt, um die lokalen Bevöl­ke­rungs­pro­jek­tionen zu verfeinern. Die beiden Haupt­stärken dieses Modells sind erstens die feine Granu­la­rität der Daten, die Prognosen auf Gemein­de­ebene ermög­licht. Zweitens wird das Modell jährlich aktua­li­siert, um die neuesten Zahlen und Trends zu integrieren. So haben wir beispiels­weise kürzlich die Annahmen zur Ferti­lität nach unten revidiert, um dem in den letzten beiden Jahren beobach­teten Gebur­ten­rückgang Rechnung zu tragen.

Die Bevöl­ke­rungs­pro­gnose von Wüest Partner  bietet eine aktuelle, klein­räumige und alters­spe­zi­fische Bevöl­ke­rungs­vor­hersage. Diese kann beispiels­weise als Grundlage für Schul­raum­pla­nungen oder zur Abschätzung der zukünf­tigen Nachfrage nach Kinder- und Alters­be­treuung oder Gesund­heits­dienst­leis­tungen einge­setzt werden. 

Dieser Text basiert auf der im Jahr 2023 publi­zierten Disser­tation von Marco Schmid, der auch Co-Autor dieses Blogbei­trags ist. Er wurde mit den neusten verfüg­baren Daten angerei­chert.

Daten­quellen

BFS: Grenz­gän­ger­sta­tistik (GGS), Beschäf­ti­gungs­sta­tistik (BESTA), Statistik der Bevöl­kerung und Haushalte (STATPOP), Schwei­ze­rische Lohnstruk­tur­er­hebung (LSE), Leerwoh­nungs­zählung
INSEE: Recen­sement de la population, Salaires
DREAL Auvergne-Rhône-Alpes/ OCSTAT – Statis­tique du parc immobilier
Seloger, Wüest Partner

Litera­tur­ver­zeichnis

Schmid, Marco (2023). The housing market effects of public transport integration: Evidence from Geneva’s Léman Express. URPP Equality of Oppor­tunity Discussion Paper Series 18, University of Zurich. https://doi.org/10.5167/uzh-252227

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