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Was darf gebaut werden, wo eigentlich nicht gebaut werden darf?

06. Juli 2022

Zu den Eckwerten der Raumplanung in der Schweiz gehören die Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet sowie das Ziel, dass sich die Bautätigkeit weitestgehend auf Ersteres beschränkt. Was im Grundsatz klar ist, ist aber im Detail kompliziert und umstritten. Das politische System tut sich mit der Problematik seit Jahren schwer, scheint nun aber auf dem Weg zu neuen Entscheiden. Nach aktuellem Stand ist mit relativ flexiblen Regeln und kantonal unterschiedlichen Umsetzungen zu rechnen, doch ist die politische Debatte in vollem Gang und das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Volksinitiative gegen «Bauboom ausserhalb der Bauzonen»

Auf der politischen Agenda stehen zwei miteinander verknüpfte politische Geschäfte. Zum einen wurde im September 2020 die Volksinitiative «Gegen die Verbauung unserer Landschaft», kurz «Landschaftsinitiative», lanciert, um – in der Diktion des Initiativkomitees – «den Bauboom ausserhalb der Bauzonen zu stoppen». Sie will in der Bundesverfassung die Grundsätze verankern, dass neue Bauten und Anlagen im Nichtbaugebiet für die Landwirtschaft nötig oder standortgebunden sein müssen. Landwirtschaftliche Bauten dürfen nicht zu Wohnzwecken oder landwirtschaftsfremden gewerblichen Nutzungen umgenutzt und nicht landwirtschaftlich genutzte Bauten dürfen nicht vergrössert oder durch Neubauten ersetzt werden.

Gesetzesrevision als kompakter Kompromiss

Zum anderen scheint mit der zweiten Etappe der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG 2) gemäss einem Redner in der Ständeratsdebatte «eine fast unendlich lange Geschichte» zu einem Ende zu kommen. Die Vorgeschichte reicht ein Jahrzehnt bis fast zur Volksabstimmung über die Raumplanung (RPG 1) von 2013 zurück. Nach mehreren Vernehmlassungen und einem Nichteintretensentscheid im Nationalrat hat die Umweltkommission des Ständerats an einem Kompromiss gezimmert, der in der Sommersession vom Ständerat nach kleinen Retuschen in der Gesamtabstimmung ohne Gegenstimmen verabschiedet wurde. Er figuriert nun unter dem Label «RPG 2 kompakt» zugleich als indirekter Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative und soll das Initiativkomitee veranlassen, seine Volksinitiative zurückzuziehen.

Herzstück der Gesetzesrevision ist ein Stabilisierungsziel für Gebiete ausserhalb von Bauzonen. Die Stabilisierung soll über ein Gesamtkonzept im kantonalen Richtplan geschehen. Im Zentrum stehen nicht Vorschriften, sondern Anreize, damit überflüssige Bauten aus der Landschaft verschwinden: Die Kantone sollen unter gewissen Voraussetzungen Abbruchprämien für nicht mehr genutzte Bauten ausrichten. Im Raum stehen Beträge von 20’000 bis 30’000 Franken pro Objekt. Ein solche Beitragshöhe finanziert gemäss Wüest Partner den Rückbau von Liegenschaften mit rund 100 bis 300 m2 Nutzfläche, wobei es zweckdienlich wäre, diese Prämie je nach Typologie und Zustand zu differenzieren. Der Gegenvorschlag erlaubt in der Umsetzung mehr Flexibilität als die Volksinitiative. Namentlich der Landwirtschaft und dem Tourismus kommt die Ausgestaltung entgegen. Auch Thema ist in diesem Rahmen der Bestandesschutz. Dieser hat eine neue Virulenz erhalten, seit das Bundesgericht im April 2021 entschieden hat, dass bei illegalen Bauten ausserhalb der Bauzone – anders als bei solchen innerhalb der Bauzone – die Pflicht zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands nach 30 Jahren nicht verwirkt. Der Nationalrat hat im Frühjahr eine Motion angenommen, die das ändern will.

Anfang Juli 2022 hat sich die nationalrätliche Umweltkommission mit dem Raumplanungsgesetz beschäftigt. Sie begrüsst die Vorlage in der Version Ständerats grundsätzlich. Gemäss der Medienmitteilung wurde aber auch Anpassungsbedarf moniert. Die Kommissionsberatung wird frühestens Ende August weitergeführt.

Sehr unterschiedliche Betroffenheit

Aktuell stehen 22 Prozent der Gebäude nicht in einer Bauzone. Viele davon wurden vor Jahrzehnten erstellt, als dies noch legal war, und geniessen heute Bestandesschutz. Es wurden auch immer wieder Ausnahmen gewährt, etwa für die Landwirtschaft. Schweizweit wohnen rund 5% der Einwohner:innen und arbeiten rund 4% der Beschäftigten ausserhalb der Bauzonen. Vor allem in Kantonen mit vielen Streusiedlungen wohnen über 10% der Menschen ausserhalb der Bauzonen.

Ergebnisse

Ein wesentlicher Teil der Bauten ausserhalb der Bauzonen wurde und wird landwirtschaftlich genutzt. Stark betroffen sind des Weiteren Privatpersonen, die ein Gebäude in der Landwirtschaftszone bewohnen. Dessen Nutzbarkeit und Wert hängt stark von den Regeln bezüglich Bestandsschutz ab, die letztendlich erlassen werden. Ebenfalls ein Thema sind die neuen Regeln für Gewerbebetriebe und weitere Unternehmen mit Betriebsstandorten ausserhalb der Bauzone. Und auf der staatlichen Ebene ist der Einfluss auf Berg- und ländliche Gemeinden überproportional.

Nicht direkt betroffen ist die Mehrheit der institutionellen Investoren: Ihre Portfolios befinden sich in der Regel schwergewichtig in den Bauzonen von Städten und Agglomerationen. Indirekt ist die Diskussion aber auch für sie relevant: Die Stabilisierung der Bautätigkeit ausserhalb der Bauzone verstärkt insgesamt die Nachfrage in den Zentren und leistet einen Beitrag dazu, die Siedlungsentwicklung nach innen weiter voranzutreiben. Nachdem die Reduktion der Bauzonen den Druck auf die Nichtbauzonen erhöht hat, werden diese nun durch neue Ziele und Regeln stärker geschützt.

Weiteres Vorgehen

Dem Gesetz steht noch die Differenzbereinigung zwischen National- und Ständerat bevor. Die Initiative wurde vom Ständerat bereits zur Ablehnung empfohlen, der Nationalrat dürfte dem folgen. Nach der Schlussabstimmung im Parlament über das Gesetz, die im kommenden Winter oder Frühling stattfinden könnte, wird das Initiativkomitee der Landschaftsinitiative über den sogenannt bedingten Rückzug des Begehrens entscheiden. Wird sie zurückgezogen und ergreift niemand das Referendum gegen das Gesetz, kann der Bundesrat dieses in Kraft setzen. Andernfalls müssen sich Volk und Stände zur Initiative äussern. Die Erfahrung zeigt, dass die Bevölkerung dem Landschaftsschutz einen hohen Wert beimisst und dieser gleichzeitig links-grüne und konservative Kreise mobilisiert – mit der Rothenturm-Initiative 1987 zum Schutz der Moore und der Zweitwohnungsinitiative 2012 gehören zwei Anliegen aus diesem Themenfeld zu den nach wie vor seltenen Fällen, in denen Volksinitiativen die Mehrheit von Volk und Ständen erreichten. Jedoch dürfte die Initiative auch auf deutliche Gegenwehr stossen.

Es bleibt also spannend, wie die Würfel fallen bezüglich der Frage, was in Nichtbauzonen wie gebaut werden darf.

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