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Was darf gebaut werden, wo eigentlich nicht gebaut werden darf?

Letzte Aktualisierung: 22. April 2025

Zu den Eckwerten der Raumplanung in der Schweiz gehören die Trennung von Bau- und Nicht­bau­gebiet sowie das Ziel, dass sich die Bautä­tigkeit weitest­gehend auf Ersteres beschränkt. Was im Grundsatz klar ist, ist aber im Detail kompli­ziert und umstritten. Das politische System tut sich mit der Proble­matik seit Jahren schwer, scheint nun aber auf dem Weg zu neuen Entscheiden. Nach aktuellem Stand ist mit relativ flexiblen Regeln und kantonal unter­schied­lichen Umset­zungen zu rechnen, doch ist die politische Debatte in vollem Gang und das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Volks­in­itiative gegen «Bauboom ausserhalb der Bauzonen»

Auf der politi­schen Agenda stehen zwei mitein­ander verknüpfte politische Geschäfte. Zum einen wurde im September 2020 die Volks­in­itiative «Gegen die Verbauung unserer Landschaft», kurz «Landschafts­in­itiative», lanciert, um – in der Diktion des Initia­tiv­ko­mitees – «den Bauboom ausserhalb der Bauzonen zu stoppen». Sie will in der Bundes­ver­fassung die Grund­sätze verankern, dass neue Bauten und Anlagen im Nicht­bau­gebiet für die Landwirt­schaft nötig oder stand­ort­ge­bunden sein müssen. Landwirt­schaft­liche Bauten dürfen nicht zu Wohnzwecken oder landwirt­schafts­fremden gewerb­lichen Nutzungen umgenutzt und nicht landwirt­schaftlich genutzte Bauten dürfen nicht vergrössert oder durch Neubauten ersetzt werden.

Geset­zes­re­vision als kompakter Kompromiss

Zum anderen scheint mit der zweiten Etappe der Teilre­vision des Raumpla­nungs­ge­setzes (RPG 2) gemäss einem Redner in der Stände­rats­de­batte «eine fast unendlich lange Geschichte» zu einem Ende zu kommen. Die Vorge­schichte reicht ein Jahrzehnt bis fast zur Volks­ab­stimmung über die Raumplanung (RPG 1) von 2013 zurück. Nach mehreren Vernehm­las­sungen und einem Nicht­ein­tre­tens­ent­scheid im Natio­nalrat hat die Umwelt­kom­mission des Ständerats an einem Kompromiss gezimmert, der in der Sommer­session vom Ständerat nach kleinen Retuschen in der Gesamt­ab­stimmung ohne Gegen­stimmen verab­schiedet wurde. Er figuriert nun unter dem Label «RPG 2 kompakt» zugleich als indirekter Gegen­vor­schlag zur Landschafts­in­itiative und soll das Initia­tiv­ko­mitee veran­lassen, seine Volks­in­itiative zurück­zu­ziehen.

Herzstück der Geset­zes­re­vision ist ein Stabi­li­sie­rungsziel für Gebiete ausserhalb von Bauzonen. Die Stabi­li­sierung soll über ein Gesamt­konzept im kanto­nalen Richtplan geschehen. Im Zentrum stehen nicht Vorschriften, sondern Anreize, damit überflüssige Bauten aus der Landschaft verschwinden: Die Kantone sollen unter gewissen Voraus­set­zungen Abbruch­prämien für nicht mehr genutzte Bauten ausrichten. Im Raum stehen Beträge von 20’000 bis 30’000 Franken pro Objekt. Ein solche Beitragshöhe finan­ziert gemäss Wüest Partner den Rückbau von Liegen­schaften mit rund 100 bis 300 m2 Nutzfläche, wobei es zweck­dienlich wäre, diese Prämie je nach Typologie und Zustand zu diffe­ren­zieren. Der Gegen­vor­schlag erlaubt in der Umsetzung mehr Flexi­bi­lität als die Volks­in­itiative. Namentlich der Landwirt­schaft und dem Tourismus kommt die Ausge­staltung entgegen. Auch Thema ist in diesem Rahmen der Bestan­des­schutz. Dieser hat eine neue Virulenz erhalten, seit das Bundes­ge­richt im April 2021 entschieden hat, dass bei illegalen Bauten ausserhalb der Bauzone – anders als bei solchen innerhalb der Bauzone – die Pflicht zur Wieder­her­stellung des recht­mäs­sigen Zustands nach 30 Jahren nicht verwirkt. Der Natio­nalrat hat im Frühjahr eine Motion angenommen, die das ändern will.

Anfang Juli 2022 hat sich die natio­nal­rät­liche Umwelt­kom­mission mit dem Raumpla­nungs­gesetz beschäftigt. Sie begrüsst die Vorlage in der Version Ständerats grund­sätzlich. Gemäss der Medien­mit­teilung wurde aber auch Anpas­sungs­bedarf moniert. Die Kommis­si­ons­be­ratung wird frühestens Ende August weiter­ge­führt.

Sehr unter­schied­liche Betrof­fenheit

Aktuell stehen 22 Prozent der Gebäude nicht in einer Bauzone. Viele davon wurden vor Jahrzehnten erstellt, als dies noch legal war, und geniessen heute Bestan­des­schutz. Es wurden auch immer wieder Ausnahmen gewährt, etwa für die Landwirt­schaft. Schweizweit wohnen rund 5% der Einwohner:innen und arbeiten rund 4% der Beschäf­tigten ausserhalb der Bauzonen. Vor allem in Kantonen mit vielen Streu­sied­lungen wohnen über 10% der Menschen ausserhalb der Bauzonen.

Ergebnisse

Ein wesent­licher Teil der Bauten ausserhalb der Bauzonen wurde und wird landwirt­schaftlich genutzt. Stark betroffen sind des Weiteren Privat­per­sonen, die ein Gebäude in der Landwirt­schaftszone bewohnen. Dessen Nutzbarkeit und Wert hängt stark von den Regeln bezüglich Bestands­schutz ab, die letzt­endlich erlassen werden. Ebenfalls ein Thema sind die neuen Regeln für Gewer­be­be­triebe und weitere Unter­nehmen mit Betriebs­stand­orten ausserhalb der Bauzone. Und auf der staat­lichen Ebene ist der Einfluss auf Berg- und ländliche Gemeinden überpro­por­tional.

Nicht direkt betroffen ist die Mehrheit der insti­tu­tio­nellen Inves­toren: Ihre Portfolios befinden sich in der Regel schwer­ge­wichtig in den Bauzonen von Städten und Agglo­me­ra­tionen. Indirekt ist die Diskussion aber auch für sie relevant: Die Stabi­li­sierung der Bautä­tigkeit ausserhalb der Bauzone verstärkt insgesamt die Nachfrage in den Zentren und leistet einen Beitrag dazu, die Siedlungs­ent­wicklung nach innen weiter voran­zu­treiben. Nachdem die Reduktion der Bauzonen den Druck auf die Nicht­bau­zonen erhöht hat, werden diese nun durch neue Ziele und Regeln stärker geschützt.

Weiteres Vorgehen

Dem Gesetz steht noch die Diffe­renz­be­rei­nigung zwischen National- und Ständerat bevor. Die Initiative wurde vom Ständerat bereits zur Ablehnung empfohlen, der Natio­nalrat dürfte dem folgen. Nach der Schluss­ab­stimmung im Parlament über das Gesetz, die im kommenden Winter oder Frühling statt­finden könnte, wird das Initia­tiv­ko­mitee der Landschafts­in­itiative über den sogenannt bedingten Rückzug des Begehrens entscheiden. Wird sie zurück­ge­zogen und ergreift niemand das Referendum gegen das Gesetz, kann der Bundesrat dieses in Kraft setzen. Andern­falls müssen sich Volk und Stände zur Initiative äussern. Die Erfahrung zeigt, dass die Bevöl­kerung dem Landschafts­schutz einen hohen Wert beimisst und dieser gleich­zeitig links-grüne und konser­vative Kreise mobili­siert – mit der Rothenturm-Initiative 1987 zum Schutz der Moore und der Zweit­woh­nungs­in­itiative 2012 gehören zwei Anliegen aus diesem Themenfeld zu den nach wie vor seltenen Fällen, in denen Volks­in­itia­tiven die Mehrheit von Volk und Ständen erreichten. Jedoch dürfte die Initiative auch auf deutliche Gegenwehr stossen.

Es bleibt also spannend, wie die Würfel fallen bezüglich der Frage, was in Nicht­bau­zonen wie gebaut werden darf.

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