Risiko-Management: Anforderungen und Herausforderungen
02. Oktober 2024
Serie der Artikel
Die nachfolgenden Artikel sind die vorherigen Beiträge der Serie von Oliver Bauscher:
- Insolvenzen: Wege aus der Klemme
- Projektentwicklungen: Vom Boom zum Stillstand
- Immobilienmarkt: Das Ende eines Zyklus
Bei der Implementierung von Risikomanagement-Prozessen ist stets ein Trade-Off zwischen der Wirtschaftlichkeit der Prüfungshandlungen gegenüber der Wesentlichkeit der Prüfungsergebnisse einzugehen, oder anders formuliert gilt es, die Effizienz gegenüber der Effektivität abzuwägen.
Dabei ergeben sich an das Risikomanagement von Immobilien-Projektentwicklungen zum einen vielfache Anforderungen sowohl aus dem kaufmännischen Kalkül der Sponsoren als auch aus der jeweils einschlägigen Regulatorik, sowie zum anderen vielfache Herausforderungen aus der Komplexität des Prüfungsgegenstandes und aus der Heterogenität der verfügbaren Informationen.
Normen und Standards
Auf der Methodischen Ebene besteht dazu bereits eine normative Regelung für das generische Risikomanagement insbesondere mit der DIN ISO 31000 Risikomanagement – Leitlinien. Dies ist grundsätzlich hilfreich, wenngleich auch nicht ausreichend, um Risiken aus dem Anwendungsfall der Immobilien-Projektentwicklungen hinreichend zu erfassen und zu bewerten. Hierzu sind auf der Inhaltlichen Ebene zahlreiche realwirtschaftlichen Normen zu beachten, die hinsichtlich der jeweiligen fachlichen Teildisziplinen weit aufgefächert und zumeist nicht miteinander synchronisiert sind (z.B. BGB, HOAI, AHO, VOB, DIN 276, DIN 277, DIN 69901, DIN ISO 21508, u.v.a.). Zudem sind auch noch die finanzwirtschaftlichen Normen zu beachten, welche bereits sehr detailliert formuliert sind und aufgrund von Finanzkrisen etc. stetig weiterentwickelt werden (z.B. KAGB, KWG, MaRisk, KAMaRisk, BelWertV, IDW PS 340, u.v.a.). Initiativen von der RICS, dem Baumonitoring e.V. und der HypZert geben erste Empfehlungen für eine Standardisierung eines Risikomanagements für Immobilien-Projektentwicklungen, in Form von Bau- oder Risiko-Monitorings, die Implementierung desselben bleibt jedoch weiterhin Aufgabe des jeweiligen Sponsors.
Zielsetzung
Die Aufgabe des Risikomanagements von Immobilien-Projektentwicklungen ist grundsätzlich die Identifikation, Bewertung, Steuerung und Überwachung von Projekt-Risiken. Realwirtschaftlich wird damit das Ziel verfolgt, etwaige Planabweichung frühzeitig zu erkennen und durch geeignete Maßnahmen so gering wie möglich, im Idealfall bei Null, zu halten. Geeignete Maßnahmen zur Steuerung können hierbei entweder ursachen- oder wirkungsbezogen sein und sind jeweils von den Sponsoren oder den durch sie beauftragten Planern, Projektsteuerern, Generalunternehmern, etc. zu veranlassen. Finanzwirtschaftlich wird das Ziel verfolgt die Risikotragfähigkeit der Projektorganisation aus der Summe der identifizierten Risikopositionen und des verfügbaren Risikodeckungspotenzials zu ermitteln und sicherzustellen. Geeignete Maßnahmen zur Steuerung können hierbei ergebnis- oder liquiditätswirksam sein und sind jeweils von den Sponsoren, insbesondere den Kapitalverwaltungsgesellschaften, den Investoren und den Finanzierungsinsituten zu veranlassen. Im Zuge eines Risikomonitorings werden dabei wesentliche Kennzahlen erfasst, ermittelt, verfolgt und dokumentiert.
Anforderungen
In unserer Bewertungspraxis haben wir zahlreiche Projekte betreut, viele Drittgutachten plausibilisiert und etliche Sponsoren beraten. Dabei haben sich zentrale Anforderungen an das Risikomanagement herauskristallisiert oder sind gar normativ gefordert. Demnach soll das Risikomanagement von Immobilien-Projektentwicklungen folgende Kriterien erfüllen:
- Unabhängig
- Kompetent
- Regelmäßig
- Zeitnah
- Umfassend
- Nachvollziehbar
- Normgerecht
- Handlungsleitend
Das Risikomanagement soll unabhängig vom Leistungsprozess und der Finanzierung sowie unabhängig von den beteiligten Organisationen und Personen erfolgen. Es muss selbstverständlich Kompetent ausgeführt werden, dies umfasst vielfältige technische, wirtschaftliche, rechtliche und methodische Expertisen. Die Prüfungshandlungen sollen regelmäßig erfolgen, um eine kontinuierliche Überwachung hinsichtlich einer Risikofrüherkennung zu gewährleisten, zudem sollen die Risikoberichte zeitnah zu den vereinbarten Berichtszeitpunkten erstellt werden. Die Risikoanalyse soll umfassend erfolgen, um möglichst alle systematischen sowie unsystematischen Risiken zu erfassen. Die Risikoanalyse ist für den Empfängerkreis nachvollziehbar durchzuführen und darzustellen, somit sind auch die Input- und Output- Variablen von quantitativen oder stochastischen Modellen allgemeinverständlich zu formulieren. Das Risikomanagement ist hinsichtlich des Prüfprozesses und der Risikokennzahlen normgerecht durchzuführen, um sowohl formell belastbar als auch materiell nutzbar zu sein. Zuletzt soll das Risikomanagement handlungsleitend sein, so das aus den analysierten Ursache- Wirkungs- Beziehungen geeignete Maßnahmen zur Vermeidung, Verringerung, Verschiebung oder Vereinnahmung von Risiken abgeleitet werden können.
Herausforderungen
Aus unserer Bewertungspraxis haben wir vielfältige Erfahrungen hinsichtlich der tatsächlichen Umsetzung im Risikomanagement gesammelt, Erkenntnisse aus zahlreichen Projektauswertungen gewonnen, sowie etliche Metastudien zu den Themenkomplexen Risikomanagement, Immobilienentwicklung und Entscheidungs-findung ausgewertet. Daraus kristallisieren sich folgende typische Herausforderungen für das Risikomanagement von Immobilien-Projektentwicklungen:
- Begrenzte Prüfungsressourcen
- Steigende Prüfungsanforderungen
- Unvollständige Informationen
- Unklare Verantwortlichkeiten
- Fehlende Daten
- Uneinheitliche Standards
- Akzeptanz der Stakeholder
- Relevanz der Ergebnisse
Generell bestehen für das Risikomanagement nur begrenzte Prüfungsressourcen, da neben der Effektivität der Prüfungsergebnisse auch die Effizienz der Prüfungshandlungen gewährleistet sein muss. Dazu gegenläufig steigen regelmäßig die Prüfungsanforderungen, sei es in bestimmten Marktphasen durch erhöhte Risikoaversion der Sponsoren oder durch die sich kontinuierlich verschärfende Regulatorik. Anders als in vielen sonstigen Sektoren sind in der Immobilienwirtschaft unvollständige Informationen oder Informationsasymmetrien eher die Regel als die Ausnahme. Damit einhergehen auch unklare Verantwortlichkeiten oder Offenlegungspflichten bezüglich der Informationsbeschaffung. Dies basiert zumeist auf unvollständigen Verträgen zwischen den Projektbeteiligten. Zudem erzeugen fehlende Daten im Immobilienmarkt je nach Immobilienklasse immer noch Datenlücken bezüglich der Analysen. Wie zuvor angesprochen besteht noch keine in sich abgeschlossene normierte Methodik für das Risikomanagement von Immobilien-Projektentwicklungen, so dass Analysen aufgrund der verwendeten uneinheitlichen Standards nicht unmittelbar miteinander vergleichbar sind. Die Kombination der genannten Punkte führt zu einer unterschiedlichen Akzeptanz der Stakeholder, d.h. der Sponsoren, Entwickler, Nutzer und Regulatoren, die wiederum jeweils unterschiedliche Informationsbedürfnisse besitzen. Daraus folgt häufig, dass die Relevanz der Ergebnisse nicht bei allen Stakeholdern gegeben ist.
Risikoorientierter Prüfungsansatz
Zur Systematisierung eines Risikomonitorings wurde bereits durch den Baumonitoring e.V. die in der Wirtschaftsprüfung üblichen Vorgehensweise des risikoorientierten Prüfungsansatzes empfohlen. Dieser Ansatz unterscheidet sich erheblich von den üblichen Projektmanagement- und Projektcontrolling-Techniken in der Bau- und Immobilienwirtschaft, bietet aber genau deshalb eine wesentliche Erweiterung der Risiko-Perspektiven auf weitere relevante Prüfungsfelder. Zudem bietet dieser Ansatz aufgrund der starken Formalisierung eine sehr gute Nachvollziehbarkeit der Prüfungshandlungen sowie eine sehr hohe Akzeptanz der Prüfungsergebnisse. Zentrale Aufgabe des Prüfers oder Risikomonitors ist hierbei, die Informationen aus dem Projekt fachlich richtig in prüfbare Sachverhalte zu überführen und zu plausibilisieren.
Der risikoorientierte Prüfungsansatz basiert auf den Prüfungsstandards des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), welche auf den Regelungen der International Standards on Auditing (ISA) aufsetzen. Abstrakt formuliert der ISA 315 „Identifizierung und Beurteilung der Risiken wesentlicher falscher Darstellungen aus dem Verstehen der Einheit und ihres Umfelds“ sowie der ISA 330 „Die Reaktion des Abschlussprüfers auf beurteilte Risiken“.
Insbesondere in der MaRisk AT 1.7 für Finanzinstitute sowie in der KaMaRisk 3.1. für Investmentgesellschaften wird gefordert: „Prüfungen sind daher auf der Basis eines risikoorientierten Prüfungsansatzes durchzuführen“. Dies ist gemäß MaRisk BTO 3.2.1.2. sowie KaMaRisk 5.2.6. ausdrücklich auch auf Projektrisiken anzuwenden.
Prüfungsrisiko
Der risikoorientierte Prüfungsansatze geht demnach von drei wesentlichen Prüfungshandlungen aus, der systemorientierten Prüfung, der analytischen Prüfung sowie der individuellen Prüfung. Im Zuge der systemorientierten Prüfung werden insbesondere die internen Kontrollsysteme auf deren Wirksamkeit untersucht, hier geht es also um die Identifikation der wesentlichen zu untersuchenden Prüffelder. Im Zuge der analytischen Prüfung werden Sachverhalte in bestimmten Prüffeldern aggregiert und statistisch hinsichtlich der Abweichungen und Auswirkungen ausgewertet, hier geht es also um Kennzahlenanalyse und deren Plausibilisierung. Daraus ergeben sich Hinweise für etwaige individuellen Prüfung, bei welcher einzelne Sachverhalte und Geschäftsvorfälle, wie z.B. Verträgen, Kalkulationen, Buchungen, etc. dezidiert untersucht und bewertet werden.
Das Prüfungsrisiko wird demnach beschrieben als Produkt aus dem Fehlerrisiko und dem Entdeckungsrisiko:
Prüfungsrisiko = Fehlerrisiko x Entdeckungsrisiko
Das Fehlerrisiko beschreibt dabei das Risiko, dass ein Fehler oder eine Abweichung innerhalb eines Prüffeldes auftreten (inhärentes Risiko) und diese nicht mittels des unternehmensinternen Kontrollsystems (IKS) erkannt werden (Kontrollrisiko):
Fehlerrisiko = inheräntes Risiko x Kontrollrisiko
Das Entdeckungsrisiko wiederum beschreibt das Risiko, dass ein Fehler oder eine Abweichung durch die Prüfungshandlungen des Abschlussprüfers nicht erkannt werden. Bei den Prüfungshandlungen des Abschlussprüfers wird hierbei grundsätzlich zwischen analytischen Prüfungshandlungen (analytisches Risiko) sowie Einzelfall-Prüfungshandlungen (Einzelfallrisiko) unterschieden.
Entdeckungsrisiko = analytisches Risiko x Einzelfallrisiko
Auch wenn diese Methodik ursprünglich zur Prüfung von Jahresabschlüssen konzipiert wurde, ist sie generisch anwendbar auf den Sachverhalt der Projektentwicklungs-Organisation mit ihrer Immobilien-Projektentwicklung. Dabei ist es selbstredend erforderlich, das spezifische Geschäftsmodell der Projektentwicklung strukturiert abzubilden und die wesentlichen inheränten Risiken zu identifizieren. Zu diesem Zweck haben wir aus der Empirie vielfach untersuchter Projektentwicklungen die Theorie einer modularen Risiko-Matrix induziert. Diese Matrix erlaubt nun ein einheitliches Vorgehen und liefert gleichzeitig aggregierte Benchmarks für einzelne Kennzahlen. Zudem erfolgt für den Prüfungsgegenstand, ähnlich einem Kontenrahmen, die strukturierte Analyse der Einzelrisiken sowie die sachgerechte Synthese in ein Gesamtrisiko.
Lösungsansatz Risikomonitoring
Zuvor haben wir erkannt, dass im Risikomanagement eine Leistungslücke zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft besteht, hier haben wir nun die spezifischen Anforderungen und Herausforderungen für das Risikomanagement von Immobilien-Projektentwicklungen zusammengefasst. Dabei stellen wir fest, dass sowohl formale als auch fachliche Normen einzuhalten sind und dass unterschiedliche Kennzahlen für sowohl realwirtschaftliche als auch finanzwirtschaftliche Zwecke abgeleitet werden müssen. Zudem haben wir das Prinzip der risikoorientierten Prüfung vorgestellt, welches Grundlage für die Ausgestaltung eines Risikomonitoring sein sollte. Im nächsten Kapitel formulieren wir, wie ein effektives und effizientes Risikomonitoring ausgestaltet wird, dass diese formalen Anforderungen erfüllt und dabei die fachlichen Herausforderungen beherrscht.
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