Wirtschaftliche Folgen des Coronavirus
17. April 2020
Die Gesundheit und Sicherheit der Schweizer Bevölkerung hat oberste Priorität. Dieses Prinzip scheint in der Coronavirus-Krise richtig und wichtig. Doch je länger, je mehr zeigt es sich, dass eine ganzheitliche Betrachtung aller betroffenen Bereiche notwendig ist. Neben der Gesundheit sind dabei die Gesellschaft, Ökologie und Ökonomie zentral. Insbesondere im letztgenannten Bereich möchte Wüest Partner einen Beitrag leisten. Mit einem neuen Modell können die Folgen der Verbreitung des Coronavirus und der damit verbundenen wirtschaftlichen Einschränkungen auf die Schweizer Wirtschaft abgeschätzt werden. Vor allem die folgenden drei Fragestellungen stehen im Fokus:
- Was kosten die Einschränkungen durch die Covid-19-Verordnung?
- Wie viele Beschäftigte sind betroffen und wie hoch ist der Wertschöpfungsausfall?
- Welche Regionen der Schweiz leiden besonders unter wirtschaftlichen Einbussen?
Coronavirus: Unterschiede der Betroffenheit
Wir erachten den Ansatz eines sogenannten Bottom-up-Modells zur Beantwortung dieser Fragen als geeignet und zielführend. Dies ermöglicht es, die Anteile der Beschäftigten, die nur eingeschränkt arbeiten können, jeder Wirtschaftsbranche abzuschätzen. Zudem kann der Wertschöpfungsverlust abgebildet werden.
Das Modell berücksichtigt die Beschäftigten in jeder einzelnen der 794 Subbranchen in jeder Gemeinde der Schweiz. Die Ergebnisse lassen sich für Grossregionen und Kantone sowie für verschiedene Perioden zusammenfassen. Zur Abschätzung der Wertschöpfungsverluste werden branchenspezifische Unterschiede berücksichtigt. Als Datengrundlage für das Modell dienen die neusten Beschäftigungs- und Produktionsstatistiken des Bundesamtes für Statistik (BFS). Zusätzlich fliessen Abschätzungen seitens Wüest Partner für die Einschränkungen in Abhängigkeit der zeitlichen Phase ein. Diese berücksichtigen die neusten Anpassungen der Vorschriften des Bundesrates vom 16. April 2020, die in der Covid-19-Verordnung 2 und den damit einhergehenden Erläuterungen abgebildet sind. Denn bekanntermassen ist der Coiffeur-Salon ab dem 27. April 2020 wieder offen, während die Gastronomie noch bis auf unbestimmte Zeit einem vollständigen Lockdown unterworfen bleibt. Abschätzungen zu den Auswirkungen der Einschränkungen sind somit weitgehend, aber nicht vollständig möglich.
Noch herausfordernder ist es abzuschätzen, wie lange die Wirtschaft eingeschränkt sein wird. In der Modellierung des Grundszenarios bilden wir – ohne hierzu genauere Informationen zu haben – die Auswirkungen unter der Annahme ab, dass die einschränkenden Massnahmen ab dem 1. Oktober 2020 aufgehoben werden. So resultiert in der Summe ein Verlust der Gesamtwertschöpfung in der Schweiz von rund 57 Milliarden Franken für das Jahr 2020 (ceteris paribus gegenüber einem uneingeschränkten Wirtschaftsgang). Dies entspricht einem Anteil von ungefähr 8 Prozent am gesamten Bruttoinlandprodukt des letzten Jahres von rund 700 Milliarden Franken. Falls die Einschränkungen Ende Juli aufgehoben werden, würde der kumulierte Wertschöpfungsverlust bei rund 42 Milliarden Franken – oder 6 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung – zu stehen kommen. Nach der Aufhebung der Massnahmen dürften sich viele Wirtschaftszweige wieder normalisieren oder sogar von Nachholeffekten profitieren, während in anderen Branchen Zweitrundeneffekte wie ein tieferer Konsum, eine gedämpfte Investitionstätigkeit und Globalnachfrage und nicht zuletzt auch vermehrte Konkurse in etlichen Branchen zu beobachten sein dürften. Auch dazu wurden Annahmen getroffen und in einer letzten Phase abgebildet. Der kumulierte Wertschöpfungsverlust resultiert als Summe der einzelnen zeitlichen Phasen und Wirkungen in den einzelnen Branchen. Die Ergebnisse haben wir in 15 Branchengruppen und auf Stufe Kantone konsolidiert.
Von drei auf zwei Milliarden Franken pro Woche
In der aktuell noch immer andauernden Phase des weitgehenden Lockdowns dürfte pro Arbeitswoche rund drei Milliarden Franken an Wertschöpfung verloren gehen. Es ist davon auszugehen, dass rund 875’000 vollzeitäquivalente Beschäftigte in der Schweiz als direkte Folge der behördlichen Einschränkungen zurzeit nicht ihrer gewohnten Beschäftigung nachgehen können, was rund 22 Prozent der Gesamtbeschäftigung entspricht. Diese Zahl wird sich nun nach einer ersten Lockerung ab dem 27. April 2020 auf rund 720’000 reduzieren und dann ab dem 11. Mai 2020 auf rund 550’000 vollzeitäquivalente Beschäftigte. Ab dem 8. Juni werden immerhin noch rund 445’000 Personen ganz oder teilweise eingeschränkt beschäftigt bleiben und der Wertschöpfungsverlust liegt bei zwei Milliarden Franken. Dahinter steckt die Annahme, dass das «Social Distancing» auch im Sommer die Geschäftstätigkeiten noch spürbar einschränken könnte. Für einige Regionen sind die wirtschaftlichen Einschränkungen heute schon gross und werden voraussichtlich auch anhalten. Namentlich die Kantone Graubünden und Wallis, in denen der Tourismus ein bedeutender Wirtschaftszweig darstellt, sind hart getroffen. In den Kantonen Graubünden und Wallis sind 28 respektive 29 Prozent in ihrer Tätigkeit eingeschränkt. Der Hotellerie und Gastronomie stehen grosse Herausforderungen bevor und ein stark beschleunigter Strukturwandel sowie eine Vielzahl an Konkursen ist leider wahrscheinlich. Auf der anderen Seite ist in gewissen Wirtschaftsräumen und Branchen auch mit Kompensationseffekten zu rechnen. Diese dürfen unserer Meinung nach aber nicht überschätzt werden.
Zur interaktiven Darstellung der Ergebnisse gelangen Sie hier.
Im Wissen um die Fragilität der Zeitpunkte und die diffus anmutenden Einschränkungen in den unterschiedlichen Subbranchen sowie die unterschiedlichen Erwartungen an Zweitrundeneffekte haben wir uns entschieden, für interessierte Anspruchsgruppen eigene Einstellungsmöglichkeiten zu bieten. Damit können eigene und regionale Szenarien auf der Basis des Wüest Partner Modells abgebildet werden. Datahouse, die Tochterfirma von Wüest Partner hat dazu ein interaktives Dashboard auf einer eigenen Website mit zahlreichen Einstellmöglichkeiten umgesetzt. Dieses beinhaltet auch einen Expertenmodus, in dem nach Kantonen differenziert eigene Annahmen abgebildet werden können. Wir möchten damit einen Beitrag zu einem hoffentlich vermehrt ganzheitlich geführten Diskurs in der Coronavirus-Krise leisten.