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Schweizer Tourismus im Zeitalter von Covid-19

20. Juli 2020

Boat, Transportation, Vehicle

Am 16. März 2020 wurde vom Bundesrat die «ausserordentliche Lage» gemäss Epidemiengesetz erklärt. Als Folge der Massnahmen schlossen zahlreiche Einrichtungen des Schweizer Tourismus ihre Türen, ohne dazu gezwungen zu sein. In einer schweizweiten Umfrage vom Walliser Tourismus Observatorium (tourobs) und vom Institut für Tourismus der Fachhochschule Westschweiz (hes-so) gab rund die Hälfte der befragten Hotelbetriebe im April 2020 an, ganz geschlossen zu haben. Ein weiteres Fünftel der befragten Betriebe war teilweise geschlossen und 10% lediglich mit reduziertem Personal geöffnet. Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) lagen die Übernachtungen in den Schweizer Hotels im Monat April um 90 Prozent tiefer als im Vorjahr. Das Hotel- und Gastgewerbe ist damit eine der von der Corona-Pandemie am stärksten betroffenen Branchen.

Schweizer Tourismus: Veränderte Anteile der Herkunftsländer

Mittlerweile haben die meisten Hotels wieder geöffnet. Um Gäste empfangen zu können, müssen die geöffneten Hotelbetriebe jedoch nachrüsten: Neben den bereits geltenden gesetzlichen Hygiene- und Schutzrichtlinien wurde ein umfassendes Schutzkonzept erarbeitet, welches für alle Hotelbetriebe gilt. Daraus resultiert in vielen touristischen Betrieben eine tiefere Kapazität. Insgesamt sank die kumulierte Anzahl Logiernächte (jeweils Januar bis Mai) um 41% gegenüber dem Fünfjahresschnitt, von 1.43 Millionen Logiernächten auf 0.84 Millionen. Auch bei der Verteilung der Logiernächte gibt es aufgrund der Einreiseverbote grosse Verschiebungen. Während Schweizer Gäste im Schnitt der Jahre 2015 bis 2019 von Januar bis Mai nur 41% aller Übernachtungen ausmachten, waren es in diesem Jahr 86%. Die übrigen Gäste stammen vorwiegend aus Europa mit Deutschland (4%), Italien (2%) und Frankreich (2%). In den vergangenen Jahren war vor allem die Stadthotellerie von aussereuropäischen Gästen geprägt (52% der Gäste), während die Hotellerie in den Bergen überwiegend von Schweizern genutzt wurde.

Grafik Logiernächte

Reiseverhalten der Schweizer Bevölkerung

Gemäss BFS führten 2019 rund 67% aller Reisen von Schweizern ins Ausland, vorwiegend für Ferien. Beliebteste Destinationen sind hierbei die direkten Nachbarländer Deutschland (13% aller Reisen), gefolgt von Italien (12%) und Frankreich (10%). Nur gerade 7% aller Reisen führten in Länder ausserhalb Europas. Durch die Grenzöffnungen sind Reisen innerhalb Europas wieder möglich und es ist davon auszugehen, dass dies möglichst erhalten wird im Sinne des europäischen Zusammenhalts.

Nichtsdestotrotz ist die Schweizer Bevölkerung in ihrem Reiseverhalten (noch) gehemmt: Gemäss einer Mitte Mai durchgeführten Umfrage der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ist die grösste Angst der Schweizer Bevölkerung, in der Ferienregion in Quarantäne zu müssen oder die Rückreise nicht mehr antreten zu können. Dies dürfte Auslandsreisen kurzfristig hemmen. Längerfristig ziehen weitere Wolken am «Ferienhimmel» auf. Die drohenden Mindestflugpreise und Abgaben im Zusammenhang mit der Klimadebatte und mit der finanziellen Rettung von Airlines werden auch im europäischen Kontext das Reiseverhalten beeinflussen. In Österreich stehen diese vor der Einführung und auch in der Schweiz wird im Parlament darüber diskutiert. Gerade im europäischen Kontext könnten Billigflüge ins Stocken geraten und das Reiseverhalten nachhaltig verändern. In diesem Zusammenhang ist auch (kurzfristig) die reduzierte Kaufkraft zu beachten. Gemäss Umfrage von sotomo liegt das Haushaltseinkommen aktuell, bedingt durch Massnahmen der Kurzzeitarbeit, im Durchschnitt rund 10% tiefer des normalen Einkommens gegenüber den Vorkrisenmonaten. Die Wirtschaftskrise wird damit spürbarer, was auch direkte Auswirkungen auf die Ferienplanung hat, da Reisen nicht zu den Grundbedürfnissen zählt. Dennoch werden Ferien im Gegensatz zu anderen Konsumgütern nachgeholt.

Suche nach Erlebnissen im Inland

Aufgrund der Erkenntnisse kann die These aufgestellt werden, dass Frau und Herr Schweizer vorerst vermehrt ihre Ferien in der Schweiz verbringen werden. Da knapp 85% der Einwohner in Städten und deren Agglomerationen lebt (40% davon in den fünf Schweizer Grossstädten Zürich, Genf, Basel, Bern und Lausanne), kann damit gerechnet werden, dass für die Abwechslung vor allem ländlichere Gebiete aufgesucht werden. Dieser Trend ist bereits aktuell den Statistiken der vergangenen Jahre zu entnehmen, wo Schweizer den Grossteil der Touristen ausserhalb der Städte ausmachen.

Für die zusätzliche Akzentuierung dieses Trends können zwei Haupttreiber ausgemacht werden: Einer davon ist Social Media. Jeder Schritt wird dokumentiert und auf der Suche nach dem «most instagrammable» Spot zieht es die junge Bevölkerung in die Natur. Ein Beispiel hierfür ist der Alpstein, der während des Lockdowns einen regelrechten Ansturm erfuhr. Ein weiterer Treiber ist die Vorsicht vor grösseren Menschenansammlungen, die vorwiegend in Grossstädten gefunden werden. Aktuell sind die Sommerferienpläne vor allem auf die Schweiz beschränkt. Beliebte Destinationen sind gemäss Umfrage von sotomo die eher ländlichen Kantone Graubünden, Wallis, Tessin und Bern.

Grafik Ferienart
Grafik Ferienort

In Anbetracht der reduzierten Kaufkraft könnte ein weiterer Trend der vergangenen Jahre starken Auftrieb erhalten: Die Parahotellerie (Jugendherbergen, Ferienwohnungen, Campingplätze) hat gemäss BFS im Jahr 2019 um 0.7% zugelegt, wobei der Anteil bei Schweizer Touristen um 2.4% anstieg und der Anteil der ausländischen Touristen sank. Interessanterweise sind vor allem die Anzahl Übernachtungen in Jugendherbergen (+4.0%) und auf Campingplätzen (+5.0%) gestiegen, während die Übernachtungen in Ferienwohnungen sanken (-3.6%). Gerade bei den Campingplätzen stieg die Anzahl der Übernachtungen durch Schweizer besonders stark (+5.7%). In Deutschland konnte zudem eine erhöhte Neuzulassungszahl an Wohnmobilen beobachtet werden (+15.9% im Mai ggü. Vorjahr). Ein Trend, der angesichts der Vorzüge bezüglich Sicherheit und Flexibilität des Reisens auch in der Schweiz aufkommen dürfte.

Auswirkungen auf den Immobilienmarkt?

Wie sich die Ausgangslage für die Schweizer Hotellerie mittelfristig gestalten wird, hängt massgeblich davon ab, wie erfolgreich die Pandemie nachhaltig eingedämmt werden kann. Denn entscheidend für die Auslandsnachfrage sind offene Grenzen und der Abbau bestehender Reiserestriktionen. Nach dem deutlichen Rückgang der Nachfrage in diesem Jahr wird davon ausgegangen, dass sich der Hotelmarkt in den Jahren 2021/22 langsam wieder erholen kann und an Fahrt aufnimmt, sodass mittelfristig wieder an das Niveau vor der Corona-Krise angeknüpft werden kann. Folgende Trends könnten sich in den nächsten fünf Jahren akzentuieren:

  • Mehr Logiernächte in der Parahotellerie: Vor allem Campingplätze werden eine erhöhte Nachfrage erfahren, gerade auch im europäischen Kontext. Entsprechend müssen hier die Kapazitäten geschaffen und neue Produkte entwickelt werden.
  • Zweitwohnungen werden wieder vermehrt nachgefragt: Nach der zwischenzeitlichen Stagnation infolge der Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative, wird die Kurve wieder stark nach oben zeigen. Dies kurbelt Sanierungen aber auch Ersatzneubauten an. Die Ferienwohnung bietet zudem einen ruhigen Arbeitsplatz an schnell erreichbaren Ferienorten – statt Homeoffice gibt es das «Holiday-Office».
  • Hotels finden sich neu, um mit der Situation umgehen zu können: Es entstehen ausgeklügelte und nachfrageorientierte, diversifizierte Angebote (Besprechungsräume, Arbeitszimmer, Take-Away etc.), welche Hotels wieder zu einem interessanten Produkt machen, wodurch auch die Nachfrage im Immobilienmarkt wieder steigen könnte.
  • Hotels werden vermehrt als Hybridinvestments konzipiert: Der Hotelbetreiber stellt nur die Infrastruktur und Betrieb, die Zimmer werden im Stockwerkeigentum durch Privatpersonen finanziert, welche diese auch als Ferienwohnung nutzen. Damit entstehen finanziell nachhaltigere Institutionen.
  • AirBnB könnte an Wichtigkeit verlieren: Viele Vermieter könnten sich von einer Vermietung abwenden, da die dem Zeitgeist entsprechenden Hygienebedürfnisse nur mit grösseren Aufwendungen erfüllt werden können. Falls der Städtetourismus nachhaltig zu grosse Schaden erleidet, fehlt zudem ein wichtiges Marktsegment.

Weitere Informationen

Am 26. Juni 2020 haben wir eine Online-Diskussion mit Prof. Thomas Bieger (Universität St. Gallen), Michel Wichmann (Hotel Spitzhorn Gstaad) und Andrea Bernhard (Wüest Partner) durchgeführt. Die Aufzeichnung finden Sie auf dem Wüest Webcast.

Daneben sind Ines von der Ohe und Robert Weinert auf weitere Fragestellungen zur Lage des Schweizer Tourismus eingegangen. Den kompakten Beitrag finden Sie ebenfalls auf www.wuestwebcast.com.