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Schweizer Tourismus im Zeitalter von Covid-19

Letzte Aktualisierung: 22. April 2025

Am 16. März 2020 wurde vom Bundesrat die «ausser­or­dent­liche Lage» gemäss Epide­mien­gesetz erklärt. Als Folge der Massnahmen schlossen zahlreiche Einrich­tungen des Schweizer Tourismus ihre Türen, ohne dazu gezwungen zu sein. In einer schweiz­weiten Umfrage vom Walliser Tourismus Obser­va­torium (tourobs) und vom Institut für Tourismus der Fachhoch­schule Westschweiz (hes-so) gab rund die Hälfte der befragten Hotel­be­triebe im April 2020 an, ganz geschlossen zu haben. Ein weiteres Fünftel der befragten Betriebe war teilweise geschlossen und 10% lediglich mit reduziertem Personal geöffnet. Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) lagen die Übernach­tungen in den Schweizer Hotels im Monat April um 90 Prozent tiefer als im Vorjahr. Das Hotel- und Gastge­werbe ist damit eine der von der Corona-Pandemie am stärksten betrof­fenen Branchen.

Schweizer Tourismus: Verän­derte Anteile der Herkunfts­länder

Mittler­weile haben die meisten Hotels wieder geöffnet. Um Gäste empfangen zu können, müssen die geöff­neten Hotel­be­triebe jedoch nachrüsten: Neben den bereits geltenden gesetz­lichen Hygiene- und Schutz­richt­linien wurde ein umfas­sendes Schutz­konzept erarbeitet, welches für alle Hotel­be­triebe gilt. Daraus resul­tiert in vielen touris­ti­schen Betrieben eine tiefere Kapazität. Insgesamt sank die kumulierte Anzahl Logier­nächte (jeweils Januar bis Mai) um 41% gegenüber dem Fünfjah­res­schnitt, von 1.43 Millionen Logier­nächten auf 0.84 Millionen. Auch bei der Verteilung der Logier­nächte gibt es aufgrund der Einrei­se­verbote grosse Verschie­bungen. Während Schweizer Gäste im Schnitt der Jahre 2015 bis 2019 von Januar bis Mai nur 41% aller Übernach­tungen ausmachten, waren es in diesem Jahr 86%. Die übrigen Gäste stammen vorwiegend aus Europa mit Deutschland (4%), Italien (2%) und Frank­reich (2%). In den vergan­genen Jahren war vor allem die Stadt­ho­tel­lerie von ausser­eu­ro­päi­schen Gästen geprägt (52% der Gäste), während die Hotel­lerie in den Bergen überwiegend von Schweizern genutzt wurde.

Grafik Logiernächte

Reise­ver­halten der Schweizer Bevöl­kerung

Gemäss BFS führten 2019 rund 67% aller Reisen von Schweizern ins Ausland, vorwiegend für Ferien. Belieb­teste Desti­na­tionen sind hierbei die direkten Nachbar­länder Deutschland (13% aller Reisen), gefolgt von Italien (12%) und Frank­reich (10%). Nur gerade 7% aller Reisen führten in Länder ausserhalb Europas. Durch die Grenz­öff­nungen sind Reisen innerhalb Europas wieder möglich und es ist davon auszu­gehen, dass dies möglichst erhalten wird im Sinne des europäi­schen Zusam­men­halts.

Nichts­des­to­trotz ist die Schweizer Bevöl­kerung in ihrem Reise­ver­halten (noch) gehemmt: Gemäss einer Mitte Mai durch­ge­führten Umfrage der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissen­schaften (ZHAW) ist die grösste Angst der Schweizer Bevöl­kerung, in der Ferien­region in Quarantäne zu müssen oder die Rückreise nicht mehr antreten zu können. Dies dürfte Auslands­reisen kurzfristig hemmen. Länger­fristig ziehen weitere Wolken am «Ferien­himmel» auf. Die drohenden Mindest­flug­preise und Abgaben im Zusam­menhang mit der Klima­de­batte und mit der finan­zi­ellen Rettung von Airlines werden auch im europäi­schen Kontext das Reise­ver­halten beein­flussen. In Öster­reich stehen diese vor der Einführung und auch in der Schweiz wird im Parlament darüber disku­tiert. Gerade im europäi­schen Kontext könnten Billig­flüge ins Stocken geraten und das Reise­ver­halten nachhaltig verändern. In diesem Zusam­menhang ist auch (kurzfristig) die reduzierte Kaufkraft zu beachten. Gemäss Umfrage von sotomo liegt das Haushalts­ein­kommen aktuell, bedingt durch Massnahmen der Kurzzeit­arbeit, im Durch­schnitt rund 10% tiefer des normalen Einkommens gegenüber den Vorkri­sen­mo­naten. Die Wirtschafts­krise wird damit spürbarer, was auch direkte Auswir­kungen auf die Ferien­planung hat, da Reisen nicht zu den Grund­be­dürf­nissen zählt. Dennoch werden Ferien im Gegensatz zu anderen Konsum­gütern nachgeholt.

Suche nach Erleb­nissen im Inland

Aufgrund der Erkennt­nisse kann die These aufge­stellt werden, dass Frau und Herr Schweizer vorerst vermehrt ihre Ferien in der Schweiz verbringen werden. Da knapp 85% der Einwohner in Städten und deren Agglo­me­ra­tionen lebt (40% davon in den fünf Schweizer Gross­städten Zürich, Genf, Basel, Bern und Lausanne), kann damit gerechnet werden, dass für die Abwechslung vor allem ländli­chere Gebiete aufge­sucht werden. Dieser Trend ist bereits aktuell den Statis­tiken der vergan­genen Jahre zu entnehmen, wo Schweizer den Grossteil der Touristen ausserhalb der Städte ausmachen.

Für die zusätz­liche Akzen­tu­ierung dieses Trends können zwei Haupt­treiber ausge­macht werden: Einer davon ist Social Media. Jeder Schritt wird dokumen­tiert und auf der Suche nach dem «most insta­grammable» Spot zieht es die junge Bevöl­kerung in die Natur. Ein Beispiel hierfür ist der Alpstein, der während des Lockdowns einen regel­rechten Ansturm erfuhr. Ein weiterer Treiber ist die Vorsicht vor grösseren Menschen­an­samm­lungen, die vorwiegend in Gross­städten gefunden werden. Aktuell sind die Sommer­fe­ri­en­pläne vor allem auf die Schweiz beschränkt. Beliebte Desti­na­tionen sind gemäss Umfrage von sotomo die eher ländlichen Kantone Graubünden, Wallis, Tessin und Bern.

Grafik Ferienart
Grafik Ferienort

In Anbetracht der reduzierten Kaufkraft könnte ein weiterer Trend der vergan­genen Jahre starken Auftrieb erhalten: Die Paraho­tel­lerie (Jugend­her­bergen, Ferien­woh­nungen, Camping­plätze) hat gemäss BFS im Jahr 2019 um 0.7% zugelegt, wobei der Anteil bei Schweizer Touristen um 2.4% anstieg und der Anteil der auslän­di­schen Touristen sank. Inter­es­san­ter­weise sind vor allem die Anzahl Übernach­tungen in Jugend­her­bergen (+4.0%) und auf Camping­plätzen (+5.0%) gestiegen, während die Übernach­tungen in Ferien­woh­nungen sanken (-3.6%). Gerade bei den Camping­plätzen stieg die Anzahl der Übernach­tungen durch Schweizer besonders stark (+5.7%). In Deutschland konnte zudem eine erhöhte Neuzu­las­sungszahl an Wohnmo­bilen beobachtet werden (+15.9% im Mai ggü. Vorjahr). Ein Trend, der angesichts der Vorzüge bezüglich Sicherheit und Flexi­bi­lität des Reisens auch in der Schweiz aufkommen dürfte.

Auswir­kungen auf den Immobi­li­en­markt?

Wie sich die Ausgangslage für die Schweizer Hotel­lerie mittel­fristig gestalten wird, hängt massgeblich davon ab, wie erfolg­reich die Pandemie nachhaltig einge­dämmt werden kann. Denn entscheidend für die Auslands­nach­frage sind offene Grenzen und der Abbau bestehender Reise­re­strik­tionen. Nach dem deutlichen Rückgang der Nachfrage in diesem Jahr wird davon ausge­gangen, dass sich der Hotel­markt in den Jahren 2021/22 langsam wieder erholen kann und an Fahrt aufnimmt, sodass mittel­fristig wieder an das Niveau vor der Corona-Krise angeknüpft werden kann. Folgende Trends könnten sich in den nächsten fünf Jahren akzen­tu­ieren:

  • Mehr Logier­nächte in der Paraho­tel­lerie: Vor allem Camping­plätze werden eine erhöhte Nachfrage erfahren, gerade auch im europäi­schen Kontext. Entspre­chend müssen hier die Kapazi­täten geschaffen und neue Produkte entwi­ckelt werden.
  • Zweit­woh­nungen werden wieder vermehrt nachge­fragt: Nach der zwischen­zeit­lichen Stagnation infolge der Umsetzung der Zweit­woh­nungs­in­itiative, wird die Kurve wieder stark nach oben zeigen. Dies kurbelt Sanie­rungen aber auch Ersatz­neu­bauten an. Die Ferien­wohnung bietet zudem einen ruhigen Arbeits­platz an schnell erreich­baren Ferien­orten – statt Homeoffice gibt es das «Holiday-Office».
  • Hotels finden sich neu, um mit der Situation umgehen zu können: Es entstehen ausge­klü­gelte und nachfra­ge­ori­en­tierte, diver­si­fi­zierte Angebote (Bespre­chungs­räume, Arbeits­zimmer, Take-Away etc.), welche Hotels wieder zu einem inter­es­santen Produkt machen, wodurch auch die Nachfrage im Immobi­li­en­markt wieder steigen könnte.
  • Hotels werden vermehrt als Hybrid­in­vest­ments konzi­piert: Der Hotel­be­treiber stellt nur die Infra­struktur und Betrieb, die Zimmer werden im Stock­werk­ei­gentum durch Privat­per­sonen finan­ziert, welche diese auch als Ferien­wohnung nutzen. Damit entstehen finan­ziell nachhal­tigere Insti­tu­tionen.
  • AirBnB könnte an Wichtigkeit verlieren: Viele Vermieter könnten sich von einer Vermietung abwenden, da die dem Zeitgeist entspre­chenden Hygie­ne­be­dürf­nisse nur mit grösseren Aufwen­dungen erfüllt werden können. Falls der Städte­tou­rismus nachhaltig zu grosse Schaden erleidet, fehlt zudem ein wichtiges Markt­segment.

Weitere Infor­ma­tionen

Am 26. Juni 2020 haben wir eine Online-Diskussion mit Prof. Thomas Bieger (Univer­sität St. Gallen), Michel Wichmann (Hotel Spitzhorn Gstaad) und Andrea Bernhard (Wüest Partner) durch­ge­führt. Die Aufzeichnung finden Sie auf dem Wüest Webcast.

Daneben sind Ines von der Ohe und Robert Weinert auf weitere Frage­stel­lungen zur Lage des Schweizer Tourismus einge­gangen. Den kompakten Beitrag finden Sie ebenfalls auf www.wuestwebcast.com.