Weiter zum Ihnhalt

ESG-konforme Immobi­li­en­be­wertung – Status quo und Ausblick

Letzte Aktualisierung: 22. April 2025

Mit der Offen­le­gungs­ver­ordnung trat am 10. März die erste wichtige Etappe der europäi­schen ESG-Regulierung in Kraft. Damit werden nachhaltige Immobi­li­en­in­vest­ments konkret. Dreh- und Angel­punkt bei Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dungen ist die Werthal­tigkeit der Inves­tition. Doch wie wirken sich ESG-Aspekte auf die Bewertung aus und welche Konse­quenzen ergeben sich für Anleger aus dem ESG-Reporting von Einzel­ob­jekten und Portfolios? Rüdiger Hornung FRICS, Director bei Wüest Partner Deutschland, gibt einen Überblick zum Status quo und erläutert, warum Daten einen zentralen Bestandteil von ESG bilden.  

Grundlage für die Einführung der ESG-Verordnung ist das Pariser Klima­ab­kommen, das am 12. Dezember 2015 auf der UN-Klimakonferenz beschlossen wurde. Ziel des Abkommens ist es, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2,0 °C, möglichst auf 1,5 °C im Vergleich zum vorin­dus­tri­ellen Niveau zu begrenzen. Zur Errei­chung dieser Maßgabe ist es notwendig, die Treib­haus­gas­emis­sionen zunächst zwischen den Jahren 2045 und 2060 insgesamt auf null zu senken, und anschließend sogar Teile des emittierten CO2 aus der Erdat­mo­sphäre zu binden. 

In Europa mündete das Pariser Klima­ab­kommen in den EU-Aktionsplan für ein nachhal­tiges Finanz­wesen, der im März 2018 vorgelegt wurde. Dieser beinhaltet u.a. die Festlegung eines einheit­lichen EU-Klassifikationssystems (Taxonomie), in welchem der Begriff Nachhal­tigkeit definiert wird. Des Weiteren sieht er die Schaffung einer Kennzeichnung von grünen Finanz­pro­dukten auf der Grundlage dieses Klassi­fi­ka­ti­ons­systems vor sowie die Klärung der Pflicht von Vermö­gens­ver­waltern und insti­tu­tio­nellen Anlegern, Nachhal­tigkeit bei Inves­ti­ti­ons­ab­läufen zu berück­sich­tigen und Offen­le­gungs­vor­schriften zu imple­men­tieren. 

Auf Nachhal­tigkeit folgt ESG 

Auf der natio­nalen Ebene hat Deutschland bereits 2016 im Rahmen des Klima­schutz­plans 2050 das anspruchs­volle Langfristziel formu­liert, bis 2050 weitgehend klima­neutral werden zu wollen. 2018 wurde das Mittel­fristziel gesetzt, bis 2030 die Treib­haus­gas­emission um 38 Prozent zu reduzieren. Ausdrücklich einge­schlossen ist dabei auch der Gebäu­de­sektor. Die bishe­rigen regula­to­ri­schen Instru­mente zur Errei­chung dieses Ziel umfassen die seit 1977 regel­mäßig verschärften Energie­ge­setze, die seit der Einführung der Energie­ein­spar­ver­ordnung EnEv auch die Energie­er­zeugung berück­sich­tigen, sowie das Erneuerbare–Energien-Gesetze EEG. 

Die ESG-Verordnung der EU erweitert den bis dato vorherr­schenden Gedanken der Nachhal­tigkeit von der Ebene der einzelnen Immobilie hin zu einem nachhal­tigen Inves­tieren insgesamt. Somit rückt nicht mehr nur die Immobilie an sich, sondern auch der Investor in den Fokus und wird in die Pflicht genommen. Program­ma­tisch bleibt der Aspekt der ökolo­gi­schen Nachhal­tigkeit (E) größten­teils erhalten und fokus­siert die Reduzierung des CO2-Ausstoßes beim Bau und während des Betriebs einer Immobilie. Im Bereich Sozial­ver­träg­lichkeit (S) geht der Bedeu­tungs­ho­rizont von ESG über den bisher betrach­teten Aspekt des Wohlbe­findens der Nutze­rinnen und Nutzer hinaus und schließt Themen wie Gleich­be­rech­tigung, Inklusion und die Einhaltung von Menschen­rechten ein. Die wirtschaft­liche Nachhal­tigkeit, die sich bisher vornehmlich auf Lebens­zy­klus­kosten konzen­trierte, wird durch einen Governance-Begriff (G) abgelöst, der Manage­ment­struk­turen, Mitar­bei­ter­be­zie­hungen bis hin zur Vergü­tungs­re­gelung für Mitar­beiter und Vorstände umfasst. 

Globale Ziele <Nachhaltigkeit data-lazy-src=

Status Quo 

Am 10. März 2021 trat der erste Teil der Offen­le­gungs­ver­ordnung in Kraft. Grund­sätzlich müssen ab diesem Zeitpunkt in Verkaufs­pro­spekten, Jahres­be­richten und auf den Homepages der KVGen Angaben zur Nachhal­tigkeit von Inves­ti­ti­ons­pro­dukten gemacht werden, u.a. auch bei Immobi­li­en­an­lagen. 

Eine Konkre­ti­sierung der Ausfüh­rungs­be­stim­mungen (Level‑2) steht noch aus und es wird erwartet, dass diese auch erst Ende 2021 zur Anwendung kommen müssen. Gleiches gilt für die Details zur Taxono­mie­ver­ordnung, welche Nachhal­tigkeit im Sinne der ESG–Kriterien messbar machen soll und dazu vor allem quali­tative Ziele enthalten wird, auf die ein Fonds oder eine Inves­tition hinwirken soll. Zu den Zielen gehören unter anderem die Eindämmung des Klima­wandels, die nachhaltige Nutzung und der Schutz von Wasser und Meeres­res­sourcen, die Umstellung auf eine Kreis­lauf­wirt­schaft (Cradle-to-Cradle) sowie die Verbes­serung von Menschen- und Arbeit­neh­mer­rechten. 

Eine technische Exper­ten­gruppe ist damit betraut, messbare Kriterien für den Immobi­li­en­be­reich aufzu­stellen. Die Vorgaben betreffen dabei die Gebiete Bau, Umbau und Sanierung, Einzel­maß­nahmen und Dienst­leis­tungen sowie Erwerb und Halte­dauer. Sie sollen zum Jahres­start 2022 in Kraft treten. 

ESG und Nachhal­tigkeit in der Immobi­li­en­be­wertung 

Wie schlagen sich ESG-Ratings konkret auf den Wert einer Immobilie nieder? Vorneweg: Die Aller­welts­formel, nach dem Motto, „eine nachhaltige Immobilie ist X Prozent mehr wert als eine nicht nachhaltige Immobilie“, gibt es nicht und wird es so bald auch nicht geben.  

Grund­sätzlich ist festzu­stellen, dass der Mehrwert von ESG– oder Nachhal­tig­keits­kri­terien sich in zwei Dimen­sionen nieder­schlagen kann. Einer­seits in der Immobi­li­en­qua­lität an sich – dem verwen­deten Material, der Lage, der Konzeption, Resilienz und Flexi­bi­lität. Dies kann sich in guter Nutzbarkeit, geringen Betriebs­kosten und einer langen Restnut­zungs­dauer nieder­schlagen und somit den Wert der Immobilie erhöhen, unabhängig von einem Rating oder einer Zerti­fi­zierung. Auf der anderen Seite beein­flusst auch die Trans­parenz, die ein Zerti­fikat oder ein Rating den Markt­teil­nehmen bietet, den Marktwert. Der Einfluss von Nachhal­tigkeit kann aufgrund des aktuell geringen Angebots hierbei zunächst in einem hohen Preis­auf­schlag liegen, welcher sich, sobald sich die Anzahl nachweislich nachhal­tiger Immobilien auf dem Markt erhöht, verringern und zuletzt in einen Wertab­schlag für nicht nachhaltige Immobilien umschlagen könnte. Ein gutes Abschneiden im ESG-Rating in Kombi­nation mit einem anerkannten Nachweis wäre zu diesem Zeitpunkt zum Standard geworden. 

Text, Number, Symbol

Daten sind der Schlüssel 

Aus der Bewer­ter­per­spektive ist die Daten­grundlage immer von größter Wichtigkeit bei der Wertermittlung. Hier benötigt es Standards, um die Vergleich­barkeit zu gewähr­leisten, sowie Techno­logie, um die entste­henden Daten­mengen noch überblicken und auswerten zu können. Die klassi­schen BREEAM‑, LEED- oder DGNB-Nachhaltigkeits-Zertifikate haben bereits hervor­ra­gende Vorarbeit in Bezug auf die Definition und Messbarkeit der Kriterien geleistet. Liegen derartige Unter­su­chungen vor, deuten diese zwar auf einen ökolo­gi­schen Anspruch hin, jedoch ist das Vorliegen einer Zerti­fi­zierung oder eines Ratings allein für eine Bewertung kaum eine belastbare Größe. Vielmehr ist die Frage „Was wurde wann zerti­fi­ziert und vor allem mit welchem Ergebnis?“ entscheidend. Der Bewerter benötigt deshalb so viele gebäude- und lagespe­zi­fische Infor­ma­tionen wie möglich, zum Beispiel den CO2-Ausstoß oder die Infra­struktur, um eine Einschätzung der Wertaus­wirkung vornehmen zu können, die zu dem Zerti­fi­zie­rungs­er­gebnis geführt hat. Erst dies ermög­licht es dem Gutachter die einzelnen Quali­täts­kri­terien für das spezi­fische Objekt in den vielfäl­tigen Bewer­tungs­pa­ra­metern zu berück­sich­tigen. 

Deshalb stellt der Aufbau eines standar­di­sierten Daten­ge­rüstes die Grundlage für ein aussa­ge­kräf­tiges ESG-Reporting ebenso wie eine Immobi­li­en­be­wertung dar. Relevante Infor­ma­tionen müssen gesammelt, fortlaufend ergänzt und struk­tu­riert in einer Datenbank gespei­chert werden, um eine effiziente Auswertung für das Reporting und die Bewertung möglich zu machen. Der Aufbau eines Infor­ma­ti­ons­systems für ein Nachhal­tig­keits­re­porting kann bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen, wobei digitale Tools den Prozess verein­fachen, indem z.B. bestimmte Parameter bei jeder Immobi­li­en­be­gehung via App auf dem Smart­phone in die Datenbank einge­spielt werden. Fehler beim Übertragen von Proto­kollen werden so vermieden und die Daten stehen unmit­telbar zur Verfügung. 

Im Vortrag “ESG – Ohne Daten kein Rating” geht Rüdiger Hornung auf Praxis­bei­spiele für eine effiziente Daten­er­fassung im Zuge des ESG-Reportings ein und erläutert unter anderem wie der CO2-Ausstoß von Gebäuden berechnet werden kann.

ESG-Rating 

Wüest Partner führt auf der EU-Taxonomie basie­rende ESG-Ratings durch, die auf zehn Indika­toren und 32 Sub-Indikatoren beruhen. Mit zwölf Sub-Indikatoren entfällt der größte Anteil auf den Umwelt-Bereich. Zu den Parametern zählen unter anderem der Primär­ener­gie­bedarf im Betrieb, das Abfall­ma­nagement, die bauliche Verdichtung und die Effizienz der techni­schen Anlagen. 

Der Sozial-Bereich im ESG-Rating umfasst zehn Subin­di­ka­toren, zu denen u.a. die Anbindung an den ÖPNV, die Belastung durch Schad­stoff­im­mis­sionen im Umfeld und in den Innen­räumen, die Qualität der Innen- und Außen­räume sowie der Schall­schutz und die Belich­tungs­si­tua­tionen gehören. 

Zu guter Letzt beinhaltet das Rating zehn Sub-Indikatoren, die den Governance-Aspekt von Nachhal­tigkeit aufnehmen. Dazu zählen neben dem klassi­schen Indikator der Lebens­zy­klus­kosten auch die Frage­stel­lungen, inwieweit Innova­tionen gefördert werden, wie ausge­prägt das Stake­holder Engagement innerhalb des Unter­nehmens ist und ob sich der Planungs­prozess trans­parent und parti­zi­pativ unter Einbe­ziehung der Bevöl­kerung vollzogen hat. 

Mit Ausnahme der Governance–Aspekte fällt auf, dass die meisten Kriterien von je her im Zuge einer Immobi­li­en­be­wertung aufge­nommen und in der Wertermittlung berück­sichtigt wurden. Daher bietet es sich geradezu an, wähernd einer Immobi­li­en­be­sich­tigung für ein Wertgut­achten auch weitere ESG Kriterien aufzu­nehmen und auszu­werten.  

Messbarkeit des CO2-Ausstoßes für Einzel­ob­jekte und Portfolios 

Dem „E“ in ESG, also den ökolo­gi­schen Faktoren, wird in Bezug auf das Langfristziel Klima­neu­tra­lität bis 2050 der größte Effekt einge­räumt. Die Reduzierung des CO2-Ausstoßes durch geeignete Schritte wie eine energe­tische Gebäu­de­sa­nierung ist deshalb eine der erfolg­ver­spre­chendsten Maßnahmen in der Immobi­li­en­wirt­schaft. Doch wie misst man den Ausstoß eines Gebäudes, geschweige denn eines ganzen Portfolios, um durch einen Vorher-Nachher-Vergleich den tatsäch­lichen Erfolg bewerten zu können? In puncto effizi­enter Berech­nungs­mo­delle steht die Branche noch am Beginn.  

Mit „Wüest Climate“ nutzt Wüest Partner bereits ein eigens entwi­ckeltes Tool, das komplexe Kriterien in die Kalku­lation des ökolo­gi­schen Fußab­drucks einer Immobilie einbe­zieht. Es ermög­licht Inves­toren und Bestands­haltern den wichtigen CO2-Kennwert im Blick zu behalten, Szenarien kohlen­stoff­re­du­zie­render Maßnahmen auf ihre Effizienz hin zu prüfen und Entwick­lungs­pfade von Einzel­ob­jekten oder Portfolios gleicher­maßen nachzu­zeichnen. 

Vergleich­barkeit und Zerti­fi­zierung 

Im Zuge der Einführung der ESG-Kriterien wird sich der Infor­ma­ti­ons­bedarf weiter erhöhen. Gleich­zeitig schiebt sich die Frage nach der Daten­qua­lität und ‑integrität in den Vorder­grund. Wer verifi­ziert die Daten und stellt sicher, dass sie korrekt sind?  

Hier sollte über die Einführung einer neutralen Zerti­fi­zie­rungs­stelle nachge­dacht werden, die die Nachweise der in ein ESG-Rating einge­brachten Infor­ma­tionen prüft und die Qualität der Ergeb­nisse gewähr­leistet. So bliebe der Immobi­li­en­branche hoffentlich ein unrühm­licher Volkswagen-Moment erspart.