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Immer mehr Hitzetage: Neuer Index von Wüest Partner zeigt, wo es sich in Deutschland weiter gut leben lässt

11. Oktober 2023

City, Architecture, Building

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo im Fernsehen oder im Internet zum aktuellen Wetterbericht ein Hinweis auf den Klimawandel hinzugefügt wird. Das ist im Winter so, wenn es wärmer ist als im Mittel der Wintermonate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881, aber vor allem im Sommer. Dann läuft das Zählwerk der Hitzetage.

An Hitzetagen werden Tageshöchsttemperaturen von mindestens 30 Grad Celsius erreicht. Nach Zahlen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) wurden hierzulande in den Jahren 1991 bis 2020 je nach Region im Durchschnitt bis zu 22 solcher Hitzetage gezählt. Im Schnitt wurden in Deutschland knapp neun solcher Tage erreicht. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es im nordbadischen Waghäusel-Kirrlach sogar 50 Hitzetage. In diesem Jahr wurden dort bislang mehr als 30 solcher besonders warmen Tage registriert.

Seit bald drei Jahrzehnten sind die Sommer zu warm

„Seit nun 27 Jahren werden in Deutschland zu warme Sommer gemessen“, erklärte DWD-Sprecher Uwe Kirsche Ende August die Sommerbilanz des nationalen Wetterdienstes. „Wieder können wir den Klimawandel live erleben.“ Grundlage solcher Einschätzungen sind die Ergebnisse von rund 2.000 Wettermessstationen, die der DWD in Deutschland betreibt. Als Referenzperiode werden bei solchen Einschätzungen nach internationaler Übereinkunft die Jahre 1961 bis 1990 herangezogen. Das heißt, in jedem Sommer der vergangenen 27 Jahre war es hierzulande wärmer als im Mittel der Sommermonate in den Jahren 1961 bis 1990. Wenn die Prognosen der meisten Klimaforscher stimmen, wird die Durchschnittstemperatur auf der Erde weiter steigen; die Zahl, Dauer und Intensität lokaler Hitzewellen werden zunehmen. Das kann insbesondere für vulnerable Bevölkerungsgruppen gefährlich werden, die solche Hitzeperioden schlimmstenfalls nicht überstehen. Was aber tun, wenn man einer solchen Gruppe angehört, also zum Beispiel im Seniorenalter ist oder an einer schwereren Krankheit leidet? Wegen der zunehmenden Erwärmung in kühlere Regionen umziehen? Leichter gesagt als getan.

Wüest Partner entwickelt den Urban Heat Vulnerability Index

Wüest Partner entwickelt den Urban Heat Vulnerability Index
Vulnerability Heat Index für die Siedlungsflächen in Deutschland

Das Beratungsunternehmen Wüest Partner hat die zunehmende Zahl von Hitzetagen in Deutschland zum Anlass genommen, den Urban Heat Vulnerability Index zu entwickeln. Der Index zeigt, wo in Deutschland die, wie Wüest Partner sie nennt, „Risikoräume von Hitze für vulnerable Bevölkerungsgruppen“ sind. Um das herauszufinden, haben die Analysten in einem sehr kleinteiligen Raster von 100 m mal 100 m großen Quadraten einen Indexwert zwischen null und eins errechnet, der für jede Zelle die relative Hitzegefährdung innerhalb der Siedlungsflächen Deutschlands abbildet. Auf diese Weise kann auf einer deutschlandweit einheitlichen Skala analysiert werden, ob ein Standort im deutschlandweiten Vergleich potenziell eher stärker oder schwächer gefährdend ist.

Hierzu wurde eine Fülle von Daten herangezogen. Zahlen zu Bevölkerungsstruktur und -dichte sowie Daten zum Abstand von Wohngebieten zu kühlenden Wasserflächen lieferte das Institut für angewandte Sozialwissenschaft (Infas). Daten über die Größe und Verteilung versiegelter Flächen sowie zur Dichte des Baumbestands kamen vom europäischen Erdbeobachtungsprogramm Copernicus. Der Deutsche Wetterdienst stellte seine Erkenntnisse zur Zahl der im 30-jährigen Mittel der Jahre 1991 bis 2020 (Klimaperiode) festgestellten Hitzetage in Deutschland zur Verfügung. Von der schweizerischen Senozon AG bezog Wüest Partner Informationen zur Passantenfrequenz – also darüber, wo sich die Menschen in Deutschland konkret aufhalten, wenn sie unterwegs sind.

Für den Index gewichteten die Analysten von Wüest Partner die einzelnen Faktoren je nach ihrer Bedeutung für die Gefährdung vulnerabler Gruppen. In den deutschlandweiten Index flossen unter anderem diese Aspekte ein (Reihenfolge nach Gewichtung; höchste Gewichtung zuerst): Versiegelungsgrad, Hitzetageverteilung (30-jähriges Mittel aus den Jahren 1991-2020), Baumdichte, Passantenfrequenz, Anteil der über 65-Jährigen, Anteil der unter 14-Jährigen (darunter die vulnerable Gruppe der Kleinkinder), Distanz zum Wasser.

Die meisten Regionen Deutschlands sind hinsichtlich der Hitze unbedenklich

Unterm Strich ergibt die Analyse zunächst eine gute Nachricht. Auf der deutschlandweiten Indexkarte, die die Verteilung der Hitzegefährdung zeigt, sind nur wenige großflächige Regionen als Räume mit hoher Gefahr für vulnerable Gruppen ausgewiesen. Sie sind entsprechend rot markiert. Aus der Vogelperspektive fällt auf, dass besonders warme und dichtbevölkerte Regionen im Rhein-Ruhrgebiet, im Raum Rhein-Main, entlang des Oberrheins (vor allem Rhein-Neckar) und in weiteren Ballungsräumen wie Berlin, München, Nürnberg oder Stuttgart das höchste Gefahrenpotenzial aufweisen. Im Umkehrschluss heißt das: Die allermeisten Regionen Deutschlands stellen für vulnerable Bevölkerungsgruppen mit Blick auf die zunehmende Zahl von Hitzetagen eher keine Gefahr dar. Die Deutschlandkarte ist in weiten Teilen also blau, grün und gelb eingefärbt. Das bedeutet, dort gibt es keine, eine geringe oder höchstens eine mittlere Gefährdung für vulnerable Gruppen.

Zu den guten Nachrichten gehört auch: Innerhalb von großen Städten gibt es in der Regel Stadtteile, die deutlich weniger von Hitzewellen heimgesucht werden als andere. Meist sind die stark flächenversiegelten Stadtzentren besonders stark von Hitze betroffen, während in den Außenbezirken, in der Nähe von Wald, landwirtschaftlich genutzten Flächen, Schrebergärten oder Gewässern deutlich weniger Gefährdungspotenzial ermittelt wurde.

Die weniger gute Nachricht lautet: Es sind nicht nur die Metropolen wie Berlin oder München, die zunehmend mit Hitze zu kämpfen haben. Je nach Region können auch kleinere Kommunen betroffen sein. Beispiel Ihringen am Kaiserstuhl: Die Gemeinde zählt zwar nur rund 6.000 Einwohner, aber mit einer Jahresmitteltemperatur von knapp 12°C ist Ihringen einer der wärmsten Orte Deutschlands. Obwohl es sich um eine eher kleine Kommune handelt, wird Ihringen in dem Index als potenziell gefährdender Ort identifiziert.

Höchste Gefährdungen in Ludwigshafen, Mannheim und Speyer

Die Kommunen mit dem höchsten Mittelwert des Urban Heat Vulnerability Indexes, also mit der höchsten Gefährdung für vulnerable Gruppen, sind nach der Analyse Ludwigshafen am Rhein, Mannheim und Speyer. Hier trifft ein hoher Versiegelungsgrad auf hohe Passantenfrequenzen, ein hohes Aufkommen gefährdeter Personengruppen, eine hohe Anzahl von Hitzetagen sowie eine geringe Baumbedeckungsdichte und (trotz des Rheins) wenige kühlende Wasserflächen. Auf den Rängen vier bis zehn folgen: Mainz, Frankfurt am Main, Frankenthal (Pfalz), Karlsruhe, Regensburg, Offenbach und München.

Höchste Gefährdungen in Ludwigshafen, Mannheim und Speyer
Die Hitzekarte für die Stadt Frankfurt und den Umkreis

Auf der anderen Seite sind die Mittelwerte des Urban Heat Vulnerability Indexes nirgends so gering wie in den Landkreisen Oberallgäu, Garmisch-Partenkirchen und Schleswig-Flensburg. Dort trifft ein vergleichsweise geringer Versiegelungsgrad auf eher geringe Passantenfrequenzen, ein geringes Aufkommen gefährdeter Personengruppen, eine niedrige Anzahl von Hitzetagen sowie viel Baumbestand und größere kühlende Wasserflächen. Auf den Plätzen vier bis zehn folgen die Landkreise Freyung-Grafenau (Niederbayern), Miesbach, Nordfriesland, Vorpommern-Rügen, Regen (Niederbayern), Vulkaneifel und Plön (Schleswig-Holstein).

Berlin und München: Großes Gefährdungsgefälle zwischen City und Stadtrand

Berlin und München: Großes Gefährdungsgefälle zwischen City und Stadtrand

Ein genauerer Blick auf die generell als gefährdend eingestuften Metropolen Berlin und München zeigt, dass sich in der Hauptstadt die Zonen, die für vulnerable Gruppen auf Dauer problematisch werden könnten, auf die zentralen Stadtbezirke konzentrieren. Ausnahmen sind zum Beispiel Lagen direkt am Tiergarten. Jenseits der zentralen Stadtbezirke weist die indexierte Berlinkarte vor allem im Westen (Grunewald/Havel, Tegeler Forst/Tegeler See), Norden (Frohnau/Blankenfelde) und Osten (Friedrichshagen, Großer Müggelsee, Wernsdorfer See) große Gebiete ohne nennenswerte Gefährdungslage aus. Ganz ähnlich stellt sich das Bild in München dar. Die Lagen mit hoher Gefährdung befinden sich im Stadtzentrum sowie nach außen ausfransend Richtung Milbertshofen, Neuperlach und Sendling. Demgegenüber sind vor allem Standorte am Englischen Garten, im äußersten Nordosten und Südosten sowie im Westen (Freiham, Aubing, Lochhausen) ohne nennenswerte Gefährdung durch Hitze.  

Generell befinden sich die Regionen mit der geringsten Belastung für vulnerable Gruppen durch Hitze an den Küsten von Nord- und Ostsee, in den Mittelgebirgen vom Harz über den Thüringer Wald bis zum Schwarzwald sowie in den Alpen und im Alpenvorland. Aber auch in vergleichsweise dünn besiedelten und vor allem landwirtschaftlich geprägten Gegenden etwa in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen signalisiert die Indexkarte Entspannung. Keine rot eingefärbten Hitzehotspots, sondern viel Grün und blasses Gelb. Das bedeutet: geringe Gefährdung durch Hitze.   

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