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Disconnect zwischen Schweizer Immobi­li­en­aktien und Realwerten

Letzte Aktualisierung: 12. Mai 2025

Die Wertent­wicklung von direkten und indirekten Immobi­li­en­an­lagen klaffte im Jahr 2022 weit ausein­ander. Für Anteilseigner:innen von Immobi­li­en­ak­ti­en­ge­sell­schaften und Immobi­li­en­fonds war es ein schwie­riges Jahr. Sie hatten deutliche Kursver­luste zu verkraften. Der WUPIX‑F, ein Schweizer Index kotierter Immobi­li­en­fonds mit Fokus Wohnen, verlor 2022 15.5% seines Wertes. Während also die Werte von Betei­li­gungen im öffent­lichen Markt gelitten haben,  hielten sich Markt­werte der privat gehal­tenen Immobilien einiger­massen stabil. Die Preise von direkten Anlagen in Wohnim­mo­bilien legten bis im dritten Quartal 2022 sogar um 3.6% zu (siehe Abbildung 1). Bei den Geschäfts­lie­gen­schaften zeigt sich das gleiche Muster, wenn auch etwas weniger stark ausge­prägt. In der Folge schmolzen die Agios der kotierten Immobi­li­en­an­lagen – Differenz zwischen dem an der Börse gehan­delten Wert und dem zugrun­de­lie­genden Immobi­li­enwert – dahin, wobei der Return der direkten Anlagen als Proxy für die Entwicklung der Netto­in­ven­tar­werte gilt.

Chart, First Aid, Bar Chart

Wie kann es sein, dass die Entwicklung von direkten und indirekten Immobilien Anlagen so unter­schiedlich ausfällt, wenn sie doch auf demselben funda­men­talen Asset beruhen? 

Entwicklung 2002 bis 2021
Dazu schauen wir uns folgende Daten für die Jahre 2002 bis 2021 an: 

  • Direkt­an­lagen: Total Return bestehend aus Bewer­tungs­ver­än­derung und Cashflow basierend auf MSCI Daten für alle Nutzungen.
  • Indirekte Anlagen: Total Return bestehend aus Börsen­wert­ver­än­derung und Dividende basierend auf Wüest Partner Daten zu kotierten
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Abbildung 2 zeigt, dass der aktuell beobachtete Disconnect zwischen direkten und indirekten Immobi­li­en­werten keine Ausnahme ist, sondern bei allen Aktien­markt­ein­brüchen der letzten 20 Jahre aufge­treten ist. Ausserdem ist der Total Return der Direkt­an­lagen nicht nur träge gegenüber negativen sondern auch gegenüber positiven Markt­ab­wei­chungen. Somit scheint eine gewisse Syste­matik dahin­ter­zu­stecken. 

Es gibt zahlreiche Gründe, weshalb die Entwicklung von Börsen­werten und Inven­tar­werten von Immobilien vonein­ander abweichen können. In diesem Blog gehen wir auf einige davon näher ein.

1) Volati­lität 

Kotierte Immobi­li­en­an­lagen reagieren stärker und schneller auf Markt­ent­wick­lungen als Direkt­an­lagen. Das zeigt sich an der Volati­lität des Total Return, der bei indirekten Immobi­li­en­an­lagen deutlich höher ist als bei Direkt­an­lagen (siehe Abbildung 2). Wesent­licher Effekt für die geringe Volati­lität von direkten Immobi­li­en­an­lagen ist die hohe Autokor­re­lation, der nachfol­gende Wert liegt typischer­weise nahe am voran­ge­henden Wert, was sich aus der gutach­ter­lichen Bewertung sowie der geringen Bewer­tungs­fre­quenz ergibt. Diese führt zu einer Glättung der Wertent­wicklung.

Empirische Analysen von Morawski, Rehkugler und Füss (2008) für die Verei­nigten Staaten und Gross­bri­tannien zeigen, dass öffentlich gehan­delte Immobi­li­en­aktien hohe Ähnlich­keiten mit dem allge­meinen Aktien­markt aufweisen. Kurzfristige Renditen von Immobi­li­en­aktien bewegen sich im Gleich­schritt mit der allge­meinen Aktien­markt­be­we­gungen, die oft auf die progno­sen­ori­en­tierte Stimmung der Anleger zurück­zu­führen sind. Abbildung 3 bestätigt diese Beobachtung auch für die Schweiz. Die Korre­lation im jährlichen Total Return zwischen den kotierten Immobi­li­en­werten und dem Swiss-Performance-Index (SPI) betrug über den Zeitraum 1997–2022 beinahe 0.5.

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2) Speku­lation

Einige Akademiker:innen argumen­tieren, dass Börsen­kurse in der neueren Geschichte von speku­la­tiven Blasen dominiert werden und nur noch wenig mit Dividen­den­er­war­tungen zu tun haben.[1] Inves­toren handeln zukunfts­ori­en­tiert, sie basieren ihre Kauf-/Verkaufsentscheide auf ihrer subjek­tiven Einschätzung der zukünf­tigen Markt­ent­wicklung. Es ist plausibel, dass an den Finanz­märkten Speku­lation eine wichtigere Rolle einnimmt als bei Direkt­an­lagen, das hat auch mit der Nachfra­ge­struktur zu tun. Speku­lation ist vor allem in Zeiten billigen Geldes zu beobachten. In der Schweiz wirken recht­liche Gegeben­heiten wie die Grund­stück­ge­winn­steuer Speku­lation entgegen.

3) Unter­schied­liche Nachfrager

Anteile von Immobi­li­en­fonds und Immobilien-AGs sind sehr fungibel, sie können leicht gekauft und auch wieder verkauft werden. Für diese Anteile findet eine tägliche Preis­stellung und eine regel­mässige Bericht­erstattung statt. Weiter verfügen Immobi­li­en­fonds und Immobilien-AGs über einen Diver­si­fi­ka­ti­ons­vorteil gegenüber einer Inves­tition in eine einzelne Liegen­schaft. Die Käufer­schaft ist entspre­chend eine andere. Auf der einen Seite sind es ähnliche Käufer wie auch bei den Aktien­an­lagen, auf der anderen Seite sind es finanz­starke Eigen­tümer mit Kennt­nissen des lokalen Markts und langem Anlage­ho­rizont. 

4) Fremd­ka­pi­tal­kosten von Gesell­schaften

Bezüglich Bewertung ist zu beachten, dass ein Gesell­schaftswert grund­sätzlich anderer Natur ist als ein Immobi­li­enwert. Zweiterer bewertet nur den Sachwert an sich, während ersterer auch noch weitere Risiken – wie beispiels­weise das Geschäfts­füh­rungs­risiko und das Refinan­zie­rungs­risiko – beinhaltet. Entspre­chend gibt es zwischen der eigent­lichen Immobi­li­en­per­for­mance und der Perfor­mance eines kotierten Gefässes struk­tu­relle Unter­schiede. Insbe­sondere bezüglich Manage­ment­kosten, Steuern sowie Levarage. 

Der Wert einer kotierten Gesell­schaft ist abhängig von ihrer Finan­zie­rungs­struktur. In Zeiten erhöhter Fremd­ka­pi­tal­zinsen ist auch die Finan­zie­rungslast eines Gefässes höher. Eine substan­zielle Erhöhung der Zinslast kann dazu führen, dass ein beträcht­licher Teil der Rendite für Fremd­ka­pi­tal­dienst aufge­wendet werden muss. Es ist denn auch zu beobachten, dass bei den aktuell steigenden Zinsen Gefässe mit höherem Fremd­ka­pi­tal­anteil schlechter performen. 

In der Liegen­schafts­be­wertung hingegen liegt der Fokus auf der Liegen­schaft selbst, die Finan­zierung davon findet dabei nur implizit Eingang. In Zeiten hoher Finan­zie­rungs­kosten sollten Inves­toren eine höhere Rendite vor Fremd­ka­pi­tal­zinsen fordern, was den Marktwert in der Bewertung aufgrund einer höheren Diskon­tierung reduzieren würde. Aller­dings ist am Markt für Direkt­an­lagen in der Schweiz derzeit kaum erkennbar, dass aufgrund der höheren Finan­zie­rungs­kosten auch deutlich höhere Rendi­te­for­de­rungen beim Kauf einer Direkt­anlage vorliegen. Auf dem Markt für Direkt­an­lagen agieren viele Inves­toren, die eine sehr geringe oder gar keine Verschuldung haben, wie beispiels­weise Versi­cherer und Pensi­ons­kassen. Vor diesem Hinter­grund ist es nachvoll­ziehbar, dass sich ein Anstieg der Zinsen stärker auf den Börsenwert einer Gesell­schaft als auf die Markt­werte der zugrun­de­lie­genden Assets auswirkt. 

Im Rahmen einer Präsen­tation einer Sitzung der Sachver­stän­digen für einen großen, deutschen, insti­tu­tio­nellen Investor im November 2022 wurde dieser Zusam­menhang etwas überspitzt wie folgt formu­liert: «Die Bewer­tungs­ab­schläge für Immobilien-AGs (z.B. Vonovia: …) spiegeln nicht den Wert der Immobilien wieder, sondern zeigen das Dilemma eines rein auf einen positiven Leverage-Effekt abgestellten Geschäfts­mo­dells auf.»

Analogie: Zinsen und Markt­werte 

Eine analoge Diskussion zur Entkop­pelung der Markt­werte von den Funda­men­tal­daten ergibt sich derzeit bei der Entkop­pelung der Markt­werte von den Zinsen. Liegen­schafts­werte sind abhängig von wirtschaft­lichen Funda­men­tal­daten, zum Beispiel Zinsen. Es gibt aber keinen direkten zwingenden Effekt von höheren Zinsen auf tiefere Liegen­schafts­preise. Vergleiche dazu den Blog: «Rendi­te­lie­gen­schaften in turbu­lentem Markt­umfeld».

Hierbei wird auf die Differenz zwischen den Renditen von Bundes­an­leihen und den Anfangs­ren­diten von Rendi­te­lie­gen­schaften (Spread) in der Schweiz einge­gangen. Es wird aufge­zeigt, dass wenn bei den Renditen der Obliga­tionen die Teuerung mitbe­rück­sichtigt wird, der Rendi­te­spread derzeit sogar besonders gross ist. Rendi­te­lie­gen­schaften verfügen über einen gewissen Infla­ti­ons­schutz und sind deshalb vom aktuellen Infla­ti­ons­umfeld weniger betroffen.

Langfristige Entwicklung

Entscheidend für die Preise von Direkt­an­lagen ist die langfristige Situation bezüglich dem Erwirt­schaften von Netto-Cashflows sowie die in den Diskon­tie­rungs­sätzen abgebildete Zahlungs­be­reit­schaft der Inves­toren für solche Cashflows. Morawski, Rehkugler und Füss (2008) zeigen, dass bei langfris­tigen Anlage­ho­ri­zonten die Inter­de­pendenz zwischen Direkt­an­lagen und indirekten Immobi­li­en­an­lagen wesentlich stärker ist. Aller­dings, reagieren Immobi­li­en­aktien deutlich schneller auf Verän­de­rungen und eilen dem Markt für Direkt­an­lagen tenden­ziell voraus. Nach verschie­denen empiri­schen Studien beträgt der Vorlauf etwa 6 – 9 Monate (Seiler et al. 1999, Eichholtz und Hartzell 1996, Morawski et al. 2008). Folglich, stellt sich die Frage, ob Immobi­li­en­aktien als Frühin­di­ka­toren für die Preis­tendenz von Immobilien dienen können. In der Vergan­genheit war dies teilweise der Fall. Ob dieser Zusam­menhang auch in Zukunft besteht ist unklar. 

Line Chart, Chart, Smoke Pipe

Ein Rückgang des Börsen­werts ist immer auch im Lichte allfäl­liger voran­ge­gan­gener Markt­wert­erhö­hungen zu sehen. Wie in Abbildung 4 zu sehen ist, waren die Markt­wert­stei­ge­rungen bei den indirekten Anlagen seit 2018 sehr hoch und hat die Entwicklung von direkt Anlagen stark übertroffen. Abbildung 4 zeigt die Entwicklung der thesau­ri­erten Werte von Anlagen, also eine fortlau­fende Reinves­tition des Total Returns.

Schluss­fol­gerung

Langfristig bewegt sich der Börsenwert und der Marktwert der zugrun­de­lie­genden Assets zwar in eine ähnliche Richtung. Kurz- bis mittel­fristig können die Preise von direkten Immobi­li­en­an­lagen, welche im Trans­ak­ti­ons­markt gebildet werden, aller­dings beträchtlich von der Entwicklung der Börsen­werte abweichen. In diesem Blog haben wir vier mögliche Gründe dafür erläutert: 

  • Volati­lität
  • Speku­lation
  • Unter­schied­liche Nachfrager
  • Fremd­ka­pi­tal­kosten

Diese (und weitere) Mecha­nismen inter­agieren mitein­ander und wirken je nach Situation unter­schiedlich stark.

Ähnliche Auswer­tungen wurden auch zu Immobi­li­en­an­lagen in Deutschland gemacht. Siehe Blog «Disconnect zwischen Deutschen Immobi­li­en­aktien und Realwerten».
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Quellen

Morawski, Jaroslaw, Heinz Rehkugler and Roland Füss, 2008. The nature of listed real estate companies: property or equity market? Financial Markets and Portfolio Management, 22: 101–126. DOI 10.1007/s11408-008‑0075‑9

Seiler, M.J., J.R. Webb and F.C.N Myer, 1999. Are EREITs real estate. Journal of Real Estate Portfolio Management, 5(2), 171–181.

Eichholtz, M.A. and D.J. Hartzell, 1996. Property shares, appraisals and the stock market: an inter­na­tional perspective. Journal of Real Estate Finance and Economics, 12(2), 163–178.

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