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Trägt das Zweitwohnungsgesetz zum Mangel an Mietwohnungen bei?

07. Februar 2023

Schnee in den Bergen mit Holzhäuser und Bäumen

Der Mietwohnungsmangel prägt nicht nur das dicht besiedelte Schweizer Mittelland, sondern in besonderem Masse auch viele Tourismusgemeinden. So liegt die Angebotsquote für Mietwohnungen in Destinationen wie Zermatt, Scuol, Saanen oder Davos nicht nur unter dem aktuell sehr tiefen nationalen Mittel, sondern sogar noch unter dem Stand von Grossstädten wie Zürich und Genf. Sowohl für die Bevölkerung als auch für viele Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter ist es unter diesen Umständen oft beinahe aussichtslos, in einer Tourismusgemeinde eine passende Wohnung zu finden.

Die «Lex Weber» und ihre Folgen für den Mietwohnungsmarkt

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der Einführung des Zweitwohnungsgesetzes (Lex Weber) und dem stark rückläufigen Angebot an Mietwohnungen in touristischen Gemeinden gibt. Nach der Annahme der Zweitwohnungsinitiative im März 2012 trat per 1. Januar 2013 eine provisorische Verordnung über Zweitwohnungen in Kraft, auf die am 1. Januar 2016 das Bundesgesetz über Zweitwohnungen folgte. Damit ist der Neubau von klassischen, frei nutzbaren Zweitwohnungen in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent seit Anfang 2013 verboten.
Es ist gut vorstellbar, dass das Zweitwohnungsgesetz (ZWG) unbeabsichtigte kollaterale Folgen für den Bau von Mietwohnungen hatte, denn vor der Inkraftsetzung des Gesetzes erlaubten viele Gemeinden (wie beispielsweise Sils oder Crans-Montana) den Bau von Zweitwohnungen nur unter der Bedingung, dass ein Teil der neu erstellten Objekte als Erstwohnsitz verkauft oder vermietet wird. Mit solchen Regelungen wurde der Bau von Mietwohnungen gefördert, und weil für Zweitwohnungen überdurchschnittlich hohe Preise erzielt werden können (in vielen Alpengemeinden liegen die Preise für Zweitwohnungen zwischen 24 und 47 Prozent über denjenigen von Erstwohnungen), waren sie auch für Investoren attraktiv. Der gesetzlich verordnete Stopp des Zweitwohnungsbaus 2013 hat diese Art von Quersubventionierung für den Bau von Mietwohnungen verunmöglicht.

Entwicklung der Bautätigkeit

Um die Neubautätigkeit von Mietwohnungen zu messen, wurden die Gesamtzahl der Baubewilligungen sowie die Anzahl Baugesuche pro 1000 Einwohner zwischen 2005 und 2021 untersucht (Abbildung 1). Die Resultate dieser Berechnungen ermöglichen einen Vergleich der Entwicklung von Gemeinden, die unter das ZWG fallen, mit der Entwicklung von Gemeinden, die diesem nicht unterstehen.
Es zeigte sich, dass die Zahl der Baugesuche und der Baubewilligungen zwischen Mitte 2012 und 2014 einen Höchststand erreichte, der in direktem Zusammenhang mit der Abstimmung über das ZWG steht: Damals hofften viele Entwickler, noch vor Inkrafttreten des Gesetzes eine Baubewilligung zu erhalten. Dieser temporäre Anstieg ist nicht in die empirische Analyse eingeflossen, um die Ergebnisse nicht zu verzerren. Die deskriptive Analyse zeigt nun, dass die Baugesuche und die Baubewilligungen für Mietwohnungen in den Jahren nach der Einführung des ZWG in den Gemeinden, die von diesem Gesetz nicht betroffen sind, weiter steigen, während sie in den betroffenen Gemeinden zu stagnieren scheinen.

Entwicklung der Bautätigkeit

Methode und Modell

Die Methode der doppelten Differenzen (difference-in-differences) ermöglicht es, den Effekt einer Massnahme (hier: die Einführung des ZWG) zu messen, indem die Entwicklung der betroffenen Gruppe (hier: Gemeinden mit mehr als 20 Prozent Zweitwohnungen) und der Kontrollgruppe (hier: Gemeinden mit weniger als 20 Prozent Zweitwohnungen) vor und nach Einführung der Massnahme miteinander verglichen werden.
Das Regressionsmodell hat die folgende Form (wobei i sich auf die Gemeinde und t sich auf das Jahr bezieht):

Yi,t= a + b1*Webert + b2*Mehr20ZweitWohni + b3*(Webert*Mehr20ZweitWohni) + ei,t

Yi,t steht für die Bautätigkeit von Mietwohnungen (Anzahl Baugesuche und Bau­bewilligungen). Webert ist eine binäre Variable, die vor der Einführung der Lex Weber (d. h. zwischen 2005 und 2011) den Wert 0 und danach (2015 bis 2021) den Wert 1 annimmt. Die Jahre 2012 bis 2014 flossen aufgrund ihrer temporär aussergewöhnlichen Entwicklung nicht in die Analyse mit ein. Mehr20ZweitWohni ist ebenfalls eine binäre Variable, die den Wert 1 für Gemeinden mit mehr als 20 Prozent Zweitwohnungen und den Wert 0 für die anderen Gemeinden annimmt. Was uns besonders interessiert, ist die Interaktion zwischen den Variablen Webert und Mehr20ZweitWohni, die es ermöglicht, die unterschiedlichen Auswirkungen der Lex Weber auf den Bau von Mietwohnungen in Gemeinden, die von diesem Gesetz betroffen sind, und solchen, die nicht betroffen sind, zu messen.

Analyse und Ergebnisse

Die Ergebnisse der Regression (Abbildung 2) deuten auf einen signifikanten negativen differentiellen Effekt des ZWG auf die Neubautätigkeit in den vom ZWG betroffenen im Vergleich zu den nicht betroffenen Gemeinden hin. Betrachtet man die Zahl der laut Neubaubewilligungen geplanten Mietwohnungen, so bedeutet der Koeffizient –0.871, dass die vom ZWG betroffenen Gemeinden nach Einführung des Gesetzes 0.871 weniger Mietwohnungen pro 1000 Einwohner bewilligten als die nicht betroffenen Gemeinden. Diese Zahl mag auf den ersten Blick gering erscheinen, aber es gilt zu bedenken, dass der Schweizer Durchschnitt der Baubewilligungen für Mietwohnungen pro 1000 Einwohner bei 2.1 liegt. Ein Unterschied von 0.871 hat daher grosse Auswirkungen;  im Verhältnis zum Durchschnitt entspricht dies einem Rückgang der Baubewilligungen für Mietwohnungen in den Tourismusgemeinden nach der Einführung des Zweitwohnungsgesetzes um rund 40%.

Analyse und Ergebnisse

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