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Was bedeutet die SIA 101 «Ordnung für Leistungen der Bauherren» in der Praxis?

19. April 2022

Zwei Bauarbeiter vor einer Baustelle

Seit April 2020 ist die neue SIA 101 «Ordnung für Leistungen der Bauherren» in Kraft. Die Ordnung fasst einerseits zusammen, was es bedeutet Bauherr zu sein und welche Leistungen von ihm erwartet werden. Gleichzeitig klärt sie auch die Schnittstellen zwischen Bauherrn und allen weiteren Beteiligten in allen Phasen 1 – 6 (vgl. SIA 112). Als grosse und wichtige Neuerung kommt hinzu, dass den bisher bekannten Arbeitsschritten eine zusätzliche Phase 0 «Initialisierung» vorangestellt wird. Diese Phase trägt den wichtigen Vorbereitungsarbeiten des Bauherrn vor dem eigentliche Planungsprozess Rechnung.

Was macht gute Bauherren aus?

Zu Recht betonen viele Architekten:innen, dass gute Architektur gute Bauherren voraussetzt. Doch was macht einen guten Bauherrn aus, was muss er bringen? Auf diese Fragen gibt nun erstmals die SIA-Ordnung für Leistungen des Bauherrn grundsätzliche Antworten. Zunächst wird eines klargestellt: „Bauherr sein ist eine Führungsaufgabe“ (2.1) „Er initiiert das Vorhaben und formuliert die Ziele, die Rahmenbedingungen und die Anforderungen, welche das Bauvorhaben zu erfüllen hat.“ (1.1.4) Dies erfolgt in einer neu eingeführten Phase 0. Bei ihr geht es darum, eine Vision bezüglich der Wirkung eines Bauwerks in einem integrativen Prozess zu entwickeln, und zwar im Bewusstsein der Bedeutung des Bauvorhabens im sozialräumlichen Sinne. Dabei wird die Bauherren-Kultur, seine Unternehmenskultur, Haltung und Persönlichkeit in den Raum getragen, in Baukultur übertragen. Daraus sind dann – unter Berücksichtigung der bauherrlichen Geschäfts- und Anlagestrategie – klare Zielsetzungen abzuleiten, was qualitativ und quantitativ erreicht werden soll (3.1.4). Schliesslich muss der Bauherr die Zielerreichung kontinuierlich messen (Steuerung und Controlling 3.1.5).

Die folgende Abbildung zeigt nun die sechs Leistungsbereiche, zu denen sich der Bauherr äussern und die er dokumentieren muss. Als erstes findet eine Ortung statt (4.3.010), wird das Umfeld analysiert. Die Zusammenhänge zwischen Gesellschaft, Ortschaft, Landschaft und deren Veränderung und Entwicklung (die Geschichte des Ortes) werden betrachtet. Dabei wird das Eigene, Besondere herausgearbeitet, der Genius loci identifiziert und ebenso die Anspruchsgruppen und deren Bedürfnisse. Diese werden ganzheitlich verstanden, umfassen Nutzungsbezogenes, Technisches, Quantitatives ebenso wie Haltungs- und Wirkungsbezogenes, Kulturelles (Werte, Normen, Verhaltensweisen), Emotionales (Image, Atmosphäre), also Qualitatives. Letztlich geht es darum, den Raum / das Umfeld mit seinen Menschen und seiner Ausgestaltung ganzheitlich wahrzunehmen und zu verstehen.

Bauherren: Verschiedene Leistungen

Quelle: Auszug aus SIA 101 «Ordnung für Leistungen der Bauherren»

Im wohl zentralsten Leistungsbereich geht es um die inhaltliche Positionierung des Bauherrn bezogen auf das Bauvorhaben und sein Umfeld (4.3.012). Hier gilt es eine Vision zu skizzieren mit groben Vorstellungen zum Bauvorhaben, seiner Nutzung, Bedeutung und Wirkung. Schlussendlich geht es darum, übergreifende Ziele festzulegen, also eine areal- und projektbezogenen Bauherren-Strategie zu erarbeiten. Diese muss konform sein mit der Geschäfts- und Anlagestrategie und ein Bezugssystem definieren, das die Bedürfnisse der eigner- und umfeldbezogenen Anspruchsgruppen sowie der Zielgruppen hinsichtlich ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Aspekte aufeinander abstimmt. Aus einem solchen komplexen und anspruchsvollen Analyse- und Entwicklungsprozess entsteht bei erfolgreichem Verlauf ganzheitlich-nachhaltige Baukultur.

So gehen wir vor

Wüest Partner befasst sich schon seit Jahrzehnten mit den ökonomischen und ökologischen Entwicklungen der Immobilienwirtschaft und hat mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung unzählige Bauherren bei Bauvorhaben unterstützt. Dies insbesondere auch in Vorbereitung auf einen anstehenden Planungs- und Bauprozess, im Sinne der Phase «Initialisierung», wie sie nun durch den SIA mit der Ordnung 101 festgehalten ist. Die SIA Ordnung 101 fordert den Bauherrn auf, die Projektvorgaben klarer als bisher zu definieren, was auch in Briefings von Architekturwettbewerben einfliessen sollte. Die Aspekte der Bedeutung und Wirkung von Bauvorhaben werden ganzheitlicher und nachhaltiger betrachtet, umfassen auch die Raumgestaltung in einem strategischen Sinne.

Als Antwort darauf hat Wüest Partner in Zusammenarbeit mit Dieter Pfister (Berater und Leiter Bauherren-Programm Universität St. Gallen) ein Vorgehen entwickelt, bei dem alle Strategie-Fragen, die sich der Bauherr in der Phase 0 stellen muss beantwortet werden (siehe nächste Abbildung).

Bauherren: Wie geht man bei der Vision und bei der Strategie vor?

Mit einem solchen effizienten Bauherrenstrategie-Management werden die Anliegen von SIA-101 in die Praxis getragen und inhaltlich klar strukturiert und ausformuliert.

  • Schritt 1: Analysen
    • Standort / Areal
    • Immobilienmarkt (Angebot)
    • Bevölkerung, Beschäftigung, Wirtschaft (Nachfrage)
    • Konkurrenzangebote
  • Schritt 2: Entwicklung Bauherrenvision & -strategie
    • Bauherrenvision
    • Bauherrenstrategie:
      • Raumgestaltung
      • Zielgruppe
      • Nutzung
      • Wirtschaftlichkeit

In einem Prozess wird der Bauherr darin unterstützt, eine Bauherrenvision zu erarbeiten und auf deren Basis eine strukturiere Bauherrenstrategie für das Bauvorhaben zu formulieren.
Grundlage hierfür bildet eine Analyse von Standort- und Areal, Immobilienmarkt (Angebot), Bevölkerung, Beschäftigung und Wirtschaft (Nachfrage) sowie eine Konkurrenzanalyse. Parallel dazu findet eine umfassende Analyse des Ortes hinsichtlich Qualitäten, Identität, bestehende Baukultur etc. statt. Auf Basis dieser Analysen wird zusammen mit dem Bauherrn in einem gemeinsamen Workshop die Bauherrenstrategie und -vision erarbeitet. Es wird so die Brücke zwischen Haltung und Gestaltung, Bauherrenkultur und Baukultur, Geschäfts- und Analagestrategie bewusster und konkreter geschlagen als bisher.

Fachkurs: Bauherrenkompetenz

Dieser Kurs bietet Ihnen eine Übersicht über die komplexen Aufgaben eines Bauherrn während des Planungs-, Bau- und Nutzungsprozesses einer Immobilie. Sie haben die Gelegenheit, Ihre Kenntnisse über alle Aspekte der Nachhaltigkeit in Bezug auf Immobilien zu erweitern, auf ökonomischer wie auch auf ökologischer und soziokultureller Ebene.

Der nächste Fachkurs findet am 10. Mai 2022 in Zürich statt. Weitere Informationen sowie das Anmeldeformular finden Sie hier.

Autor:innen: Martina Wäckerlin, Matthias Weber und Dieter Pfister