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Bauzyklen und die «Real Option Theory»

Letzte Aktualisierung: 22. April 2025

Von jeher weisen Bauak­ti­vi­täten eigen­ständige Zyklen auf. Diese können in einer Unter- oder Überpro­duktion münden. Weshalb und wie diese Zyklen entstehen, wird in der Fachwelt unter anderem mit dem Konzept der «Real Option Theory» begründet.

Irrever­si­biltät des Bauent­scheids

Gemäss dieser Theorie leitet sich der Wert einer grünen Wiese aus der Option ab, dass diese bebaut werden kann. Ist ein Neubau erst einmal erstellt, kann der Entscheid als zumindest teilweise irrever­sibel bezeichnet werden, denn eine Rückgän­gig­ma­chung ist mit hohen Verlusten verbunden. Somit reduziert sich der Optionswert einer grünen Wiese durch eine Bebauung gegen null, weil sie danach nicht mehr einfach so mit einem anderen Konzept bebaut werden kann.

Entscheidend für einen Neubau ist der optimale Zeitpunkt. Dessen Bestimmung ist jedoch sehr komplex und mit hohen Unsicher­heiten verbunden. So kann es sich durchaus lohnen, mit der Bebauung eines Grund­stücks selbst dann zuzuwarten, wenn ein Gebäude Netto­er­träge verspricht, die in einer Discounted-Cashflow-Bewertung zu positiven Werten führen; die Bebauung lohnt sich aus Sicht der «Real Option Theory» nämlich erst dann wirklich, wenn die diskon­tierten Cashflows den Optionswert einer späteren Bebauung übertreffen.

Bauzyklen und die «Real Option Theory»

«Option Theory»

An der Börse können sogenannte «Call Options» gekauft werden, womit das Recht erworben wird, in der Zukunft ein Wertpapier zu einem vorde­fi­nierten Preis zu kaufen. So konnte man am 17. September 2019 eine «Call Option» auf den Dow Jones kaufen, der an diesem Tag bei 27’100 Punkten notierte; die Option besagte, dass der Dow Jones bis am 17. Dezember 2019 für 27’500 erworben werden kann. Für die Bepreisung solcher Optionen wird noch immer auf das in den 1970er-Jahren von Robert Merton, Myron Scholes und Fischer Black entwi­ckelte Modell zurück­ge­griffen. Das Modell der drei Wissen­schaftler erwies sich als so erfolg­reich, dass Merton und Scholes dafür 1997 den Wirtschafts­no­bel­preis erhielten. Dabei spielt der aktuelle Wert des Index ebenso eine Rolle wie der Preis, zu dem man den Index kaufen kann, der Zinssatz sowie die verblei­bende Restdauer der Option.

«Real Option Theory»

Im Gegensatz zu den Finanz­märkten, wo Finanz­be­tei­li­gungen gehandelt werden, geht es bei der Bebauung von Grund­stücken um Erträge aus realen Werten, weshalb von der «Real Option Theory» gesprochen wird. Dabei spielt die Charak­te­ristik der Option, dass gebaut werden kann, aber nicht gebaut werden muss, eine bedeu­tende Rolle. Die Berech­nungen bei der «Real Option Theory» beruhen auf ähnlichen Variablen wie bei der «Option Theory», sie haben aber eine spezi­fi­schere Bedeutung.


Wann sich die Bebauung eines Grund­stücks lohnt, unter­suchte der an der Univer­sität Stanford tätige Professor Steven Grenadier in den 1990er-Jahren. Mit seinen umfang­reichen Erkennt­nissen lassen sich sechs Entwick­lungen auf dem hiesigen Baumarkt analy­sieren

Die «Real Option Theory» und der Schweizer Immobi­li­en­markt

Erstens: Weil Inves­ti­tionen in Immobilien immer mit Unsicher­heiten verbunden sind, sind Inves­toren anfällig dafür, andere Inves­toren nachzu­ahmen. Wenn die Neubau­tä­tigkeit zunimmt, werten viele Eigen­tümer dies als Signal, dass es an der Zeit ist, das eigene Grund­stück zu bebauen. Sobald eine gewisse Anzahl Eigen­tümer zurück­hal­tender agiert, kann das Pendel umschlagen.

Zweitens: Steigende Wohnungs­leer­stände können  den Wohnungsbau anheizen. Es gilt, ein Grund­stück möglichst schnell zu bebauen, um das eigene Projekt noch vor den anderen Inves­toren auf den Markt zu bringen. Wenn die Zeit, ein Grund­stück zu bebauen, immer mehr drängt, bleibt weniger Zeit bis zum Erlöschen der Option; damit sinkt der Optionswert. Die Irrever­si­bi­lität einer Bebauung verliert in diesem Fall an Bedeutung, weil die Aussicht, mit einer späteren Bebauung noch lukra­tivere Geschäfte zu machen, kleiner wird. 

Drittens: Zurzeit sind die wirtschaft­lichen Aussichten für Gewer­be­be­triebe mit vielen Risiken gespickt. Diese grosse Unsicherheit ist mit einer höheren Volati­lität im «Under­lying Asset Value» verbunden, was sich negativ auf die Bebau­ungs­wahr­schein­lichkeit von Gewer­be­zonen auswirkt, denn die Option, den Bau zu verschieben, gewinnt an Wert. Selbst wenn sich der Neubau einer Lager­fläche rentieren würde, kann der Gewer­be­trei­bende zuwarten, weil langfristig andere Nutzungs­mög­lich­keiten lukra­tiver werden könnten.

Viertens: Entscheidend ist die konjunk­tu­relle Lage zum Zeitpunkt der Fertig­stellung bzw. der Vertrags­ver­hand­lungen und nicht diejenige beim Start des Baus. Oft wird mit der Umsetzung von Gross­pro­jekten auch dann begonnen, wenn die vertraglich verein­barten Mietein­nahmen die Baukosten noch nicht vollständig decken. Dies lässt sich am Gross­projekt «The Circle» illus­trieren. Der am Zürcher Flughafen enste­hende Bau ist mit einem Inves­ti­ti­ons­vo­lumen von rund einer Milliarde Franken derzeit das grösste Hochbau­projekt der Schweiz. Am 1. September 2020 soll «The Circle» seine Tore öffnen. Als das Projekt lanciert wurde und die Bauab­sichten konkreter wurden, befand sich die weltweite Wirtschaft mitten in der Finanz­krise. Dennoch wurde das Projekt voran­ge­trieben, denn es konnte davon ausge­gangen werden, dass die Wirtschaftslage sich bis zum Zeitpunkt der Vertrags­ver­hand­lungen wieder verbessern würde. 

Fünftens: Bei Bürolie­gen­schaften werden teilweise sehr langfristige Mietver­träge abgeschlossen; es besteht aber auch die Möglichkeit, kurze Laufzeiten zu verein­baren. Die Wahl der Laufzeit ist eine Option, die einen Wert hat. Wenn zum Zeitpunkt der Vermarktung die Nachfrage konjunk­tur­be­dingt gut ist, kann der Eigen­tümer hoch dotierte Mietver­träge mit langer Laufzeit abschliessen. Wenn es der Wirtschaft zum Zeitpunkt der Vertrags­ver­hand­lungen nicht so gut geht, einigt man sich eher auf kürzere Laufzeiten. Der Optionswert resul­tiert also aus der zeitlichen Flexi­bi­lität der Vertrags­ge­staltung. Als Folge des hohen Werts dieser Option ist der Neubau von grossen Büroge­bäuden in Stadt­zentren besonders volatil. 

Sechstens: Norma­ler­weise haben Grund­stück­ei­gen­tümer Zeit, einen günstigen Moment für die Bebauung abzuwarten. Recht­liche Änderungen können dies aber schlag­artig ändern. So wurde durch die Revision des Raumpla­nungs­ge­setzes Druck aufge­setzt, unbebaute Bauzonen zu bebauen oder allen­falls auszu­zonen. Damit bleibt nun weniger Zeit für die Bebauung, und der Optionswert der betrof­fenen Grund­stücks sinkt; gleich­zeitig steigt der Druck, die Grund­stücke früher zu bebauen.


Weitere Infor­ma­tionen

Detail­lierte Infor­ma­tionen zur aktuellen Ausgangslage auf dem Schweizer Baumarkt finden Sie in der jüngst publi­zierten Herbst­ausgabe des Immo-Monitorings 2020.

Alain Chaney hält zudem jeweils im Frühlings­se­mester an der Univer­sität Zürich im Kurs «Real Estate Finance» die Vorlesung «Real Options».